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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Auf Odysseus’ Spuren
Gültig ab: 17.09.2008 10:19
Autor: Nils Grobmeier
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Auf Odysseus’ Spuren

Der Hammelsprung im Parlament


Menschentraube vor den Abstimmungstüren 1977 im Bonner Bundestag: Hammelsprung bei der Abstimmung über das 28. Rentenanpassungsgesetz
© Picture-Alliance/Egon Steiner

Woher der Ausdruck „Hammelsprung” stammt und wie er Eingang in die Parlamente gefunden hat, ist nicht mehr eindeutig festzustellen. Vermutlich wurde er in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts von einem Parlamentarier geprägt, den das Verfahren an das Zählen von Schafen erinnerte und der dabei vielleicht auch an einen „Leithammel” denken musste. In Deutschland wurde der Hammelsprung erstmals im Reichstag des Norddeutschen Bundes angewendet, der von 1867 bis 1870 existierte. Der Reichstag des 1871 gegründeten Kaiserreichs übernahm diese Praxis.

Gelegentlich ist zu lesen, der Begriff gehe zurück auf ein Intarsienbild im 1933 ausgebrannten Reichstagsgebäude, das an der „Ja”-Tür zum Plenarsaal angebracht war. Das Bild zeigte den Riesen Polyphem aus Homers „Odyssee”, wie er seinen vorbeiziehenden Schafen mit der Hand über die Rücken streift. Odysseus und seine Gefährten haben den geblendeten Zyklopen bekanntlich dadurch überlistet, dass sie sich am Bauch der Schafe festklammerten, die aus der Höhle des Riesen liefen.

Doch die Bezeichnung Hammelsprung wurde bereits 1885 im Preußischen Abgeordnetenhaus verwendet und ist damit älter als das 1894 fertiggestellte Reichstagsgebäude. Möglicherweise ließ sich der Architekt Paul Wallot bei der Motivauswahl für die „Ja”-Tür bereits von dem Ausdruck inspirieren. An der „Nein”-Tür war der Berggeist Rübezahl beim Zählen seiner Rüben zu sehen.

Der Zyklop Polyphem mit seinen Schafen auf einer Abstimmungstür im alten Reichstag Der Zyklop Polyphem mit seinen Schafen auf einer Abstimmungstür im alten Reichstag
© Cosmos Verlag für Kunst und Wissenschaft (1897/1913)
Der Bundestag verwendet den Ham melsprung seit 1950. Er kann vom Sitzungsvorstand angeordnet werden, wenn bei einer Abstimmung durch Handaufheben die Mehrheitsverhältnisse angezweifelt werden, die Beschlussfähigkeit des Bundestages infrage steht oder ein Einspruch des Bundesrats vom Bundestag zurückgewiesen werden soll (sofern nicht namentliche Abstimmung verlangt wird). Beim Hammelsprung verlassen alle Abgeordneten den Plenarsaal. Gleichzeitig ertönt in allen Gebäuden des Bundestages ein schriller Signalton, zur Aufforderung an die Abgeordneten, in den Plenarsaal zu kommen. Dann werden bis auf die drei Abstimmungstüren alle Zugänge zum Plenum geschlossen. An diesen stellen sich jeweils zwei Schriftführer auf. Auf ein Glockenzeichen des Präsidenten hin betreten die Abgeordneten einzeln durch eine der drei Türen den Plenarsaal und werden dabei von den Schriftführern laut gezählt.

Der Bundestag verwendet den Ham melsprung seit 1950. Er kann vom Sitzungsvorstand angeordnet werden, wenn bei einer Abstimmung durch Handaufheben die Mehrheitsverhältnisse angezweifelt werden, die Beschlussfähigkeit des Bundestages infrage steht oder ein Einspruch des Bundesrats vom Bundestag zurückgewiesen werden soll (sofern nicht namentliche Abstimmung verlangt wird). Beim Hammelsprung verlassen alle Abgeordneten den Plenarsaal. Gleichzeitig ertönt in allen Gebäuden des Bundestages ein schriller Signalton, zur Aufforderung an die Abgeordneten, in den Plenarsaal zu kommen. Dann werden bis auf die drei Abstimmungstüren alle Zugänge zum Plenum geschlossen. An diesen stellen sich jeweils zwei Schriftführer auf. Auf ein Glockenzeichen des Präsidenten hin betreten die Abgeordneten einzeln durch eine der drei Türen den Plenarsaal und werden dabei von den Schriftführern laut gezählt.

