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Gültig ab: 13.09.2005 00:00
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Wählen – warum eigentlich?

Bild: Wolfgang Thierse
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.

Von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers hat Bundespräsident Horst Köhler den 15. Deutschen Bundestag aufgelöst und für den 18. September 2005 Neuwahlen angeordnet. Zum dritten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik endet damit eine Legislaturperiode vorzeitig. Der Bundespräsident hat ausdrücklich betont, dass diese Auflösung dem Grundgesetz entspricht, das aus guten Gründen nur ausnahmsweise vorgezogene Wahlen zulässt. Nach einer Serie verlorener Regionalwahlen und vor dem Hintergrund tief greifender sozialpolitischer Reformen sucht die bisherige Parlamentsmehrheit nach neuer Legitimation und die Opposition hofft darauf, die Regierung ablösen zu können. Es handelt sich um einen zutiefst demokratischen und aus der Sicht der Mehrheit auch mutigen Akt.

Hoffentlich werden sich dementsprechend viele Menschen an der Wahl beteiligen! Es wäre schade, wenn die „Partei“ der Nichtwähler wieder den dritten Platz belegte, wie bei der Bundestagswahl 2002. Was sind die Motive der Wahlverweigerer und welche Argumente stehen dagegen?

„Politik interessiert mich nicht“ – diese Antwort hört man oft, wenn man für die Teilnahme an Wahlen wirbt. Es ist erlaubt, es ist eine in der Demokratie mögliche Haltung, sich um anderes als Politik zu bemühen.

„Die da oben machen sowieso, was sie wollen“ – dieser Satz symbolisiert dagegen eine Abwendung von Politik, die offenbar einer Gefühlslage von Resignation und Protest entspricht.

„Die taugen alle nichts“ – dahinter steckt oft ein bekennender Nichtwähler. Er ist oft politisch gut informiert und meint, dass keine der Parteien und keiner der Kandidatinnen und Kandidaten neben seiner eigenen Haltung bestehen könnte.

„Was hat das denn mit mir zu tun?“, fragen manche Jugendliche, wenn sie begründen sollen, warum sie nicht zur Wahl gehen.

Wie kann man diese Motive der Nichtwähler entkräften? Am einfachsten dürfte das bei der Frage sein, was denn etwa der Bundestag mit den Interessen der Einzelnen in der Gesellschaft zu tun hat. Das beginnt mit allgemeinen, aber wirksamen Werten und endet bei ganz konkreten Alltagsproblemen.

Da geht es zum Beispiel um die Freiheit des Einzelnen von staatlicher Bevormundung: Nur die Demokratie will und kann diese Freiheit garantieren. Wählen gehen wäre eine Unterstützung dieser Demokratie selbst. Und es geht um Detailfragen wie etwa nach der Höhe der Rente, der Qualität der gesundheitlichen Versorgung, der persönlichen Sicherheit durch Polizei und Justiz. Jeder Einzelne ist von diesen Dingen betroffen und kann den Entscheidungsprozess beeinflussen: „Politik bestimmt in vielen Fällen über meine persönlichen Möglichkeiten mit. Da bestimme ich lieber auch über die politischen Alternativen mit.“

Schwieriger wird es schon, das hartnäckige Vorurteil zu entkräften, „die da oben“ machten ohnehin, was sie wollten. Die Einsicht in die Notwendigkeit, die Erfahrung, dass diese oder jene Problemlösung die einzige ist, die derzeit möglich ist, bestimmt unsere Entscheidungen im Parlament viel häufiger als das, was der einzelne Parlamentarier für wünschbar hält. Letztendlich ist es immer so, dass politische Entscheidungen mehrheitsfähig sein müssen. Was aber mehrheitsfähig ist, entscheiden die Wähler! Wer nicht wählt, bekommt es vielleicht im Ergebnis – aus seiner persönlichen Sicht – mit den Falschen zu tun, also mit Mehrheiten, die er nicht gewollt hat.

Wem keine Partei gut genug ist und wer deshalb nicht wählt, verzichtet darauf, derjenigen zu Einfluss zu verhelfen, die seiner eigenen Haltung vielleicht doch am nächsten kommt. Die Rede vom „kleineren Übel“ ist so gesehen gar nicht so falsch. Denn sie verlangt, dass wir uns als Wähler die Mühe machen herauszufinden, welches Programm und welche Personen den jeweils eigenen Vorstellungen am ehesten entsprechen. Da hat es natürlich jemand, der die Partei seiner Wahl gar nicht für ein Übel hält, etwas einfacher.

Wer sich hingegen gar nicht für Politik interessiert, entzieht sich jeglicher Mühe, an den öffentlichen Angelegenheiten teilzuhaben. Er muss hinnehmen, was dann kommt, ohne seinen eigenen Einfluss geltend gemacht zu haben. Das bedeutet Verzicht auf ein aktives Bürgerrecht. Politik ist nicht bloß unterhaltend, sondern kostet auch Mühe und Anstrengung. Um diese Mühe bitte ich, denn ohne Demokraten, ohne Wählerinnen und Wähler gibt es keine Demokratie. An der politischen und persönlichen Freiheit, die sie bietet, habe ich in Kenntnis der Alternative Diktatur nämlich auch ein persönliches Interesse.

Foto: Deutscher Bundestag
Erschienen am 13. September 2005

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