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Gültig ab: 15.04.2005 00:00
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Jobkrise – was hilft jetzt?

Bild: Blick in das Studio. In der Mitte sitzt Sönke Petersen
Blick in das Studio.

Bild: Rainer Wend
Im Gespräch: Rainer Wend ...

Bild: Dagmar Wöhrl
... und Dagmar Wöhrl.

Bild: Dagmar Wöhrl und Rainer Wend
Dagmar Wöhrl und Rainer Wend.

Streitgespräch Jobgipfel

Ein Hauch von Großer Koalition hängt über Berlin. Nach dem Jobgipfel zwischen Bundesregierung und Opposition keimt zumindest ein bisschen Hoffnung auf, dass sich die dramatische Lage am deutschen Arbeitsmarkt verbessern könnte. Doch reichen die verabredeten Maßnahmen aus?
Und: Welche Rezepte helfen wirklich aus der Jobkrise? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit der wirtschaftspolitischen Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion Dagmar Wöhrl und dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses des Bundestages, Rainer Wend (SPD).

Blickpunkt Bundestag: Hat sich der mit vielen Erwartungen begleitete Jobgipfel gelohnt?

Rainer Wend: In jedem Fall. Denn es wurden in der Sache vernünftige Vereinbarungen getroffen. Etwa zur Unternehmenssteuerreform, Erbschaftsteuer, zu Bürokratieabbau und Investitionen.

Dagmar Wöhrl: Ein bisschen Wasser muss ich schon in den Wein gießen. Zwar haben beide Seiten den Willen gezeigt, die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen, jedoch liegen die Gesetzentwürfe noch nicht auf dem Tisch. Zugleich ist deutlich geworden, dass die rot-grüne Bundesregierung an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stößt. Dennoch: Besser als nichts war das auf jeden Fall. Einen wirklichen Fortschritt sehe ich vor allem in der Senkung der Unternehmenssteuern, auch wenn es nur Kapitalgesellschaften hilft, und in der erleichterten Erbschaftsbesteuerung bei Betriebsübergängen. Das rettet viele mittelständische Betriebe vor der Zerschlagung.

Blickpunkt: War das der „nationale Aufbruch“, den der Bundespräsident gefordert hat?

Wöhrl: Der war in der jetzigen Konstellation wohl nicht möglich. Denn der große Wurf, der Aufbruch, wäre nur gelungen, wenn wir entscheidende Fortschritte bei der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gemacht hätten. Dazu aber waren SPD und Grüne nicht bereit.

Wend: Es ist nicht unsere Aufgabe, Forderungen des Bundespräsidenten nachzukommen, sondern das zu machen, was für das Land jetzt notwendig ist. Und da sind wir einen großen Schritt weitergekommen. Beide großen Parteien haben gezeigt, dass sie über ihren eigenen Schatten springen können und in schwierigen Zeiten gemeinsame Lösungen finden. Dieses Signal sollte man nicht gering schätzen.

Blickpunkt: Werden nach dem Jobgipfel Regierung und Opposition nun dauerhaft gemeinsam dicke Bretter bohren?

Wöhrl: Das wird man sehen. Es kann durchaus sein, dass noch weitere Gespräche stattfinden. Die SPD kann immer auf uns zählen, wenn es um mehr Wachstum und die Schaffung neuer Arbeitsplätze geht, weil sie mit den Grünen einen Partner hat, von dem man das Gefühl hat, den interessieren Arbeitsplätze überhaupt nicht.

Wend: Unsinn! Ich möchte mit Ihrem Wunschpartner FDP nicht tauschen. Der ist nun wirklich einseitig klientelorientiert. Alle Spekulationen, die sich über eine feste formalisierte Zusammenarbeit ranken, entbehren jeder Grundlage. Diese Koalition steht und ist handlungsfähig. Das ändert aber nichts daran, dass man über den Tag hinaus kooperieren sollte, wenn es um Wachstum und Beschäftigung geht.

Blickpunkt: Reicht denn das Beschlossene zur Anregung von Konjunktur und Wachstum aus?

Wöhrl: Aus unserer Sicht nicht. Was fehlt, sind vor allem die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, eine gezielte Entlastung des Mittelstandes und eine nachhaltige Entbürokratisierung. Alles, was Arbeit schafft, muss Vorfahrt haben. Das ist leider noch nicht in angemessener Weise angegangen worden.

Wend: Nun mal langsam, Frau Kollegin, es ist ja eine Menge geschehen in letzter Zeit. Wir haben die größte Steuerentlastung vorgenommen, die es je in unserer Republik gegeben hat; wir haben den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent, den Eingangsteuersatz von 25,9 auf 15 Prozent gesenkt; wir haben unsere Sozialsysteme zusammengelegt; wir haben im Rentenbereich eine Eigenbeteiligung eingeführt, bei der Gesundheitsreform den Bürgern eine Menge abverlangt – also, man kann nicht sagen, dass nicht vieles in Bewegung ist. Deshalb kommt es jetzt auch nicht so sehr auf zusätzliche Maßnahmen an, sondern darauf, dass Unternehmer, Kommunen und Arbeitnehmer das von uns geschaffene Reformklima aufgreifen und Geld ausgeben – in Investitionen und in den Konsum. Dann wird die Konjunktur auch nachhaltig anspringen.

