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Gültig ab: 06.02.2006 00:00
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Kein Spielraum für radikale Operationen

Bild: Durchblick in Sachen Haushalt? Ein Protestplakat sächsischer Studenten.
Durchblick in Sachen Haushalt? Ein Protestplakat sächsischer Studenten.

Bild: Der Haushaltsausschuss des Deutschen Ausschusssitzung im Januar 2006.
Der Haushaltsausschuss des Deutschen Ausschusssitzung im Januar 2006.

Bild: Finanzminister Peer Steinbrück und Kanzlerin Angela Merkel.
Finanzminister Peer Steinbrück und Kanzlerin Angela Merkel.

Forum: Hypothek Haushaltsdefizit

Er wird gern als das „Schicksalsbuch“ der Nation bezeichnet: der Haushaltsplan des Bundes. In Tausenden von Positionen werden in ihm alle Einnahmen und Ausgaben aufgeführt, die Ministerien und Behörden in einem Jahr tätigen. Die Etatplanung ist so bedeutend, dass das Haushaltsrecht als Königsrecht des Parlaments gilt. Debatten über das Haushaltsgesetz und die Finanzplanung werden traditionell zu einer Generalaussprache über die Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien genutzt. Es geht dabei um ganz konkrete Politik. Wo wird investiert? Was wird gefördert? Müssen die Steuern angehoben oder dürfen mehr Schulden aufgenommen werden?

Mit all diesen Fragen wird sich das Parlament in den kommenden Monaten wieder beschäftigen. Die Lage ist allerdings diesmal komplizierter als in den vergangenen Jahren. Denn die vorgezogenen Neuwahlen haben die Haushaltsplanung durcheinander gebracht. Normalerweise wird der Haushaltsentwurf für das Folgejahr im Frühsommer vom Bundesfinanzminister vorgelegt und anschließend vom Kabinett verabschiedet. Nach der Sommerpause wird das Haushaltsgesetz in den Bundestag eingebracht. Bis Ende November beraten die Parlamentarier den Entwurf, wobei letzte Streitpunkte in der „Bereinigungssitzung“ des Haushaltsausschusses ausgeräumt werden. Und wenn der Bundestag in dritter Lesung den Haushalt beschlossen hat, tritt er normalerweise zum 1. Januar in Kraft.

Durch die vorgezogenen Neuwahlen wurde die gesamte Zeitplanung nach hinten verschoben. Erst im Februar soll der Etatentwurf für 2006 fertig gestellt werden, die Verabschiedung durch den Bundestag ist für den Frühsommer geplant. Bis dahin gilt eine vorläufige Haushaltsführung. Das bedeutet, dass der Finanzminister jeden Monat nur ein Zwölftel der Ausgaben des Vorjahres ausgeben darf. Alle gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen wie Gehälter und Sozialleistungen werden jedoch weiter gezahlt. Neue Investitionen können allerdings nicht getätigt werden. Parallel zu den Beratungen des Etats 2006 muss das Bundesfinanzministerium bereits den Entwurf für das Jahr 2007 anfertigen. Er soll dann wieder im üblichen Zeitplan beraten und beschlossen werden.

Die Verspätung ist allerdings nur das kleinere Problem. Denn die Staatsfinanzen sind aus dem Gleichgewicht geraten. Gegenwärtig sind alle öffentlichen Haushalte – also Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen – mit dem gigantischen Betrag von 1,452 Billionen Euro verschuldet. Allein beim Bund sind es rund 860 Milliarden Euro. Nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler ist jeder Einwohner Deutschlands rechnerisch mit fast 18.000 Euro verschuldet. Würden die öffentlichen Haushalte ab Ende 2005 keine neuen Schulden mehr aufnehmen und jeden Monat eine Milliarde Euro Schulden tilgen, würde es über 122 Jahre dauern, bis der Staat schuldenfrei ist.

Stagnationsfolgen

Wie sind diese enormen Schulden zu Stande gekommen? Der Staat gibt seit Jahren mehr Geld aus, als er einnimmt – aktuell sind beim Bund 50 Milliarden Euro an Ausgaben nicht nachhaltig durch Einnahmen gedeckt. Die Ursachen für die Fehlbeträge sind vielfältig. Einer der wesentlichen Gründe ist die deutsche Einheit. Sie kostet den Steuerzahler deutlich mehr als ursprünglich erwartet. Da es in den neuen Ländern noch immer keine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung gibt, sind auch noch in den kommenden Jahren Milliardentransfers nötig. Hinzu kommen weitere politische Entscheidungen, die Spuren hinterließen. So verursacht etwa die Steuerreform aus dem Jahr 2000 bis heute viel höhere Einnahmeausfälle als von den Experten vermutet. Immer wieder werden auch die Konjunkturaussichten falsch eingeschätzt und damit die Ausgaben zu niedrig beziehungsweise die Einnahmen zu hoch angesetzt. Besonders negativ wirkte sich der weltweite Einbruch der Konjunktur nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 aus. Deutschland schlitterte in eine jahrelange Stagnation.

Zum Stopfen der Löcher werden Einmalerlöse, also zum Beispiel der Verkauf von Bundesvermögen oder Kredite, genutzt. Diese sind vor allem für den Bund leicht zu beschaffen, da die Bundesrepublik als Schuldner höchstes Ansehen auf den Finanzmärkten genießt. Dabei ist die Überbrückung von Zahlungsengpässen an sich nichts Verwerfliches, wenn die Schulden bald wieder getilgt werden. Doch das unterblieb. Stattdessen überweist der Bund nun Jahr für Jahr Zinsen, ohne die Darlehen selbst zurückzuzahlen. Mittlerweile muss jeder fünfte Euro, den der Bund durch Steuern einnimmt, sofort für die Zinszahlungen verwendet werden. Sie haben derzeit ein Volumen von 40 Milliarden Euro, Tendenz steigend.

