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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Denkfabrik des Parlaments
Gültig ab: 29.06.2006 13:55
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Denkfabrik des Parlaments

Bild: Die Kuppel des Reichstagsgebäudes bei Nacht.
Die Kuppel des Reichstagsgebäudes bei Nacht.

Bild: Ausarbeitung zum Thema Bundeswehreinsatz im Innern: Ein Soldat kontrolliert einen PKW.
Ausarbeitung zum Thema Bundeswehreinsatz im Innern: Ein Soldat kontrolliert einen PKW.

Bild: Gesetzbücher und Aktenstapel.
Gesetzbücher und Aktenstapel.

Bild: WD-Thema Kolonialgrenzen und aktuelle Konflikte: Deutsche Kolonien in Westafrika.
WD-Thema Kolonialgrenzen und aktuelle Konflikte: Deutsche Kolonien in Westafrika.

Bild: Wissenschaftliche Arbeit und Recherche.
Wissenschaftliche Arbeit und Recherche.

Bild: WD-Recherche zu Mikrochips in Kleidungsstücken: Turnschuh mit Elektronikbauteil.
WD-Recherche zu Mikrochips in Kleidungsstücken: Turnschuh mit Elektronikbauteil.

Bild: Gemeinsame Ausarbeitung am PC.
Gemeinsame Ausarbeitung am PC.

Bild: WD-Gutachten zur Föderalismusreform: Fahnen der Bundesländer.
WD-Gutachten zur Föderalismusreform: Fahnen der Bundesländer.

Bild: Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Wissenschaftliche Dienste für Abgeordnete

In dieser Fabrik zischt und knallt nichts. Leise summen die Computer, schnarren die Telefone, rattern die Faxgeräte. Denn nicht Lautstärke markiert die Arbeit in der Denkfabrik des Deutschen Bundestages, sondern inhaltliche Stärke. In einer immer komplizierter werdenden Welt gilt die über 400 Jahre alte Erkenntnis des englischen Staatsmannes Francis Bacon mit jedem Tag mehr: Wissen ist Macht. Deshalb sind die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, die parlamentseigene Denkfabrik, zwar ein wenig bekannter, aber nicht zu unterschätzender Faktor für die Wirkung und für die Qualität der Abgeordnetenarbeit.

Wissenschaftliche Dienste, oder kurz: WD, heißt diese Denkfabrik. Sie steht jedem Abgeordneten zur Verfügung. Und sie wird lebhaft genutzt, weil sie unabhängig und objektiv arbeitet. „Eines der Glanzlichter des Bundestages“, nennt sie der CDU/CSU-Abgeordnete Willy Wimmer, der die WD seit fast 30 Jahren nutzt. „Es reicht nicht, bei Google ein wenig zu recherchieren, wenn ich für meine Arbeit belastbare Informationen brauche“, erläutert der SPD-Abgeordnete Lothar Binding. Da seien ihm die WD „schon sehr oft sehr hilfreich gewesen – auch wenn es mal schnell gehen musste“.

Die Ansprüche an die WD-Gutachter sind so vielfältig wie das Leben. Manchmal reichen zwei bis drei Telefonate, um eine der mehreren tausend Anfragen pro Wahlperiode zu beantworten. Manchmal sitzen die Gutachter auch zwei bis drei Tage an einer Ausarbeitung oder auch schon mal zwei bis drei Wochen. Aber die daraus resultierenden Schriften über 20 bis 30 Seiten sind nicht die Regel. Denn der Trend geht eindeutig zur schnell verwertbaren Information: Dass der Abgeordnete auf ein bis drei Seiten schnell erfassen kann, wie der aktuelle Sachstand ist, wo die Probleme lauern und welche Lösungen die Experten vorschlagen.

Genau das ist der Anspruch an die Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste: Komplexe Zusammenhänge knapp und präzise darzustellen, zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Parlamentsarbeit. Nicht etwa eigene Forschung, sondern wissenschaftliche Politikberatung heißt der Auftrag. Sie bilden so ein Gegengewicht zum ministeriellen Expertenapparat der Regierung, gewährleisten unabhängige Zuarbeit für die Parlamentarier und tragen so zur effektiven Regierungskontrolle bei.

