Siegfried Knittel hat 2001 die Gruppe KUNST INTERN im Deutschen Bundestag ins Leben gerufen. Und festgestellt, dass es in der Verwaltung des Parlaments so manche Künstlerin und so manchen Künstler gibt.
Scherbenhaufen sind eine Herausforderung.
Was lässt sich daraus machen? Man kann die Scherben nach
Farben und Größen sortieren, ein Bild auf eine Schablone
malen und dann die Glasstücke mithilfe von Blei oder Kupfer
aneinanderfügen. Siegfried Knittel hat in seinem Leben schon
Kunstverglasungen gemacht, die so schön sind, dass man beim
Betrachten das Wort „Licht“ buchstabiert.
Siegfried Knittel ist jemand, der Dinge sammelt — vom
kaputten Toaster bis zur irgendwo gefundenen bunten Glasflasche
kann er alles gebrauchen. Die Dinge kommen bei ihm zu Hause in den
Keller und irgendwann ist der Toaster vielleicht Teil eines Bildes,
einer Collage, einer anderen Sicht auf die Welt. Um zu beschreiben,
was der 56-Jährige mit den sehr blauen Augen macht, ist das
Wort „ausprobieren“ wichtig. Siegfried Knittel ist ein
Ausprobierer. Wenn es das Thema fordert und die Lust am Experiment
dazukommt, wird eine neue Technik versucht. Das kann sperrig sein.
Es kann gelingen und es kann schiefgehen. Aber Kunst lebt nicht von
der Routine.
Im September 2006 wurde im Foyer des Bundestagsgebäudes Unter
den Linden 62—68 eine Ausstellung der Gruppe KUNST INTERN mit
dem Titel „Innen und Außen — Reflexionen zur
Architektur im Regierungsviertel“ eröffnet. Die
Ausstellenden arbeiten in der Verwaltung des Bundestages. Sie sind,
wie Siegfried Knittel, Mitarbeiter im Ausschussassistenzdienst,
sitzen in der Postverteilung, arbeiten in Abgeordnetenbüros
oder beim Reinigungs- oder Pfortendienst. Sie sind alle
Kunstinteressierte und künstlerisch Begabte. Sie arbeiten mit
Aquarellfarben, Acryl und Öl, sie malen und zeichnen auf
Papier und Seide, experimentieren mit Techniken, Werkzeugen und
Sujets, sie fotografieren und entwerfen Collagen. Es macht ihnen
Spaß.
Arbeitsumfeld als Ausstellungsthema
Eine Ausstellung im Bundestag zu bekommen,
ist nicht ganz einfach. Da muss viel Überzeugungsarbeit
geleistet werden und es müssen sich ausreichend
Befürworter finden. KUNST INTERN ist keine Gruppe von Profis,
aber eine mit hohem Anspruch an sich selbst. „Die erste
Ausstellung war ein Spiegelbild aller Mitglieder der
Kunstgruppe“, erzählt Siegfried Knittel. „Das war
2003. Zu bunt gemischt war diese Exposition, wie wir dann schnell
wussten. Man braucht ein Thema, zu dem alle arbeiten, dann sind
auch die unterschiedlichen Techniken sinnvoll und schön. Nach
diesem ersten Versuch haben wir angefangen, in der Gruppe zu
diskutieren. Was wollen wir, haben wir gefragt, und gesagt: Unser
Umfeld reflektieren zum Beispiel. Das ist ein Thema.“
Die Ausstellung 2006 bekam so ihr Thema. Sie reflektierte das
Umfeld, in dem die Mitarbeiter der Gruppe täglich arbeiten,
die Gebäude des Parlamentsviertels. Das tat ihr gut. Auch der
Rahmen für die Vernissage stimmte. Es gab schöne Musik
vom Kammerorchester der Musikgemeinschaft des Bundestages, der
Direktor des Bundestages sprach gute Worte, viele Leute waren
gekommen und es nährte sich Hoffnung, vielleicht doch
irgendwann einmal in noch größerem Rahmen im Bundestag
ausstellen zu können. Wünschen tun es sich alle in der
Gruppe KUNST INTERN. Das sind zurzeit zehn Menschen. Am Anfang
seien es viel mehr gewesen, sagt Siegfried Knittel, aber nun gebe
es diese recht feste Gruppe und so arbeite es sich gut. Man habe
bereits viel miteinander gemacht. Man sei in Ausstellungen
gegangen, habe Workshops besucht, Veranstaltungen organisiert, viel
über sich und die anderen erfahren. Horizonte seien weiter
geworden und die Lust an der Kunst und am künstlerischen
Arbeiten sei gewachsen.
