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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Reine Poesie
Gültig ab: 17.09.2008 10:19
Autor: Sebastian Kreideweiß
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Reine Poesie

Hauptdarsteller João Baroso (oben) und Filmemacher Jan Zabeil (unten) in der Halle des Paul-Löbe-Hauses
Hauptdarsteller João Baroso (oben) und Filmemacher Jan Zabeil (unten) in der Halle des Paul-Löbe-Hauses
© DBT/Werner Schüring

Der Bundestag als Filmset

Der international preisgekrönte Kurzfilm „Was weiß der Tropfen davon” betrachtet den Bundestag mit den Augen des afrikanischen Putzmannes João Baroso.

Noch bevor die ersten Sonnenstrahlen die Spitzen der Hochhäuser ertasten, eilt João Baroso durch die verwaisten Straßen im Parlamentsviertel. Im Paul-Löbe-Haus streift er seinen Blaumann über. Den Wagen mit Reinigungsmitteln und Mülltrennungsbehältern schiebt der Afrikaner in seinen Putzbereich, die unterirdische Passage zwischen den Bundestagshäusern. Er kontrolliert die Uhr. Punkt fünf ist Arbeitsbeginn, da muss er mit dem Schrubber in der Hand antreten. Und dann fegt und wischt er, mit großer Sorgfalt für jeden einzelnen Tropfen.

Stunden später strömen die Abgeordneten durch die Unterführung in ihre Ausschussräume und den Plenarsaal, wo sich die Mikrofone und Objektive auf sie richten. Eine Kamera jedoch hat an diesem Tag nur Baroso im Visier. Der dunkelhäutige Putzmann steht im Mittelpunkt eines Kurzfilms. In „Was weiß der Tropfen davon” dokumentiert der Filmemacher Jan Zabeil die Arbeit einer multinationalen Putzkolonne im Herzen der deutschen Politik.

Zabeils poetischer Film beginnt mit einer Einstellung auf endlose Korridore aus Glas und Beton. Dazu erklingt die Stimme Barosos: „Das erste Mal war wie ein Schock.” Die Politiker, die Räume, all das kannte er nur aus den Nachrichten. Jetzt spricht er vom Putzen und Wählen, von Mülltrennung und Fraktionen. Ein bisschen erzählt der Film auch seine Geschichte. Dass der kräftige Mann mit den Sommersprossen und dem breiten Lächeln einmal parlamentarischen Boden bohnern würde, war nicht geplant. Deutschland war nicht geplant. Es ist das Jahr 1990, in Angola im Südwesten Afrikas tobt der Krieg, und ein Volksstamm bekämpft den anderen. Der 17-jährige João Baroso wird von Freunden in ein Flugzeug gesteckt. Weit weg vom Blutvergießen bringt es ihn, via Prag landet er in Berlin. Was er im Moment der Ankunft fühlt, ist Ohnmacht und Betäubung: „Ich wurde über der Stadt abgeworfen wie ein Stein.”

Gedicht auf dem Hallenboden

Alles wird plötzlich anders. In Berlin feiern die Deutschen Wiedervereinigung und wählen ein freies, gesamtdeutsches Parlament. Der erste Winter kommt. Baroso geht wochenlang nicht aus dem Haus, aus Angst vor der Kälte. Doch er beginnt zu verstehen, wie dieses Land funktioniert. Mit der Zeit erhält sein Leben einen Rhythmus. Er weiß um die Pünktlichkeit und Korrektheit, die seine Arbeitgeber auf dem Bau von ihm verlangen. „In Deutschland ist alles nur Uhr”, resümiert er im Film einmal.

Zehn Jahre später wohnt Baroso in einem Hochhaus in Berlin-Friedrichshain, zusammen mit Ilola Canga, seiner Frau. Sie stammt auch aus Angola, doch getroffen haben sie sich hier. Ihre Kinder Henry und Saline gehen da bereits zur Schule. 2001 heuert Baroso bei einer Reinigungsfirma an. Vor Sonnenaufgang kommt er am ersten Arbeitstag zum Treffpunkt. Die Arbeiter werden in zwei Autos geladen, keiner weiß, wohin. Baroso betritt ein dunkles gläsernes Gebäude, bekommt einen Ausweis und Instruktionen. Später erst realisiert er, dass er im Bundestag gelandet ist. Ein Schock.

Und eine Chance. Im Bundestag ist er mittendrin in der deutschen Politik. Er, der nie gelernt hat, der Politik zu vertrauen. „Viele Politiker in Afrika haben eine halbe Armee um sich herum, die offen ihre Waffen zeigt. In Deutschland haben sie, wenn überhaupt, zwei Bodyguards, und deren Pistolen stecken unter dem Jackett.”

Baroso kennt die Fraktionen und ihre Gesichter. Er muss immer grüßen, so lautet die Regel. Manch einer schaut durch ihn hindurch. Andere sagen Hallo. Angela Merkel zum Beispiel. „Als ich sie das erste Mal im Fahrstuhl traf, war ich so nervös, dass ich nicht mehr wusste, in welches Stockwerk ich fahren wollte.” Zu dieser Zeit war sie bereits CDU-Bundesvorsitzende. „Sie war immer sehr früh im Büro, oft schon um 5.30 Uhr.”