Der Strom der Anfragen läuft unabhängig vom Sitzungsrhythmus des Parlaments. Denn Fragen entstehen bei den Abgeordneten überall, nicht nur bei der Vorbereitung von Initiativen in den Fachgremien der Fraktionen oder Ausschüssen, sondern auch in den Wahlkreisen. So braucht der eine ganz schnell Hintergründe über Brauchtumsfeuer, weil sich hier plötzlich erhebliche Umweltgefahren auftun, ein anderer benötigt Informationen zur Jugendweihe, weil er zu diesem für ihn fremden Ereignis eingeladen wurde. Und es kann auch passieren, dass am Heiligabend zwischen elf und 14 Uhr noch rasch eine Ausarbeitung über Hochsicherheitslaboratorien angefragt wird.

Anfrage vom Minister

Papiere, die vom Grundsatz her viele interessieren könnten, machen die WD auch öffentlich zugänglich. Und oft greifen die Gutachter auch Themen auf, bei denen es sozusagen „in der Luft liegt“, dass Hintergrundinformationen für die aktuelle Diskussion besonders sinnvoll sind. Doch grundsätzlich ist jede Ausarbeitung individuell für jeden einzelnen anfragenden Abgeordneten bestimmt, der dann davon Gebrauch machen kann, ohne als „Besteller“ in Erscheinung zu treten. Nicht selten erleben die Bundestagswissenschaftler dann aber doch, dass ihr Gutachten mit teils großer Medienresonanz die Runde macht. Die Schlagzeile „Gutachten des Bundestages hält Regierungsentwurf für verfassungswidrig“ klingt eben sehr spektakulär und ist möglicherweise im Sinne des Auftraggebers, der sie deshalb gern im politischen Schlagabtausch verwendet.

Aber sie funktioniert nur, weil die WD im Laufe der Jahre ein herausragendes Renommee gewonnen haben: Weil sie eben nicht parteiisch sind, nicht nach dem Munde des jeweiligen Auftraggebers schreiben, sondern unparteiisch und überparteilich an die Sache herangehen, erreichen sie eine unbestrittene Glaubwürdigkeit. Wobei die Schlagzeile selbst natürlich etwas irreführend ist: Denn die Stellungnahmen der WD sind ja keine Stellungnahmen oder Beschlüsse des Bundestages, sondern Fachgutachten des jeweiligen Verfassers. Politische Schlüsse müssen die Auftraggeber, also die Abgeordneten, selbst daraus ziehen.

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In der inzwischen entstandenen wissenschaftlichen Literatur über die WD wird die Denkfabrik des Bundestages häufig als Instrument für die Opposition bezeichnet. „Das ist einfach nicht wahr“, heißt es übereinstimmend bei den Gutachtern. Was auch Wimmer nachdrücklich bestätigt. Er hat viele Jahre als Oppositionspolitiker erlebt und viele Jahre als Koalitionsabgeordneter, war als Parlamentarischer Staatssekretär auch Mitglied der Regierung. Aber die WD hat er stets unabhängig von seinem jeweiligen Status genutzt. Einige Gutachter verweisen hinter vorgehaltener Hand darauf, sogar schon für amtierende Bundesminister gearbeitet zu haben. Möglicherweise zogen es ausgerechnet diese Spitzenpolitiker, die über einen großen Apparat im eigenen Haus verfügen, vor, sich wirklich ein unabhängig erarbeitetes Bild vermitteln zu lassen. Ein schönes Kompliment für die Arbeit der WD.

Was machen die Abgeordneten in der Regel mit den Gutachten? Anna Lührmann von Bündnis 90/Die Grünen etwa ist gerade dabei, einen Zeitungsbeitrag mit der provokativen These „die Bundesländer abschaffen!“ zu verfassen. Sie weiß, dass sie sich damit angreifbar macht. Deshalb will sie ihr Konzept argumentativ wasserdicht machen und hat die WD gebeten, ihr einen fundierten wissenschaftlichen Hintergrund über die Länderkompetenzen zu liefern. Aber auch, wenn sie eine Rede vorbereitet, ist es für sie „immer ein beruhigendes Gefühl, jederzeit auf einen guten Wissensfundus zurückgreifen zu können“. Und deshalb plädiert sie dafür, die Wissenschaftlichen Dienste noch weiter auszubauen; sie seien „für das Funktionieren des Parlamentes sehr wichtig“.