Wenn ein Parlamentarier durch die „falsche” Tür läuft, kann sein Abstimmungsverhalten nicht rückgängig gemacht werden. 1962 unterlief dies dem CDU/CSU-Abgeordneten Hans Richarts, der in einer Abstimmung zur „Spiegel-Affäre” beim Hammelsprung aus Versehen für den Antrag der SPD votierte. In den ersten Wahlperioden des Bundestages stimmstimmten die Abgeordneten jeweils mehr als einhundert Mal per Hammelsprung ab. Später wurde das Verfahren zunehmend von namentlichen Abstimmungen abgelöst, bei denen anders als beim Hammelsprung die Stimmabgabe jedes einzelnen Abgeordneten protokolliert wird. In der aktuellen Wahlperiode kam es bis Mitte Oktober 2008 zu fünf Hammelsprüngen. Zuletzt am 24. September 2008, als die Grünen die abwesende Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) ins Plenum zitieren wollten. Bei der Abstimmung per Handzeichen schien es eine Mehrheit für die Grünen zu geben, doch im Sitzungsvorstand wurde über das Ergebnis keine Einigkeit erzielt. Ein CDU/CSUParlamentarier beantragte den Hammelsprung. Das gab der Großen Koalition Zeit, genug Abgeordnete zusammenzutrommeln. Am Ende waren 249 Abgeordnete durch die „Nein”-Tür gelaufen und 64 durch die „Ja”-Tür – der Antrag der Grünen war damit abgelehnt.

Im Jahr 1970, als der technische Fortschrittsglaube noch nahezu ungebrochen war, schien es mit der Tradition vorbei zu sein. In den Plenarsaal des Bonner Bundestages wurde der Abstimmungscomputer „AEG 60-10-Digital-rechner” eingebaut, der den Hammelsprung durch eine elektronische Stimmabgabe vom Sitzplatz aus ersetzen sollte. Damit kein Abgeordneter für seinen fehlenden Sitznachbarn eine Stimme abgeben konnte, gab es in den Stühlen Druckkontakte, die erst ab einer Belastung von 40 Kilogramm den Mechanismus aktivierten. Bei den Abstimmungen mussten die Abgeordneten eine Identitätsnummer eingeben und wählten dann zwischen „Ja”, „Nein” und „Enthaltung”.

Doch von Beginn an traten technische Probleme auf, sodass die Anlage 1973 zum letzten Mal benutzt und 1977 wieder ausgebaut wurde. Der Hammelsprung wird seitdem wieder regelmäßig praktiziert. Ob das auf Dauer so bleiben soll, ist im Bundestag umstritten. „Wenn man schnell und ohne großen bürokratischen Aufwand die Mehrheitsverhältnisse klären will, ist der Hammelsprung das ideale Abstimmungsverfahren”, ist der Vizefraktionschef der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach, überzeugt. Dagmar Enkelmann, Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Die Linke, hält den Hammelsprung hingegen für überholt. „In fast allen anderen europäischen Parlamenten gibt es elektronische Abstimmungsanlagen”, sagt Enkelmann. „Warum soll es ausgerechnet in Deutschland unmöglich sein, eine solche Anlage fehlerfrei zu betreiben?” 

Text: Joachim Riecker
Erschienen am 19. November 2008

Weitere Informationen:

Abstimmungsverfahren sind in der Geschäftsordnung geregelt:
www.bundestag.de/parlament
(Rechtliche Grundlagen)


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