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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Die Grenzgängerin
Gültig ab: 17.09.2008 10:19
Autor: Karl-Heinz Reith
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Die Grenzgängerin

Bildung für alle: Nele Hirsch in einem Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität
Bildung für alle: Nele Hirsch in einem Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität
© DBT/Anke Jacob

Nele Hirsch (Die Linke)

Seit mehr als drei Jahren sitzt Nele Hirsch im Bundestag. Im Westen ist sie aufgewachsen, im Osten ging sie in die Politik, zunächst als Studentin, die sich gegen Studiengebühren engagierte, 2005 schließlich als bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag. Damals war sie gerade 25 Jahre alt. Über den Mund fahren lässt sie sich deshalb noch lange nicht.

Meist hat Nele Hirsch mit den häufigen, bisweilen auch heftigen Zwischenrufen während ihrer Reden im Parlament keine Probleme. Grantig kann die 29-jährige Abgeordnete allerdings immer dann reagieren, wenn man sie nach dem Motto „Was erzählt uns die Kleine denn da” in die Ecke der Jungen und Unbedarften abstellen will. Denn erstens ist die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke und frühere Studentenfunktionärin längst keine Unerfahrene mehr. Und zweitens zählt die Abgeordnete mit ihrer Körpergröße von 178 Zentimetern wahrlich nicht gerade zu den Kleinsten im Deutschen Bundestag.

„Als Abgeordnete habe ich die Chance und die Verpflichtung, der Regierung zu sagen: Da funktioniert etwas nicht.”

Aufgewachsen im Westen, Studium und politische Arbeit im Osten: Hirsch hat ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnlicher Karriereweg in den Bundestag geführt. Als ehemalige bundesweite Studentenvertreterin über die Landesliste der PDS in Thüringen direkt ins Parlament – das passiert nicht alle Tage. Hirsch bekennt: „Als ich im Herbst 2005 das Mandat annahm, wollte ich erst noch nebenher weiterstudieren. Doch dann habe ich entschieden, mich voll auf meine Arbeit als Abgeordnete zu konzentrieren.”

Dabei war Hirsch eine fleißige Studentin. Als sie sich im Herbst 1999 in Jena für Politikwissenschaft und Interkulturelle Wirtschaftskommunikation einschrieb, hieß es zugleich auch, viele Sprachen zu lernen: Arabisch, später dann Japanisch und gleichzeitig noch die Kenntnisse in Englisch, Französisch und Russisch verbessern. Für jemanden, der in der Studentenpolitik so engagiert wie Hirsch war, folgte ungewöhnlich schnell die Magister-Zwischenprüfung, dann das Große Arabicum. Nach einem weiteren Jahr Auslandsstudium im japanischen Osaka schloss sie dort das Asienwissenschaften-Programm ab – vergleichbar mit einem Bachelor. Als Tochter eines Lehrerpaars erhielt Hirsch kein BAföG. Also jobbte sie in den Semesterferien noch neben Studium und politischer Arbeit, um sich Reisen und weitere Hochschulvisiten, etwa in Peking oder im syrischen Damaskus, leisten zu können.

Ganz der Hochschulpolitik verschrieb sich Hirsch dann ab Herbst 2003, als sie in den Vorstand des „freien zusammenschlusses von studentInnenschaften” (fzs) aufrückte. Während ihrer Amtszeit kippte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das Studiengebührenverbot im Hochschulrahmengesetz. Bundesweit setzte anschließend an den Hochschulen eine turbulente Debatte über das Für und Wider von Studiengebühren ein. Zugleich erfuhren immer mehr Studenten mit der Einführung der neuen Bachelor-Studiengänge, was es heißt, unter Zeitdruck ein straff vorgegebenes und großes Stoffpensum bewältigen zu müssen. Der ohnehin nicht gerade große Kreis der politisch Engagierten unter den Studenten schrumpfte immer mehr. Als „fzs”-Funktionärin reiste Hirsch von Hochschule zu Hochschule, bestritt Podiumsdiskussionen, gab den Medien Interviews und referierte auf Veranstaltungen von ver.di und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Bildung für alle: Nele Hirsch in einem Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität

© DBT/Anke Jacob

Die beiden hektischen Jahre beim „fzs” haben Hirsch geprägt. Als bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion redet sie im Parlament heute natürlich auch über Themen wie Entwicklung der Auslandsschulen oder Modularisierung von Berufsbildungsgängen. „Das ist wichtig. Doch hier musste ich mich erst einarbeiten”, sagt sie. Mit spürbarer Leidenschaft ist Hirsch am Ball, wenn es um Hochschulprobleme geht: Um das BAföG, den an vielen Universitäten ausgeweiteten Numerus clausus, den wachsenden Mangel an akademisch ausgebildeten Fachkräften, um Studiengebühren oder etwa den laut Sozialerhebung immer noch viel zu geringen Studienchancen von Arbeiterkindern in Deutschland.