Der Film als Ventil

Drei Jahre lang tritt er im Morgengrauen seinen Weg zum Bundestag an, wo er Flure bohnert, Scheiben wischt und vorschriftsgemäß den Müll trennt. „Ich sah ihn dort. Jeden Morgen, zur selben Zeit, am selben Ort”, berichtet Jan Zabeil, der 2004 im Bundestag nach Filmideen sucht. Und er beobachtet einen Kollegen von Baroso, der auf den Knien Metallbuchstaben poliert. Diese bilden auf dem Hallenboden ein Gedicht, ein Kunstwerk von Joseph Kosuth: „Der Wind und das Schicksal haben ihre unabänderlichen Gesetze, nach denen sie sich bewegen. Aber was weiß der Tropfen davon, den sie vor sich herfegen?” Worte der deutschen Dichterin Ricarda Huch.

Zabeil will vom türkischen Putzmann wissen, ob er die Sätze versteht. Immer mehr Fragen kommen auf. Es wird ein Film daraus. Durch die Abwesenheit von Anzugträgern und die durchkomponierten Bewegungsabläufe der Putzleute entsteht eine eigene Weltstimmung. Die Texte sind spontan. „Mein Film funktioniert nicht über die kurzfilmübliche Dramaturgie”, sagt Zabeil, „sondern über Wahrnehmung und Assoziation.” So entstehen ästhetische wie skurrile Bilder: Fensterputzer, die in rhythmischen Bewegungen die vom Sonnenaufgang violett eingefärbte Kuppel säubern. Ein gelber Putzkran, der wie eine riesige Spinne zur Hallendecke hochfährt.

„Beim Drehen habe ich die Angst der Leute gespürt, etwas Falsches zu sagen. Jeder war in Sorge um seinen Job.” Aber Jan Zabeil baut Vertrauen auf und hört zu. „Zwar sprechen sie gebrochenes Deutsch und dürfen nicht wählen. Aber sie stellten existenzielle Fragen.” Nach dem Sinn, dem Selbstverständnis, der Integration. „Die vermeintlich deutschen Tugenden der Pünktlichkeit und Sauberkeit werden von multikulturellen Putztruppen ausgeführt”, stellt der Regisseur fest. Und zwar mit schwarz-rot-goldenen Putzwedeln.

„Tropfen” findet international Beachtung, im Juni 2008 kassiert Zabeil einen Preis beim wichtigen amerikanischen Dokumentarfilmfest „Silverdocs”: für seine „globale Bedeutung”.

Vor der Kamera ist Baroso ganz er selbst. „Zu dieser Zeit war mein Kopf voller Gedanken. Ich brauchte ein Ventil.” Der Film kommt wie gerufen. Baroso ist angetan von der Arbeit des Filmemachers. „Er lässt die Bilder auf sich wirken und folgt seinem Gefühl.” Schließlich sieht er sich selbst auf der Kinoleinwand, hört sich selbst zu.

Hauptdarsteller João Baroso und Filmemacher Jan Zabeil gehen Arm in Arm einen Gang im Bundestag entlang

© DBT/Werner Schüring
Das verändert sein Leben. Immer schon hat er sich für Film interessiert, hat fotografiert. Jetzt gründet Baroso einen Verein zur Förderung junger afrikanischer Kunst. Mit Leinenanzug und einem in Leder gebundenen Terminkalender wagt er sich an neue Projekte. Er dreht Videoclips in seinem Studio mit Raufasertapete und am Potsdamer Platz bei Nacht. Den Blaumann hat er im Bundestag an den Nagel gehängt. Die Eindrücke sind geblieben. Im Film sagt er noch: „Auch wenn ich wählen könnte, würde ich nicht wählen.” Jetzt sieht er das anders. Für die Medien begeistert er sich auch. „In vielen Ländern Afrikas gibt es keine Pressefreiheit. Dabei ist sie das Wichtigste überhaupt.”

Demnächst fliegt Baroso nach Angola. Zum ersten Mal nach zwei Jahrzehnten. Die Eltern und der Bruder sind im Krieg verschollen. Baroso will sie suchen, mit Hilfe des Roten Kreuzes. Der Krieg, vor dem Baroso flüchtete, ist vorbei. Würde er zurückkehren? Da wiederholt er seine Schlussworte aus dem Film: „Wo das Leben gut ist, da kann man bleiben.” 

Text: Lydia Harder
Erschienen am 24. September 2008

Zur Person:

Jan Zabeil wurde 1981 in Berlin geboren. Er studiert seit 2003 Kamera an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf” in Potsdam-Babelsberg.

João Baroso, geboren 1973, floh mit 17 vor dem Krieg in Angola nach Deutschland. Seitdem lebt er in Berlin, ist verheiratet und hat zwei Kinder. 2001 fing er als Reinigungskraft im Bundestag an.


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