Blickpunkt: Was bringt die Senkung der Unternehmenssteuer?

Wöhrl: Die ist schon sehr wichtig. Denn wir haben im internationalen Vergleich die höchste Steuerbelastung und stehen im Wettbewerb mit den neuen EU-Ländern, die teilweise mit niedrigen Steuersätzen von 19 Prozent agieren. Dass wir da nun aufschließen, begrüße ich sehr. Allerdings müssen wir darauf achten, dass davon nicht nur die Kapitalgesellschaften, sondern vor allem die mittelständischen Betriebe profitieren. Denn sie vor allem schaffen Arbeitsplätze. Noch wichtiger erscheint mir, dass wir nicht nur zu punktuellen Änderungen kommen, sondern das gesamte Steuersystem reformieren. Das ist, ich weiß es, kompliziert, aber wir müssen es jetzt in Angriff nehmen.

Blickpunkt: Bund und Länder können sich keine weiteren Einnahmeausfälle leisten. Wie also soll die Steuersenkung gegenfinanziert werden?

Wend: Frau Wöhrl hat Recht, wenn wir an den Unternehmenssteuern was verändern, muss es dabei vorrangig um den Mittelstand gehen. Zur Gegenfinanzierung müssen wir die bisherigen Abschreibungs- und Verrechnungsmöglichkeiten verringern. Denn Unternehmen haben in Deutschland zu viele legale Möglichkeiten, ihren Gewinn künstlich zu drücken. Der Staat hat mehr davon, wenn Betriebe 25 Prozent Steuern auf einen tatsächlichen Gewinn als 38 Prozent auf einen künstlich heruntergerechneten Gewinn zahlen. Deshalb müssen wir Schlupflöcher schließen und zu einer breiteren Bemessungsgrundlage kommen.

Wöhrl: Wir müssen ein einfaches Steuersystem mit niedrigeren Steuersätzen anstreben, solide finanziert und ohne neue Schuldenaufnahme. Dadurch schaffen wir einen Anreiz, dass die Unternehmen wieder investieren, denn eines unserer großen Probleme in Deutschland ist doch die mangelnde Investitionsquote vieler Unternehmen.

Blickpunkt: Nun gibt es Großunternehmen, die trotz glänzender Gewinne massenhaft Leute entlassen. Ist die Gewinnmarge überhaupt noch ausschlaggebend für die Beschäftigungsquote?

Wöhrl: Die Gewinnmarge bleibt die wichtigste Größe für einen Unternehmer. Kein Unternehmer wird dauerhaft tätig sein und investieren, ohne Gewinn machen zu können.

Wend: Im Grundsatz stimmt das. Aber wir müssen auch über soziale Verantwortung reden, wenn Unternehmen wie die Deutsche Bank Gewinne von 20 Prozent machen und dennoch Arbeitsplätze abbauen. Schließlich steht im Grundgesetz: Eigentum verpflichtet. Mittelständische Betriebe verhalten sich zumeist viel verantwortungsvoller: Sie investieren, denken langfristig und haben ein anderes Verhältnis zum Personal als anonyme Aktiengesellschaften. Deshalb scheint mir eine moralische Wertedebatte unerlässlich.

Blickpunkt: Deutschland ist zur Genehmigungsrepublik geworden. Wie wichtig ist die Entbürokratisierung?

Wöhrl: Unendlich wichtig. Die vielen Auflagen und langen Genehmigungszeiten bei uns treiben immer mehr Betriebe ins Ausland. Das können wir uns nicht länger leisten.

Wend: Richtig. Das Problem dabei ist nur, dass jeder für Entbürokratisierung ist, wenn es aber konkret um den Abbau von Vorschriften etwa im Planungs- oder Arbeitsschutzrecht geht, bauen sich schnell Widerstände auf.

Blickpunkt: Sollten die Sozialkosten ganz von den Arbeitskosten abgekoppelt und über höhere Steuern finanziert werden? Können Sie sich damit anfreunden?

Wöhrl: Darüber müssen wir wirklich diskutieren. Unsere Lohnnebenkosten sind viel zu hoch. Wir müssen über neue Systeme nachdenken. Es geht nicht weiter an, dass 26,4 Millionen sozialversicherte Beschäftigte 82 Millionen Einwohnern, davon 20 Millionen Rentner und fünf Millionen Kinder, gegenüberstehen. Das hält unser System nicht mehr aus.

Wend: Wenn wir nicht wollen, dass die Menschen bei uns zu polnischen Löhnen arbeiten müssen – und das kann niemand wollen – dann müssen wir in der Tat über die Lohnnebenkosten sprechen. Wenn wir nicht erhebliche Abstriche in unserem Sozialniveau hinnehmen wollen, müssen wir sie anders finanzieren, und das geht am Ende nur über Steuern. Der Weg ist richtig, aber er wird lang und schwierig werden.

Das Gespräch führte Sönke Petersen.
Fotos: Photothek
Erschienen am 18. April 2005

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