Schrittmacherpotenziale

Auch die FDP-Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist „voller Lob“ über die WD. „Mit der Ausstattung eines Abgeordnetenbüros ist es einfach nicht zu leisten, in so kurzer Zeit so viele Materialien zusammenzustellen, wie wir das oft benötigen“, lautet ihre Beschreibung. Einen ersten Zwischenstand zum Gewünschten gibt es meist schon nach kurzer Zeit, die komplette Ausarbeitung folgt dann zügig hinterher. „Es ist nicht so, dass ich die Bewertungen der Wissenschaftlichen Dienste dann auch immer eins zu eins übernehme, so wie jüngst zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren, aber für die Ausarbeitung meiner eigenen Argumentation spielen die Gutachten eine wichtige Rolle.“ So werde sie auf Fundstellen und Aspekte aufmerksam, die sie vorher nicht gesehen habe, und komme durch die Antworten zu neuen Fragestellungen.

Mitunter besteht der Kontakt mit den WD für die Abgeordneten nicht nur aus Bestellen und Bekommen. Petra Sitte (Die Linke.) etwa gibt die Neugier nicht an der Garderobe ab, wenn sie von den Bundestagswissenschaftlern eine Ausarbeitung erwartet. „Kürzlich habe ich da parallel selbst noch etwas rumgegrast und bin auf einen weiteren interessanten Punkt gestoßen“, erinnert sie sich. Ein Anruf beim Gutachter: „Wissen Sie schon, dass ...?“ Der wusste nicht – und bedankte sich nun seinerseits für den Tipp. Die Unterstützung durch die WD ist für die Abgeordnete von herausragender Bedeutung, „damit man keinen fachlichen Quatsch erzählt, denn Politiker sollen ja zu allem etwas sagen können, und ich hasse es, wenn Leute über Dinge reden, mit denen sie sich nicht richtig beschäftigt haben.“ Deshalb schätzt die Politikerin die WD-Gutachten „in ihrer Gründlichkeit“. Und: „Dadurch kann man sich bei der eigenen Vorbereitung viel Zeit sparen.“

Willy Wimmer von der CDU/CSU kann sich seine Arbeit ohne die WD gar nicht vorstellen. Gerade die historischen Bedingungen stellten oft den Schlüssel zum Verständnis der aktuellen politischen Krisen dar. Die Deutschen machten den Fehler, so zu tun, als habe es vor 1945 nichts gegeben, in anderen Ländern werde hingegen über Vorgänge aus dem 14. Jahrhundert „so gesprochen, als wenn es gestern wäre“. So habe er etwa mit Hilfe der WD wichtige Zusammenhänge zwischen den alten Kolonialgrenzen und den aktuellen Konfliktgebieten erkennen können.

Für ihn sind die Wissenschaftlichen Dienste deshalb auch eine „Einrichtung, die einen schlauer macht“ und den Weg zu „besseren politischen Konzepten“ bereitet. Die Dimensionen aktueller Probleme seien nach der Lektüre der Gutachten wesentlich greifbarer – wie etwa jüngst, als auch alle nicht physikalisch vorgebildeten Abgeordneten durch ein plastisches Gutachten zum iranischen Nuklearkonflikt lernen konnten, welcher Voraussetzungen es bedarf, damit bei der friedlichen Nutzung von Kernenergie atomwaffenfähige Produkte entstehen.

