LOBBYISTEN
Die EU möchte mit einem Lobby-Register mehr Transparenz schaffen. Das stößt nicht nur auf Zustimmung
Selbst Kenner der Brüsseler Lobby-Szene staunten über so viel Dreistigkeit. "Kampagne für Kreativität (C4C) hieß eine Initiative, die den politischen Frühling des Jahres 2005 begleitete. Im EU-Parlament lief gerade eine heiße Debatte über ein wichtiges Gesetzesprojekt: die Einführung europäischer Software-Patente. "Kreativität ist wie ein Schmetterling, sie ist zerbrechlich und muss beschützt werden", appellierten die Patent-Befürworter von C4C mittels einer poetischen Webseite an die Abgeordneten.
Die Köpfe hinter der Botschaft, wie die Internetseite vermuten ließ: "Künstler, Designer, Schriftsteller, Software-Entwickler, Musiker, Erfinder. Menschen in Europa, die von ihrer Kreativität leben." Als der Trupp der Schöngeister begann, großzügig Werbegeschenke zu verteilen, horchten einige Parlamentarier auf. Schließlich wurde bekannt, wer in Wirklichkeit hinter der Kampagne steckte: eine britische Lobbyfirma nebst Mittelstandsunternehmen, aber auch Software-Giganten wie Microsoft und SAP.
Ein bizarres Täuschungsmanöver, fanden 7035 Europäer, die sich einige Monate später an einer Internet-Abstimmung beteiligten. Die Nichtregierungs-Organisation Corporate Europe Observatory und andere Verbände hatten einen "Preis für das perfideste Lobbying" ausgeschrieben. C4C gewann haushoch. "Wirtschaftsinteressen getarnt als Graswurzel-Kampagne!" schimpfte die Jury.
Ereignisse wie dieses sind es, die den EU-Verwaltungskommissar Siim Kallas darin bestärken, Regelungen für mehr Transparenz im Lobby-Dickicht voranzutreiben. Seit 2005 tüftelte er an Vorschlägen. Am 8. Mai stimmte nun das Plenum des EU-Parlaments über seine Ideen ab. "Viele Bürger schauen misstrauisch auf die Entscheidungsprozesse in Brüssel und den Einfluss der Lobbyisten", so der estnische Politiker.
Er hingegen sei überzeugt, dass weder die EU-Bediensteten noch die Lobbyisten grundsätzlich etwas zu verbergen hätten, so Kallas. Die Interessenvertretung sei ein wichtiger und ehrbarer Beruf. "Und das wollen wir beweisen."
Im Zentrum der Initiative steht ein umfassendes öffentliches Register für die rund 15.000 Brüsseler Lobbyisten. Diese müssen sich bisher nur beim EU-Parlament akkreditieren, nicht aber bei der Kommission oder beim Ministerrat. In groben Zügen ist das Modell Verzeichnissen nachempfunden, wie sie schon in den USA und in Kanada existieren.
Systematisch sollen die Interessenvertreter bestimmte Informationen offenlegen. Geklärt werden soll ihre eigene Identität, aber auch die ihrer wichtigen Auftraggeber sowie die ungefähre Höhe und Herkunft ihrer Finanzmittel. Der Begriff "Lobbyist" wird dabei weit gefasst: Ob Gewerkschaften, NGOs, Denkfabriken, Konzerne, PR- oder Anwaltsfirmen - praktisch niemand soll dem Blick der Öffentlichkeit entwischen.
So weit, so gut - die Schwierigkeiten stek-
ken im Detail. Das Parlament will in einigen Punkten weiter gehen als Kallas. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe hat nun die komplizierte Aufgabe, noch vor Ende 2008 Kompromisse zu finden.
"Freiwillig oder verpflichtend?" ist eine der Kernfragen. Die EU-Kommission plädiert dafür, es zunächst mit einem freiwilligen System zu probieren, das auf bestimmten Anreizen basiert. Dazu hat sie auch schon ein eigenes Pilotprojekt ausgearbeitet, das am 23. Juni starten soll. Das EU-Parlament möchte dagegen eine obligatorische Registrierung nach Vorbild seines bisherigen Verzeichnisses.
Damit nicht genug: Das Parlament verlangt, dass die einzelnen Lobbyisten mit Namen festgehalten werden. Nur die Organisation oder die Firma zu benennen, reiche nicht aus. Auch Sanktionsmechanismen soll es geben: Wer gegen den Verhaltenskodex verstößt, fliegt aus dem Register und verliert dabei Privilegien wie seinen Hausausweis.
