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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: „Kein Grundrecht zweiter Klasse”
Gültig ab: 06.08.2008 10:19
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„Kein Grundrecht zweiter Klasse”

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Peter Schaar
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Peter Schaar
© Picture-Alliance/Frank May

Datenschützer Peter Schaar im Gespräch

Deutschlands oberster Datenschützer Peter Schaar plädiert für eine Kehrtwende im Verhältnis von Datenschutz und innerer Sicherheit und mahnt mehr Zurückhaltung des Staates beim Zugriff auf persönliche Daten der Bürger an.

Blickpunkt Spezial: Es sind turbulente Zeiten für den Datenschutz. Wann war dies zuletzt der Fall?

Peter Schaar: Zu Zeiten der Volkszählung 1983 war das Thema Datenschutz vielleicht noch stärker als heute in der Diskussion. Es gab Proteste und Demonstrationen. Ein Ergebnis war bekanntlich das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, das aus der Verfassung erstmals ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung abgeleitet hat. Pünktlich zum 25. Jubiläum haben wir jetzt wieder eine heiße Debatte über Datenschutz, die dem Anliegen nur nützlich sein kann.

Blickpunkt: Sie sind für eine Wiederwahl als Bundesbeauftragter vorgeschlagen. Wie verstehen Sie ihr Amt und wie lautet Ihre Bilanz nach fünf Jahren?

Schaar: Unabhängige Datenschutzbeauftragte sind wichtig, und natürlich hat der Bundesbeauftragte eine herausgehobene Stellung. Seine Funktion als Warner und Mahner wird in der Öffentlichkeit inzwischen stärker wahrgenommen. Dies zu erreichen, hatte ich mir vorgenommen. Das ist natürlich auch den Umständen geschuldet, ich hoffe aber, auch mit meinen Initiativen und meiner Überzeugungsarbeit dazu beigetragen zu haben. Der Datenschutz ist heute nicht mehr generell auf der schwächeren Seite. Im Gegenteil, in den vergangenen Monaten wurde zumindest für den Bereich der Wirtschaft sogar ein parteiübergreifender Konsens sichtbar, die Bürgerinnen und Bürger beim Datenschutz besserzustellen.

Blickpunkt: Ist das Amt des Bundesbeauftragten politisch richtig verankert?

Schaar: Natürlich könnte man sich fragen, ob es weitere Schritte in Richtung einer noch stärkeren Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten geben sollte. Die EU-Kommission hat Deutschland wegen mangelnder Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht in den Bundesländern vor dem EuGH verklagt. Manche Frage, die sich in diesem Verfahren stellt, kann man auf den Bund übertragen, etwa die Rechtsaufsicht der Bundesregierung über den Bundesbeauftragten oder die Dienstaufsicht seitens des Bundesinnenministers. Für unsere praktische Arbeit hatte dies bisher aber keine Bedeutung. Gleichwohl könnte eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auch Auswirkungen auf den Bund haben. Denkbar ist zudem, den Datenschutzbeauftragten beim Bundestag anzusiedeln.

Blickpunkt: Würden Sie eine Anbindung an das Parlament bevorzugen?

Schaar: Das würde wohl seine Unabhängigkeit gegenüber der Regierungstätigkeit stärken, ich bin mir aber nicht sicher, ob dies zu einem „besseren Datenschutz” führen würde. Auf jeden Fall muss gewährleistet bleiben, dass der BfDI auch weiterhin frühzeitig in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden bleibt, auch schon vor einem Kabinettsbeschluss.

Blickpunkt: Im Grundgesetz steht kein ausdrückliches Grundrecht auf Datenschutz. Reichen die Urteile des Bundesverfassungsgerichts?

Schaar: Ich befürworte ein schwarz auf weiß in der Verfassung verbrieftes Grundrecht auf Datenschutz. Das ist keine symbolische Forderung. In der Vergangenheit wurde der Datenschutz häufig als Grundrecht zweiter Klasse gesehen, eben weil er nicht ausdrücklich im Grundgesetz steht. In die Verfassung übernommen werden sollten deshalb das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus dem Ver- fassungsgerichtsurteil von 1983 zur Volkszählung und das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informatonstechnischer Systeme aus dem Urteil zur heimlichen Online-Durchsuchung. Wer sich gegen ein verbrieftes Datenschutzgrundrecht wendet, müsste eigentlich aus denselben Gründen auch gegen andere Grundrechte, etwa dasjenige auf Unverletzlichkeit der Wohnung, sein.

