WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Mangels Bodenschätzen setzt Israel auf Spitzentechnologie. Mit Erfolg
Microsoft-Gründer Bill Gates war begeistert. In Israel würden "phantastische Dinge" entstehen. Nur das Silicon Valley habe eine höhere Konzentration an begabten Hightech-Leuten als Israel, sagte der damalige Microsoft-Chef vor drei Jahren in Tel Aviv. In den vergangenen zehn Jahren haben dutzende von amerikanischen und europäischen Wagniskapitalfirmen mehrere Milliarden Dollar in Start-ups investiert - von Nanotechnologie über medizinische Instrumente oder Zellforschung bis zu Internetapplikationen wie ICQ oder Firewalls. Microsoft gründete in Israel die erste Forschungsabteilung außerhalb der USA. Auf den Forschungsstandort Israel setzen SAP ebenso wie Cisco oder Motorola. Und Intel hat in Israel den Centrino-Prozessor entwickelt, der weltweit in Millionen Laptops verwendet wird.
Israel hat aus der Not eine Tugend gemacht. Weil das Land klein ist und über keine Bodenschätze verfügt, müssen Manager in internationalen Dimensionen denken, um die Enge des Heimatmarktes zu sprengen. Weil sie die dürftige Ausstattung mit natürlichen Ressourcen wettmachen und gleichzeitig Kapital für strategische Investitionen anlocken wollen, forcieren sie die Hochtechnologie. Mit Erfolg: Das Land mit lediglich sieben Millionen Einwohnern hat mehr Firmen an der elektronischen Börse Nasdaq registriert als Deutschland, England oder China. An der amerikanischen Technologie-Börse stehen israelische Firmen an dritter Stelle. Nur die USA und Kanada schneiden dort besser ab als Israel. In Sachen Innovationen gehöre Israel zu den Top-Ländern und brauche den Vergleich mit Japan, den USA oder Deutschland nicht zu scheuen, heißt es in einem Bericht des EC Directorate-General for Enterprise and Industry.
Woran liegt es, dass Hightech-Firmen ausgerechnet in Israel gedeihen? Ein wichtiges Rezept für den Aufstieg ist die israelische Unternehmer-Mentalität: So klein die Erfindergruppen auch sein mögen, sie sind mutig genug, ihre Ideen und Entwicklungen den großen Konzernen zu präsentieren. Auch haben israelische Ingenieure und Manager die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Dabei entwickeln sie eine "kreative Chuzpe" und betrachten Probleme als Teil des Lösungsprozesses. Plötzliche Schwierigkeiten lösen bei ihnen weniger Stress aus als anderswo.
Als wichtige Schule fungiert die Armee. Sie hat eigene Entwicklungsabteilungen für Computerapplikationen und Internettechnologien. Wem die Aufnahme in den Technologietrupp der Israel Defense Forces geglückt ist, entwickelt zum Beispiel Logistik-Programme, um tausende von Soldaten möglichst effizient zu versorgen, oder Software, die Kampfpiloten präzise Angaben über den Aufenthalt des Gegners vermittelt. Damit nicht genug. Er lernt, unter extremem Stress neue Ideen zu entwickeln. Damit hat der High-Tech-Soldat seinen Altersgenossen einiges voraus, die nach dem Uni-Studium lediglich ein Diplom ohne Berufserfahrung in der Tasche haben. Zudem verfügen die Erfinder in Uniform über etwas, das den Bachelor- oder Masterstudenten fehlt: Sie können später in der privaten Wirtschaft auf ein umfangreiches Netzwerk von Spitzenleuten zurückgreifen.
Doch auch diejenigen, die sich an akademischen Institutionen auf die Hochtechnologie vorbereiten, genießen, im Vergleich zu europäischen Universitäten, eine spezielle Ausbildung. Israelische Akademiker haben keine Berührungsängste mit der Praxis oder mit der Industrie. Im Gegenteil: Für die kommerziell-technologische Zusammenarbeit zwischen israelischen Hochschulen und der Wirtschaft kümmern sich hochschuleigene Technologietransferfirmen. Eine wichtige Rolle für die Entwicklung einer leistungsfähigen Hochtechnologie spielen vor allem auch die Anforderungen der Rüstungsindustrie. Für das kleine Land in einer feindlichen Umgebung hängt das Überleben von der Qualität der Verteidigungskraft ab. Nachdem Frankreich von 1967 an Israel boykottierte, wandte sich Jerusalem nicht nur an die USA, sondern versuchte, eine eigene Rüstungsindustrie aufzubauen. Heute gehört Israel zu den größten Waffenverkäufern der Welt. Und profitiert davon, dass High Tech in der Kriegsindustrie eine immer prominentere Rolle spielt.
Der israelische Hightech-Erfolg wäre freilich kaum möglich gewesen ohne die Einwanderung von tausenden von Ingenieuren und Wissenschaftlern aus der ehemaligen UdSSR in den 1990er-Jahren. Sie waren der eigentliche Katalysator für den Hochtechnologie-Durchbruch, indem ihre Immigration die ohnehin schon überdurchschnittliche Ausbildung der Bürger weiter verbesserte. Die Mischung ihres Know-hows mit dem israelischen Unternehmergeist war ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der israelischen Hochtechnologie.
Zudem konnte im vergangenen Jahr Risikokapital in Höhe von knapp 1,8 Milliarden Dollar aufgenommen werden. Insgesamt flossen in den vergangenen neun Jahren 14, 4 Milliarden Dollar in israelische Wagniskapitalfonds. Das Geld wird vor allem in der Kommunikationstechnik, in Biowissenschaften sowie im Internetsektor eingesetzt.
Der Autor ist Nahostkorrespondent
der "Weltwoche".