Italien
Das Parlament ist übersichtlicher geworden. Davon könnte auch die Regierung profitieren
Es gab Zeiten, da glich das italienische Parlament einem Tollhaus, und diese Zeiten sind noch nicht besonders lange her. Erst im Januar war die Regierung des ehemaligen Ministerpräsidenten Romano Prodi unter dem Gejohle der Opposition bei der x-ten Vertrauensabstimmung im Senat gestürzt. Konservative Politiker, die das Ende Prodis herbeigesehnt hatten, entkorkten im Palazzo Madama, in dem der Senat seinen Sitz hat, Champagnerflaschen. Als der christdemokratische Abgeordnete Nuccio Cusumano ankündigte, entgegen der Parteilinie für Prodi zu stimmen, wurde er von seinen Kollegen übel beschimpft, einer spuckte gar in Richtung des Mannes, der dann ohnmächtig aus dem Saal getragen werden musste.
Tempi passati? Welche Kapriolen die bei den Parlamentswahlen vom April gewählten Abgeordneten in Zukunft schlagen werden, bleibt abzuwarten. Jedenfalls hat sich die politische Landschaft Italiens seither grundlegend verändert. Neu ist vor allem, dass sich die Anzahl der politischen Parteien im Parlament deutlich reduziert hat. "Abgeordnetenhaus und Senat werden jetzt wesentlich besser funktionieren", prognostiziert einer der führenden Soziologen Italiens, der Meinungsforscher Renato Mannheimer. Bisher waren Entscheidungen durch die vielen Einzelinteressen häufig blockiert.
Im Vergleich zu Parlamenten anderer Länder hat Italien immer noch ein Überangebot an Parteien. Elf von ihnen sind fortan im Abgeordnetenhaus vertreten, zwölf im Senat. Ein Fortschritt, bedenkt man, dass sich allein die Regierung Prodi aus über 20 Parteien zusammensetzte - und deshalb scheiterte. Die maßgeblich vertretenen Gruppierungen sind nun auf sieben geschrumpft. Silvio Berlusconis Regierung wird von vier Parteien getragen, seiner Forza Italia, die für die Wahlen mit der Alleanza Nazionale zur Wahlliste "Volk der Freiheit" fusioniert ist, der Lega Nord sowie einer kleinen Autonomiebewegung aus Sizilien. Die Opposition bilden die linksliberale Demokratische Partei um Walter Veltroni, das "Italien der Werte" des ehemaligen Staatsanwaltes Antonio di Pietro sowie die Christdemokraten der UDC.
Die Neuordnung der politischen Landschaft Italiens hat mehrere Gründe: Die Einsicht, im Vielparteiensystem keine wichtigen politischen Entscheidungen durchsetzen zu können, war nach der Erfahrung der Regierung Prodi zuerst bei Veltroni und der Demokratischen Partei, der Nachfolgepartei der Sozialdemokraten, gereift. Sie trat daraufhin fast ohne Verbündete zur Wahl an. Berlusconi zog nach und zimmerte ebenfalls ein abgespecktes Wahlbündnis. Dies hatte zur Folge, dass es weniger kleinen Parteien gelang, die Hürden zum Einzug ins Parlament zu überspringen. Das viel kritisierte italienische Wahlrecht (es belohnt die am meisten gewählte Liste mit einem Mehrheitsbonus, weshalb sich bislang möglichst viele Parteien zu einer Wahlkoalition zusammenschlossen) erwies sich nun doch als solide. Allerdings auch deshalb, weil die Wähler den Überfluss der Partitini, der Kleinparteien, satt hatten und sie schlicht nicht mehr wählten. Zu spüren bekam das vor allem die Einheitsliste der kommunistischen Linken, die ganz aus dem Parlament verschwunden ist. Als "revolutionär" bezeichnet Renato Mannheimer diese Entwicklung.
Der Abschied vieler Kleinparteien aus dem Parlament hat für stabilere Verhältnisse gesorgt, wovon auch Berlusconis am 8. Mai vereidigte Regierung profitieren könnte. Gesetzt den Fall, die föderalistische Regionalpartei Lega Nord spielt nicht das Enfant terrible wie in der ersten Regierung unter Berlusconi (1994-1995). Damals platzte das Bündnis schon nach acht Monaten. Die zweite Amtszeit überstand die Allianz von Berlusconis Forza Italia und Lega Nord jedoch (2001-2006). Die der europäischen Integration skeptisch gegenüber stehende Lega wird im neuen Kabinett vier Ministerien bekommen und signalisiert Selbstbewusstsein. Hauptforderungen der Partei sind die Ausweisung krimineller Ausländer, die Räumung illegal an den Stadträndern errichteter Nomadencamps sowie die föderalistische Verteilung von Steuergeldern. Der arme italienische Süden soll weniger vom reichen Norden profitieren. Spannungen sind programmiert. Mit dem Wahlergebnis, nimmt man den Erfolg des früheren Neofaschisten Giovanni Alemanno (Alleanza Nazionale) bei der Bürgermeisterwahl in Rom dazu, haben sich die politischen Kräfte weit nach rechts verschoben.
Erstmals wurde am 30. April mit Gianfranco Fini ein ehemals bekennender Faschist zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer gewählt. Fini hat nun das dritthöchste Amt im Staat inne. Er entstammt dem Movimento Sociale Italiano (MSI), einer aus Mussolinis faschistischer Partei hervorgegangenen Gruppierung. 1994 gründete Fini in der Nachfolge des MSI die Alleanza Nazionale und distanzierte sich erst 2003 von der Ideologie seiner politischen Ahnen. Heute wird die Alleanza Nazionale, die sich öffentlich zu Pluralismus und zur europäischen Einigung bekennt, in Italien mehrheitlich als eine dem demokratischen Rechtsstaat verpflichtete Partei betrachtet.
In welche Richtung wird sich Italien in der nächsten, auf fünf Jahre angelegten Legislaturperiode entwickeln? Selbst konservative Europäer haben bereits ihre Skepsis gegenüber den radikalen Tendenzen der italienischen Rechten geäußert. Die Europäische Union hat die Fortführung der von Prodi eingeschlagenen wirtschaftlichen Konsolidierung bereits angemahnt.
Berlusconis Regierung wird sich an großen Aufgaben messen lassen müssen: an der Reduzierung des enormen Staatsdefizits, an institutionellen Reformen sowie am Abbau des Verwaltungsapparats. Politische Ränkespiele kann sich Italien nicht mehr erlauben.