Antworten bei Hotline W

Gutachten enthalten zuweilen auch das Potenzial, Schrittmacherfunktion für die Gesetzgebungsarbeit zu übernehmen. So sieht es Binding etwa bei den Erkenntnissen, die ihm die WD über die neue Generation von winzigen Mikrochips mit Antenne, die RFIDs, lieferten, wie sie beispielsweise in Pullover eingenäht werden können. Was hier eigentlich nur die Voraussetzungen für vollkommen automatisierte Lagerhaltung, Verkaufsstatistik und Nachbestellwesen schafft, birgt tatsächlich die Gefahr, ein komplettes „Bewegungsprofil“ des einzelnen Menschen erstellen zu können. Die WD-Recherche verdeutlichte hier die besondere Datenschutz-Problematik. Binding: „Eine hochbrisante Angelegenheit.“ Nicht selten reichen die Antworten der Wissenschaftlichen Dienste über das spezielle Interesse des fragenden Abgeordneten hinaus. „Solche Antworten gibt man dann an die zuständigen Arbeitsgruppen in der Fraktion weiter, damit auch sie auf diese wichtigen Informationen aufmerksam werden“, berichtet Binding. Immer wieder lösen Untersuchungen große Resonanz im ganzen Parlament und in der Öffentlichkeit aus. Jüngst zum Beispiel die Gutachten über die Auswirkungen der Föderalismusreform oder über Studiengebühren – Arbeiten, die jeweils in vierstelliger Zahl nachgefragt wurden.

Die meisten Anfragen erreichen die Gutachter über die schon vor Jahren eingerichtete „Hotline W“. Petra Düwel nimmt mit neun Kollegen in dieser Anlaufstelle zentral alle Informationswünsche der Abgeordneten entgegen. Mit ihr an einem normalen Arbeitstag ein ruhiges Gespräch zu führen, ist gar nicht so einfach. Dauernd kommt das Telefonläuten dazwischen. Auch über ein spezielles Formular im Intranet des Bundestages, über E-Mail, Fax und Hauspost gehen die Anliegen der Abgeordneten und ihrer Büros ein. Etwa jede dritte Anfrage kann die Hotline selbst bereits ohne Einschalten eines Gutachters beantworten. Die Mitarbeiter sind an die weltweit wichtigsten Datenbanken angeschlossen und wissen, wo im Bundestag welche Ressourcen vorgehalten werden, was etwa die Bibliothek, das Parlamentsarchiv oder die Pressedokumentation leisten können. Das Stichwort heißt „Informationsmanagement“.

Gerburg Trommsdorff-Gerlich, heute Chefin der „Unterabteilung WD“ mit ihren elf verschiedenen Fachbereichen, kann sich gut an ihren Einstieg in die Bundestagsverwaltung erinnern. Anfang der 70er war die Juristin gemeinsam mit anderen jungen Kolleginnen und Kollegen dabei, als sich die wissenschaftlichen Dienstleistungen im Parlament etablierten. Der Bundestag baute gerade seine eigene Beratungskompetenz aus und verband damals die Gutachter mit den Ausschusssekretariaten. Es war die Zeit, als das Parlament an umfassende Reformen von Strafrecht und Eherecht heranging und die Wirkungen des Rechts auch grundsätzlich diskutierte.

Heute bilden die rund 50 Gutachterstellen der Wissenschaftlichen Dienste eine eigene Unterabteilung. Sie pflegen aber weiterhin regelmäßige Kontakte zu den Fachausschüssen und halten sich über die anstehenden Tagesordnungen und die daraus absehbaren potenziellen Fragestellungen auf dem Laufenden. Ihre anspruchsvolle Aufgabe bewältigen sie effizient, kompetent und diskret – obwohl die Personaldecke dünn und vielfach Gutachterstellen nicht besetzt sind.

Die Leistung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages vermag sogar auf andere Parlamente auszustrahlen. Der für „Wissenschaft und Außenbeziehungen“ zuständige Abteilungsleiter Friedhelm Maier hat gerade wieder führenden Vertretern junger Parlamente auf dem Balkan und am Hindukusch Einblicke in ein funktionierendes parlamentarisches System geben können, ihnen die Bedeutung geschildert, die ein unabhängiger eigener Apparat für die Kontrolle der Regierung darstellt. Und eine eigene Denkfabrik für die Qualität parlamentarischer Arbeit.

Text: Gregor Mayntz
Erschienen am 6. Juli 2006

Weitere Informationen:

Analysen und Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages und weitere Informationen über ihre Arbeit sind online verfügbar unter:
www.bundestag.de/wissen


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