Siegfried Knittel erzählt dies alles mit leiser Stimme und
einem weichen Dialekt, den er vielleicht seiner Herkunft zu
verdanken hat. Er kommt aus dem Schwarzwald und hat sich, wie er
sagt, durch die halbe Republik bewegt. Beim Bundestag ist er erst
seit 1999, seine Frau war schon in Bonn Mitarbeiterin eines
Abgeordnetenbüros. Als es an den Umzug nach Berlin ging, hat
Siegfried Knittel seine Arbeit als Haustechniker in einem
Einkaufscenter aufgegeben und ist Mitarbeiter im
Plenarassistenzdienst geworden. Bereut hat er es nicht —
Berlin ist eine großartige Stadt, die Arbeit gefällt ihm
gut und seine Kunst hat er nicht aufgeben müssen, sondern
weiterentwickeln können. Er hat die Gruppe KUNST INTERN von
Beginn an zusammengehalten. Er ist der Motor, wenn auch auf eine
ganz und gar zurückhaltende und sich zurücknehmende Art
und Weise. Aber laut muss es ja ohnehin nicht zugehen in einer
solchen Gruppe.
In der Luisenstraße 32, einer Bundestagsliegenschaft, hat die
Gruppe KUNST INTERN einen Raum, in dem man sich treffen, arbeiten
und reden kann. Sieht aus wie eine kleine Werkstatt, Bilder stehen
an den Wänden, an der Stirnseite eine Arbeitsplatte, auf der
Glasstücke nach Farben und Größe sortiert sind. In
der Mitte des Raumes ein langer Tisch, auf dem Kataloge liegen, in
denen man blättern und schauen kann, was die Mitglieder der
Kunstgruppe machen: Assemblagen, Glaskunst, Ölbilder,
Copy-Art, Grafiken, Acrylbilder, Lack auf Aluminium und Lack hinter
Glas, Collagen, Mischtechniken, Aquarelle, Bilder auf Seide gemalt,
Fotografien digital bearbeitet. Die Liste ist lang und sie ist
beeindruckend.Hier wird experimentiert und probiert. Manche bleiben
auch bei ihrer einmal gefundenen Lieblingstechnik und
Ausdrucksform, entwickeln sich über die Spannbreite vieler
Themen weiter.
Nach der erfolgreichen Ausstellung im September traf sich die
Gruppe im November, um über nächste Projekte zu reden. An
diesem stürmischen Abend konnten nur vier kommen und über
die Frage diskutieren, welches Thema alle Mitglieder der Gruppe
interessieren und inspirieren würde. Katja Fischer,
Mitarbeiterin eines Abgeordnetenbüros, schlug vor, dass sich
alle in der Fotografie versuchen, Ratimir Britvec, ein
Fraktionsmitarbeiter von Bündnis 90/Die Grünen, wollte
sich gern mit dem Thema Krieg auseinandersetzen. Oder Klonen.
„Klonen“, fragten die anderen, das könne man sich
aber auf den ersten Blick nicht so recht vorstellen. Katja Fischer
wollte dann von Siegfried Knittel wissen, welches Thema er denn
gern für eine Ausstellung bearbeiten würde.
„Religion“, sagt der. Wer ihn kennt, weiß, dass
er sich in seinen Arbeiten schon oft und lange mit dem Thema
„Opfertod“ auseinandergesetzt hat.
Verfremdung bringt neue Sichtweisen
Im Katalog, der auf dem Tisch liegt, sind
Assemblagen — Collagen mit plastischen Objekten — von
ihm zu sehen, die Titel tragen wie „Ressourcensucher oder
über Wahrheit und Lüge im Lichte hegemonialer
Interessen“ oder „Irakisches Kreuz“: ein Werk,
für das fünf willkürlich gewählte Bilder von
Bombardements in Kreuzform montiert wurden. Das sind schwere und
schwierige Themen, die bereits aus sich selbst heraus einen
großen Anspruch erheben. Für die Ausstellung in Unter
den Linden hatte sich Siegfried Knittel in einer für ihn neuen
Technik versucht: digitale Fotobearbeitung. Entstanden sind
Außenansichten vom Parlamentsviertel, die durch die
Verfremdung einen anderen Blick ermöglichen. Etwas
melancholisch und ein bisschen sphärisch wirken die
Bilder.
Die kleine Gruppe diskutierte an diesem Abend lange und entwickelte
eine Reihe von Vorschlägen, die man mit den anderen besprechen
wird. Welches Ausstellungskonzept am Ende entsteht, wird sich
zeigen. Es gibt so viele Möglichkeiten. Die Zeit von der
ersten Überlegung bis zur Vernissage ist meist ziemlich lang.
Eine Gruppe muss sich finden, sich einverstanden erklären mit
einem Projekt, Zeit zum Arbeiten haben, eine Auswahl treffen. Ein
Ort muss gefunden werden für die Ausstellung und Mitstreiter
müssen her. Das alles nebenher, denn der eigentliche Beruf ist
dies ja nicht. Sondern einfach nur Arbeit nach der Arbeit.
Zeitaufwendig und mit viel Energie und Engagement getan.
Es kann noch viel entstehen und gewagt werden. Wie bei einem Mosaik
lassen sich die Teile der Gruppe unterschiedlich fügen und
daraus verschiedene Projekte entwickeln. Siegfried Knittel sagt,
das sei ein langer Prozess. Aber es lohne sich, daran
mitzutun.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 31. Januar 2007