In Sitzungswochen trifft Hirsch schon „unstudentisch früh” am Morgen in ihrem Abgeordnetenbüro Unter den Linden ein. Ihr Privatquartier in Berlin hat sie in Neukölln. Der morgendliche Gang durch den Problemstadtteil ist für sie eine Art „Eintauchen in ein Stück Lebensrealität”, sagt sie. An einer benachbarten Kneipe prangt das Schild: „Hier gibt es Bier für Hartz IV – Ein Euro”.

In Berlin nutzt die Abgeordnete häufiger öffentliche Verkehrsmittel als die Fahrbereitschaft des Bundestages. „Mit der U-Bahn bin ich in der Regel viel schneller.” Aber natürlich lässt sie sich auch mal zu Terminen fahren. Anfangs sei es schon „ein merkwürdiges Gefühl” gewesen, als Linke in so eine schwarze Limousine einzusteigen. Hirsch: „Ich genieße das nicht, erschrecke aber auch nicht mehr.”

Im Büro morgens ihre ersten Fragen: „Was passiert heute im Ausschuss, was steht im Plenum an, was läuft heute pressemäßig?” Die Hochschulszene ist klein. Man kennt sich untereinander. In vielen E-Mails, Anfragen und Briefen, die Hirsch von Interessierten auch außerhalb ihrer Partei erhält, wird die Abgeordnete oft geduzt. „Hallo Nele” beginnt so manche Einladung. „Viele kennen mich noch als Studentin aus der fzs-Zeit.”

Das Private ist politisch

Neben der Luxus-Kaffeemaschine in ihrem Büro hängen Bildungsposter der GEW, neue und alte Plakate mit Aufrufen zu Podiumsdiskussionen oder Demonstrationen. „Thüringen zum Tanzen bringen” heißt es auf einer großen Veranstaltungsankündigung, die an ihrer Bürotür prangt. Das ist natürlich auch politisch gemeint. In diesem Jahr wird dort auch ein neuer Landtag gewählt.

Am Schreibtisch nascht Hirsch gern Plätzchen. Gästen bietet sie Vanilletee oder starken Kaffee an. Die Marke „Sandino-Dröhnung” im Regal demonstriert ungebrochene Nähe zur Alternativkultur.

„Es gibt nur wenig Trennung zwischen meinem Privatleben und der Politik. Das war früher auch schon so. Ich konnte das nie trennen”, sagt Hirsch. Schon vor dem Abitur war sie, die mit drei Geschwistern in einem kleinen Dorf im Zollernalbkreis (Baden-Württemberg) aufwuchs, als Schülervertreterin politisch aktiv.

Mehr noch als in Berlin ist sie in der Hochschulszene und im studentischen Milieu in Erfurt zu Hause. Ihr Lebenspartner studiert dort Literatur und Philosophie. Hirsch: „Wir haben viele studentische Freunde.” In Gotha unterhält sie ein „offenes Jugendbüro”. Dort gibt es zwar auch die üblichen Bürgersprechstunden der Parlamentarier. Doch ab nachmittags wird das Büro meist eher zum Klubhaus und zur Begegnungsstätte. Hinter einer großen Glasscheibe treffen sich bis in den späten Abend hinein etwa Antifa-Gruppen, Jugendliche und Studenten. Hirsch: „Dort ist jeden Abend etwas los.”

Ein weiteres Büro hat Hirsch in Ilmenau. Ihre drei Mitarbeiter in Thüringen werden von zwei Studenten unterstützt. Hirsch: „Im Wahlkreis ist natürlich nicht nur mein Wissen in der Bildungspolitik gefragt, sondern das gesamte Kompetenzprofil eines Abgeordneten” – von Auskunft und Beratung bis hin zur praktischen Lebenshilfe.

