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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Sicher den Himmel stürmen
Gültig ab: 05.12.2005 00:00
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Sicher den Himmel stürmen

Bild: 2 Männer mit Gurt und Helm beim Abseilen
Höhenretter trainieren das Abseilen an der Kuppel.

Bild: Abseiler in Brust- und Hüftgurt
Vorbereitungen vor der Rettungsübung.

Bild: 2 Männer in Reinigungsgondel
Fahrt in der Reinigungsgondel an der Kuppel des Reichstagsgebäudes.

Bild: Männer in Abseilgerätschaft
Opfer und Retter hängen sicher im Geschirr.

Bild: Schraubkarabiner und Bandschlingen
Karabinerhaken sind fester Bestandteil der Rettungsausrüstung.

Bild: Blick von unten auf die Höhenretter oben auf der Kuppel.
Die Höhenretter oben auf der Kuppel.

Bild: Höhenretter zwischen Betonwänden
Rettungsübung an der vertikalen Hauswand.

Bild: Höhenretter an der Kuppel
Gut gesichert: Höhenretter an der Kuppel des Reichstagsgebäudes.

Fünf Männer von der Maschinen- und Versorgungstechnik des Deutschen Bundestages haben gelernt zu retten, wenn jemand in luftiger Höhe in Not gerät. Dafür war im Sommer ein hartes Training nötig.

Jetzt wird der Dirk gerettet. Dirk, du bist das Opfer, vergiss nicht zu schreien.“ Dirk lächelt und sieht nicht aus wie ein Opfer. Aber nun ist er eben dazu bestimmt worden und wehrt sich auch nicht dagegen. Es trifft jeden einmal. Dirk steigt in den Fahrkorb der Fassadenbefahranlage, in der Fachsprache auch „hochziehbares Personenaufnahmemittel“ genannt, und verschwindet mit ihr im Blau des Himmels.

Heiß ist es an diesem Tag in Berlin, und in der Kuppel des Reichstagsgebäudes laufen die Touristen schwitzend die Doppelhelix hinauf und hinunter. Ihnen wird zu dem sportlichen noch ein zweites Vergnügen geschenkt, denn an der gläsernen Außenwand der Kuppel tut sich was. Fassadenkletterer sind unterwegs. Dreht da jemand einen Film? Auf jeden Fall lohnt es sich zu fotografieren. Vielleicht meinen es die mutigen Kerle da draußen ja tatsächlich ernst. Und wer weiß, vielleicht entpuppt sich einer gar als „Spiderman“.

Natürlich meinen sie es ernst, aber sie haben auch unglaublich viel Spaß an der Sache. Das „Opfer“ Dirk, im richtigen Leben Dirk Stavorinus, Meister im Sachbereich Maschinen- und Versorgungstechnik im Referat ZT 3, Liegenschaften und Gebäudetechnik, wird oben im Fahrkorb mit Seilen und Karabinerhaken gesichert. Handlich ist so ein ausgewachsener Mann ja nicht, aber irgendwie muss er wieder runter auf festen Boden kommen. Jens Tetzlaff, sein Kollege, gibt sich reichlich Mühe, seinen Chef, der gerade eine hilflose Person mimt, sach- und fachgerecht für den Abstieg vorzubereiten. Eine einfache Höhenrettung soll das werden. Die Höhe an sich ist schon mal respektheischend: 54 Meter über dem Straßenniveau. Jens Tetzlaff ist einer der Retter. Er sieht Vertrauen erweckend aus: breitschultrig, lächelnd – eben so, als könne ihn so schnell nichts aus der Ruhe bringen.

Staunende Touristen

Unten auf der Plattform stehen die anderen Kollegen des Sachbereiches Maschinen- und Versorgungstechnik und zwei Männer aus anderen Unternehmen: Holger Hebold, Ingenieur für Brandschutz und Inhaber einer Firma für Höhensicherheitstechnik, und Michael Pawelski, Technischer Aufsichtsbeamter der Bau-Berufsgenossenschaft Hannover. Holger Hebold bildet unter anderem Rettungskräfte aus und vermittelt die Technik der „seilunterstützten Arbeitsplatzpositionierung für technische Hilfeleistungen in Höhen und Tiefen“. Michael Pawelski zertifiziert – um es einfach auszudrücken – Produkte, die an Seilen hängen oder an Kranen. Für Sicherheit sorgen sie beide.

Dirk ist inzwischen sachgerecht für den Abstieg vorbereitet. Leicht fällt es ihm nicht, sich hilflos zu stellen. Für die Kollegen unten und den tapferen Retter schreit das Opfer noch einmal kurz auf, um dann Gliedmaßen und Kopf hängen zu lassen und sich vollständig in die Obhut eines anderen zu begeben. Der macht seine Sache gut. Die Berater und Ausbilder auf der Aussichtsplattform sind zufrieden. Das ist der dritte Tag einer ganzen Trainingswoche und die Männer bringen gute Leistungen. Zumal ein Abstieg an der gläsernen Kuppelfassade keine einfache Sache ist. Schwieriger noch als an den anderen Häusern des Bundestages, deren Fassaden zumindest im 90-Grad-Winkel zur Erde stehen. Eine Kuppel ist die größere Herausforderung.