Grafik: Staatsschuldenquoten im internationalen Vergleich, in Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Jahre 2000 und 2005

Zu dieser Situation ist es gekommen, obwohl eigentlich Schutzmechanismen existieren. Denn die Eckpunkte des Bundeshaushalts werden vor allem von zwei Faktoren bestimmt: Erstens schreibt Artikel 115 des Grundgesetzes vor, dass die Kredite nicht höher sein dürfen als die Investitionen. Allerdings erlaubt die Verfassung unter bestimmten Bedingungen eine Ausnahme von der Vorschrift: „Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.“ Vorstellbar ist also zum Beispiel die Auflage eines kreditfinanzierten Konjunkturprogramms, um eine Rezession zu überwinden. Zweitens setzt der europäische Stabilitätspakt einen engen Rahmen. Danach darf die Neuver-Staat der Bescheidenheit Jürgen Koppelin, FDP schuldung von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen zusammen nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) – also der gesamten Wirtschaftsleistung – betragen. Doch beide Kriterien wurden in der Vergangenheit immer wieder nicht eingehalten.

Kostenfaktor Rente

Aber nicht nur die hohen Schulden engen die Spielräume im Haushalt ein. Der größte Kostenblock sind nicht etwa Ausgaben für Investitionen oder Familien und Kinder, sondern für die Rentensysteme. Mit gut 80 Milliarden Euro unterstützt der Bund gegenwärtig die gesetzliche Rentenversicherung. Das ist ungefähr ein Drittel der Bundesausgaben. Zum Vergleich: 1983 lag der Anteil noch bei rund zwölf Prozent. „Wir zahlen für die Vergangenheit zu viel und geben für die Zukunft zu wenig aus“, beschreibt der neue Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) das Problem. Die Rentenzahlungen lassen sich allerdings nicht einfach kappen, da die Rentner verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsansprüche erworben haben. Und das Zusammenstreichen von Investitionen oder von Ausgaben für Bildung und Forschung wäre unter dem Gesichtspunkt der Sicherung des Standorts Deutschland kontraproduktiv.

Daher standen Union und SPD bei den Koalitionsverhandlungen vor einem Dilemma: Wie können die Staatsfinanzen geordnet werden, ohne die gerade angesprungene Konjunktur abzuwürgen? Beide Parteien einigten sich zunächst darauf, dass der Staat angesichts der engen Spielräume vor allem ein Einnahme- und weniger ein Ausgabeproblem hat. „Wer glaubt, er könne aus diesem Bundeshaushalt in einer Radikaloperation 25 Milliarden Euro auf einmal herausschneiden, dann irrt er“, sagte Steinbrück Anfang Dezember bei seiner ersten Rede als Bundesfinanzminister vor dem Deutschen Bundestag. „Das ist Voodoo-Fiskalpolitik.“

Die Konsequenz aus dieser Entscheidung ist ein Mix aus dem Abbau von Steuervorteilen, Steuererhöhungen und Ausgabensenkungen. Bereits von Bundestag und Bundesrat beschlossen sind unter anderem die Abschaffung der Eigenheimzulage, die Streichung der Steuerfreibeträge für Abfindungen, ein Abzugsverbot für private Steuerberatungskosten und die Trockenlegung reiner Steuersparfonds. 2007 soll dann die Anhebung der Mehrwert- und der Versicherungssteuer von 16 auf 19 Prozent folgen, die Kappung der Entfernungspauschale und des Sparerfreibetrags sowie die Einführung einer 20-prozentigen Steuer auf Spekulationsgewinne und Immobiliengeschäfte.

Anstieg der Einnahmen

Insgesamt sollen so die Einnahmen des Bundes bis 2009 um rund 18 Milliarden Euro steigen, wobei ein Punkt der Mehrwertsteuer-Einnahmen zur Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung verwendet wird. Zugleich will der Bund auch seine Ausgaben kürzen, etwa durch eine Halbierung des Weihnachtsgeldes für Beamte und Versorgungsempfänger und eine Kappung der Bundesmittel für den Bahn-Regionalverkehr. Gleichzeitig sollen aber auch neue Förderschwerpunkte im Umfang von insgesamt 25 Milliarden Euro (bis 2009) gesetzt werden. Geplant sind bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen, die Ausweitung der Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten und eine Steuerermäßigung bei der legalen Beschäftigung von Handwerkern in Privathaushalten.

Grafik: Wirtschaftswachstum und Nettokreditaufnahme von 1995 bis 2005

Trotz der konsolidierenden Maßnahmen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite werden die Schulden weiter steigen. Für 2006 wird die Bundesregierung sogar die Ausnahmeregelung des Grundgesetzartikels 115 nochmals in Anspruch nehmen müssen. Erst 2007 soll der Haushalt dann den Anforderungen des Grundgesetzes und des europäischen Stabilitätspaktes genügen. Ein ausgeglichener Bundeshaushalt, bei dem alle Ausgaben durch die Einnahmen gedeckt werden, ist nach Ansicht von Steinbrück in der laufenden Wahlperiode nicht mehr zu erreichen.

Text: Timot Szent-Ivanyi
Erschienen am 8. Februar 2006

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