Hirsch ist stolz darauf, was sie als Abgeordnete in den vergangenen drei Jahren auf den Weg gebracht hat – in ihrem Wahlkreis Gotha-Ilm-Kreis in Thüringen genauso wie als bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion in Berlin. In ihrer Partei spürt die aus dem Westen Zugereiste keine Ressentiments. „Ich habe auch keine typischen Wessi-Allüren”, beteuert Hirsch. Und ein wenig schmunzelnd fügt die junge Abgeordnete hinzu, dass die älteren Genossen doch noch alle die klassisch marxistische Erziehung erfahren hätten. „Da gibt es politisch große Übereinstimmung.”

„Für die Bildung gibt es dann nur noch Absichtserklärungen. Das ist der größte Skandal.”

Dass der Bildungsgipfel von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Oktober mit so wenig konkreten Bund-Länder-Beschlüssen in Sachen Bildungsfinanzierung endete, bringt die junge Abgeordnete in Rage. Innerhalb weniger Tage habe die Koalition eine Woche vor dem Gipfel ein Milliarden-Rettungspaket für die Banken schnüren können – „doch für die Bildung gibt es dann nur noch Absichtserklärungen. Das ist der größte Skandal”, kritisiert Hirsch. Dabei habe doch die Kanzlerin mit ihrer Bildungsreise quer durch die Republik monatelang überall hohe Erwartungen geschürt.

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Zeiten einer Großen Koalition von Union und SPD macht sich Hirsch nichts vor: Ihre bisweilen scharfen Kommentare, ihre kritischen Reden und Anfragen können oft nicht mehr sein als ein Stachel im Fleisch. „Als Abgeordnete habe ich die Chance und die Verpflichtung, der Regierung zu sagen: Da funktioniert etwas nicht.”

„Ausbildung ist keine Wohltat von Unternehmen. Ausbildung ist Pflicht.”

Von dieser Möglichkeit macht Hirsch auch fleißig und stets streitbereit Gebrauch – ob im Bildungsausschuss oder im Plenum. Entschieden kritisierte sie gleich zu Beginn der Legislaturperiode die von Union und SPD ausgehandelte Föderalismusreform – laut Hirsch ein „fauler Kompromiss” zu Lasten der Bildung. Am Hochschulrahmengesetz möchte Hirsch festhalten. Gegen fehlende Lehrstellen will Hirsch lieber mit einer Ausbildungsumlage vorgehen – statt des von den Regierungsfraktionen beschlossenen Ausbildungsplatzbonus. Hirsch: „Ausbildung ist keine Wohltat von Unternehmen. Ausbildung ist Pflicht.”

2009 möchte Hirsch noch einmal für den Bundestag kandidieren. „Ich denke, zwei Perioden sind in Ordnung.” Sie habe so viel in den vergangenen Jahren begonnen. Das möchte sie jetzt nicht „so stehen lassen”. Hirsch: „Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, die Zeit bis zur Rente im Bundestag zu verbringen.” Schließlich gebe es auch „außerhalb des Parlaments so viel Spannendes”.

Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag will Hirsch nicht in die Wissenschaft. „Ich wäre auch ohne Mandat politisch aktiv geworden”, bekennt sie. Und für einen „politisch tätigen Menschen” würden sich immer Möglichkeiten finden, sich einzumischen – sei es bei den Gewerkschaften oder etwa dem globalisierungskritischen Netzwerk attac – oder anderen Organisationen. 

Text: Karl-Heinz Reith
Erschienen am 25. Februar 2009

Zur Person:

Nele Hirsch, geboren am 16. Januar 1980, kam 2005 über die Landesliste der Partei Die Linke in den Deutschen Bundestag. Sie ist bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Hirsch wuchs in Baden-Württemberg auf. Nach dem Abitur begann sie ihr Studium in Jena mit den Schwerpunkten Politikwissenschaft, Interkulturelle Wirtschaftskommunikation und Islamwissenschaft. Nach Studienaufenthalten in Osaka (Japan), Peking (China) und Damaskus (Syrien) wurde Hirsch 2003 Vorstandsmitglied des bundesweiten Studierendenverbandes „freier zusammenschluss von studentInnenschaften” (fzs). Hirsch ist unter anderem Mitglied bei ver.di, der GEW und im Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdW).

E-Mail: cornelia.hirsch@bundestag.de
WWW: www.nele-hirsch.de


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