“Wer schreit, lebt noch“, sagt Michael Pawelski und lächelt. Wie zur Bestätigung schickt Dirk noch einmal einen Hilferuf hinterher. Dann beginnt der Abstieg. In der Kuppel bleiben die Touristen stehen und fotografieren. Das glaubt ihnen zu Hause doch sonst kein Mensch. Und sie könnten ja erzählen, dass es sich hier um eine echte Rettung handelt. Wie eine übung sieht es schließlich gar nicht aus.

Das „Opfer“ wird sicher auf den Boden der Aussichtsplattform gebracht und Jens Tetzlaff lehnt es noch fachgerecht mit dem Rücken an die Kuppelwand. „Na bitte“, sagt Holger Hebold, „hat doch gut geklappt.“ Und wofür soll das alles, jenseits des Unterhaltungswertes, gut sein? „Wir machen diese Trainingswoche hier im Bundestag schon zum zweiten Mal – zumindest Jens Tetzlaff und ich“, erklärt Dirk Stavorinus. „Das ist eine Präventivmaßnahme. Unsere Techniker und die Fassadenreinigungskräfte arbeiten in großen Höhen. Wenn da mal jemandem schlecht wird oder ein Unfall passiert, sollten wir in der Lage sein, Rettungsmaßnahmen einzuleiten, noch bevor die Einsatzkräfte der Feuerwehr kommen.“

Das klingt logisch. Vor allem, wenn man einmal im Büro des Sachbereiches, der für die Betreibung der Aufzugsanlagen und die gesamte Aufzugs- und Fördertechnik im Bundestag zuständig ist, auf die Rückseiten der Leitzordner im Regal schaut und sieht, wie viele verschiedene Möglichkeiten es gibt, den Häusern des Bundestages auf die Dächer zu steigen oder sich an ihren Fassaden entlang in große Höhen zu arbeiten: Hubtische, Hebebühnen, Klettersitze, Fassadenaufzüge, Teleskopbühnen, Motorgondeln. Da sollte, neben der ständig zu prüfenden technischen Sicherheit, der Ernstfall auch ernsthaft geprobt werden.

Fünf Männer gehören zur Höhenrettungsgruppe des Fachreferates. Jens Tetzlaff und Dirk Stavorinus sind, dank einer Zusatzausbildung, Gruppenführer. Das klingt militärisch, heißt aber wirklich so. Einmal jährlich üben die Männer 30 Stunden lang, wie man Menschen rettet.

Die Häuser des Bundestages stellen, sicherheitstechnisch betrachtet, eine große Herausforderung dar. „Wir mussten selbst Lösungsansätze erarbeiten, wie jemandem schnell geholfen werden kann, der in großen Höhen und in einer der Befahranlagen in Not gerät. Bis jetzt hatten wir noch keinen Ernstfall, muss auch nicht sein. Aber wir wollen natürlich bestens vorbereitet sein, wenn es doch mal dazu kommt. Wenn jemand im Gurt hängt, muss er innerhalb von fünfzehn Minuten gerettet werden, sonst besteht die Gefahr eines Hängetraumas“, erklärt Dirk Stavorinus.

Echte Grenzerfahrung

Natürlich wurden alle, die an der Ausbildung teilnehmen, auf Höhentauglichkeit geprüft. Jens Tetzlaff, von Beruf Mechaniker, hat den Test wie alle anderen bestanden. „Wer tiefentauglich ist ...“, hebt er an und lächelt dann vielsagend. Wie sein Kollege Dirk Stavorinus geht der 40-Jährige gebürtige Berliner gerne tauchen. Ob ihn das wirklich höhentauglich macht, weiß man nicht. Auf jeden Fall ist er es. Das Training beschreibt er als spannend, als eine echte Grenzerfahrung. Im normalen Arbeitsalltag kümmert sich Jens Tetzlaff mit seinen Kollegen unter anderem um die rund 150 Aufzüge in den Häusern des Deutschen Bundestages. Mit Aufzügen hatte er schon in seinem früheren Berufsleben bei einer schwäbischen Firma zu tun. Seit 2002 ist er im Bundestag angestellt, eine Arbeit, die ihm gefällt – mit und ohne Rettungsübungen. Obwohl: Mit Rettungsübungen vielleicht doch noch etwas mehr. „Wir haben in dieser Woche trainiert, was passieren könnte. Das war an der Kuppel sicher am schwersten. Da sind Zugriffszeiten größer als anderswo. Aber wenn man eine Rettung auch aus dieser Höhe beherrscht, gibt das denen, die da arbeiten, natürlich ein besseres Gefühl“, sagt Jens Tetzlaff und schickt hinterher: „Sicherheit ist immer ein schönes Gefühl.“

Trainiert hat er auch schon in der Sächsischen Schweiz. „Da haben uns die Gebirgsjäger mal gezeigt, wo es langgeht.“ Ein zweiter Lehrgang führte ihn nach Ulm, wo einst ein Schneider meinte, fliegen zu können. Für Jens Tetzlaff war das Highlight dort die Rettung eines „Opfers“ von einem 60 Meter hohen Flutlichtmast. „Der hat vielleicht geschwankt“, sagt er und vermittelt den Eindruck, dagegen sei eine stabile Reichstagskuppel zwar kein Kinderspiel, aber souverän zu bewältigen.

Und so sah es ja auch aus bei der Übung unter strahlend blauem Himmel: spektakulär – und gleichzeitig sehr Vertrauen erweckend.

Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 01. Dezember 2005


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