Blickpunkt: Der Staat selbst sammelt große Mengen an Daten. Sind sie in guten Händen?

Schaar: Ich glaube nicht, dass der Staat allgemein mit den Daten von Bürgern unvorsichtig umgeht. Aber er will – aus im Einzelfall durchaus nachvollziehbaren Gründen – immer mehr über seine Bürger wissen. Weil der Staat, anders als die Wirtschaft, auf Zwangsmittel zurückgreifen kann, ist er aber zu besonderer Zurückhaltung verpflichtet. Diese Zurückhaltung kann ich im Augenblick nicht überall erkennen.

Blickpunkt: Seit dem 11. September 2001 wird die „innere Sicherheit” großge-schrieben, der Datenschutz eher klein. Ist es Zeit für eine beherzte Kehrtwende, so wie in der Finanzmarktpolitik?

Schaar: Ein grundlegender Wechsel der Sichtweise ist nötig. Immer mehr Daten zu sammeln und auszuwerten, bringt nicht mehr Sicherheit. Es kann aber sehr schnell zu einem Daten-GAU führen, der das Vertrauen grundlegend erschüttert – auch auf internationaler Ebene. Deshalb fordere ich einen sehr viel kritischeren Blick auf die Möglichkeiten, Daten zu erheben und zu verarbeiten. Ich trete auch für einen klaren internationalen Rechtsrahmen ein. Mir leuchtet nicht ein, dass Staaten ihre Finanzmärkte regulieren und zugleich – ich denke hier besonders an die USA – beim Umgang mit persönlichen Daten auf möglichst wenig Regulierung drängen. Guter Schutz ist die Voraussetzung dafür, dass die Bürger ihre Daten auch preisgeben, ohne die Angst, dass damit Schindluder getrieben wird. Das gilt für die Wirtschaft wie für staatliche Stellen.

Blickpunkt: Aber wer sich gesetzestreu verhält, hat doch nichts zu verbergen.

Schaar: Jeder hat etwas zu verbergen, weil jeder ein Recht hat, sich privat und ungehindert mit anderen Menschen aus-zutauschen. Der Staat hat keinen Anspruch darauf, jeden Schritt seiner Bür-ger zu kontrollieren. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die „Vernachrichtendienstlichung” der Po-lizei. Seit rund 20 Jahren setzt sie immer mehr verdeckte Methoden ein. Darüber hinaus gibt es einen massiven Austausch von Informationen zwischen Polizei und Nachrichtendiensten. Dagegen bin ich nicht prinzipiell, das Ausmaß geht inzwischen aber zu weit.

Blickpunkt: Was lernt der Datenschützer aus den jüngsten Fällen von Datenhandel und -missbrauch in der Wirtschaft?

Schaar: Der Bundesbeauftragte lernt daraus erstens, dass es um die Datenschutzkultur selbst bei einigen großen Unternehmen nicht so bestellt war oder ist, wie wir uns das wünschen. Hier ist mehr Kontrolle nötig, und das bedeutet eine Aufstockung der Mittel bei den Aufsichtsbehörden. Momentan gilt: Wer Datenschutzregeln missachtet, geht ein relativ geringes Risiko ein, entdeckt zu werden, weil die Datenschutzaufsicht schwach ausgestattet ist. Unterstützung erhoffe ich mir auch aus dem Bundestag im Rahmen der Haushaltsberatungen. Zweitens: Wenn Daten verloren gehen, müssen Mechanismen installiert werden, die den Schaden begrenzen, vor allem eine Informationspflicht über Datenschutzverletzungen. Drittens dürfen persönliche Daten für Werbung nur mit Einwilligung der Betroffenen weitergegeben werden, und es muss für sie nachvollziehbar sein, woher die Daten stammen. Schließlich müssen endlich die Voraussetzungen für Datenschutzgütesiegel geschaffen werden. Deshalb setze ich darauf, dass noch in dieser Legislaturperiode das Datenschutzauditgesetz beschlossen wird.  

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Erschienen am 19. Nobember 2008
Das Gespräch führte Helmut Spörl

Zur Person:

Peter Schaar, Jahrgang 1954, wurde am 17. Dezember 2003 vom Bundestag zum Bundesbeauftragten für den Datenschutz (seit 1. Januar 2006 „für den Datenschutz und die Informationsfreiheit”) gewählt. Der Volkswirt war von 1994 bis 2002 stellvertretender Dienststellenleiter des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten.


Weitere Informationen:

Der Bundesbeauftragte
für den Datenschutz und die Informationsfreiheit:
www.bfdi.bund.de


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