Eine "neue Kultur der Transparenz" also, wie der Europaabgeordnete Jo Leinen (SPD) es verkündet? Transparenz-Aktivisten finden zumindest, dass Brüssel fortschrittlicher ist als andere Hauptstädte - etwa Berlin. Dort führt der Bundestag eine "Verbändeliste" - die in ihrem Informationsgehalt nicht an das diskutierte EU-Register heranreicht, wie Ulrich Müller von der Organisation "LobbyControl" meint. Zum einen würden weder Konzernvertretungen noch professionelle Lobby-Agenturen erfasst. Zum anderen macht diese Liste keinerlei Angaben zu Finanzen. Erleichtert ist EU-Kommissar Kallas daher, dass die mächtigen deutschen Lobbyverbände ihm keine größeren Steine in den Weg legen. Sowohl der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) als auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und weitere Gruppierungen hätten das Prinzip der finanziellen Offenheit akzeptiert, berichtet der Kommissar. Ein schärferer Wind wehte ihm in den letzten Monaten aus anderen Richtungen entgegen. Zum Beispiel aus der Rue d?Idalie, direkt neben den futuristischen Gebäudekomplexen des EU-Parlaments. In einem schlichten braunen Bürohaus befindet sich, nicht auf Anhieb erkennbar, der Sitz des Verbandes EPACA.
EPACA versammelt 33 Unternehmen, die professionelle Public Relations-Arbeit für illustre Firmen- und andere Kunden tätigen.
Was sie tun, ist häufig sehr diskret: Sie entwerfen Lobby-Strategien, organisieren Netzwerk-Treffen, veranstalten Medienkampagnen und schreiben zahllose Analysen. "Wir vertreten 75 Prozent aller auf die EU spezialisierten Beraterunternehmen", kann der Verband berichten.
Und er vertritt deren gesammeltes Misstrauen. "Natürlich sind wir nicht gegen mehr Transparenz", sagt der Vorsitzende José Lalloum, ein sympathischer polyglotter Franzose. "Aber es gibt Grenzen, wenn es um die Offenlegung der Beratungsgebühren geht." Kommerzielle PR-Unternehmen seien mit anderen Organisationen nicht vergleichbar. "Wer heikle Informationen über Kundenzahlungen preisgibt, muss mit Wettbewerbsnachteilen rechnen", argumentiert er.
Mit Verve setzte Lalloum sich daher gegen einen Antrag der Grünen und der Linken ein, in dem eine besonders detaillierte Offenlegung der Finanzen gefordert wurde. Zu seiner Zufriedenheit wurde dieser, da missverständlich formuliert, in letzter Minute aus der Abstimmung genommen. Nun wartet EPACA auf den Kommissionsvorschlag zu den Finanzkategorien - der wesentlich gröber ausfallen dürfte als der der Abgeordneten.
Alarmiert sind auch Anwaltsfirmen, die ihre Kunden durch den Dschungel europäischer Rechtsvorschriften führen. Der einflussreiche Verband "Council of Bars and Law Societies" schickte kurz vor der Abstimmung im EU-Parlament eine Flut warnender Briefe an die Abgeordneten. Er verlangte, den Begriff "Lobbyist" so zu definieren, dass Anwälte nur teilweise erfasst würden.
Und hatte nach der Abstimmung Grund zur Freude: Anwälte sollen künftig nur als Lobbyisten gelten, wenn sie Einfluss auf die Politikgestaltung nehmen. Nicht allerdings, wenn sie als Rechtsbeistand auftreten oder Rechtsauskünfte erteilen. Eingebracht hatte den Antrag unter anderem der CDU-Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne, der selbst Rechtsanwalt ist und seit langem auf EU-Recht spezialisiert ist. "Ein bedenkliches Schlupfloch", kritisierte die Organisation LobbyControl. Schließlich sei der Begriff "Rechtsauskünfte" ausgesprochen dehnbar.
Auch der Grünen-Abgeordnete Claude Turmes verlangte, die Anwaltsfirmen in die endgültige Version des Registers so weit wie möglich einzubinden. Diese betrieben eine "besonders subtile Form des Lobbying", so Turmes? Beobachtung. Nun ist die gemeinsame Arbeitsgruppe der EU-Institutionen am Zug, die in den kommenden Monaten versuchen muss, die unterschiedlichen Vorstellungen zusammenzubringen. Verkompliziert wird die Aufgabe dadurch, dass auch der EU-Ministerrat, das Organ der Mitgliedsstaaten, eingebunden werden soll. Fraglich ist daher, ob der Wunsch des spanischen Sozialisten Carlos Carnero in Erfüllung geht: "Es wäre gut", sagt dieser, "wenn das gemeinsame Register noch vor der Europawahl Mitte 2009 in Kraft treten würde."