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Gültig ab: 11.11.2008 10:19
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Freie Entfaltung der Persönlichkeit

Ein Bürger vor Dani Karavans Kunstwerk 'Grundgesetz 49' im Berliner Parlamentsviertel. Die Grundrechtsartikel formulieren fundamentale Schutzrechte.
Ein Bürger vor Dani Karavans Kunstwerk 'Grundgesetz 49' im Berliner Parlamentsviertel. Die Grundrechtsartikel formulieren fundamentale Schutzrechte.
© DBT/studio kohlmeier

Datenschutz als Grundrecht

Ist Datenschutz ein Grundrecht? Europaweit genießt der Datenschutz Grundrechtsstatus, doch eine entsprechende Formulierung fehlt bislang im Grundgesetz. In vielen Verfassungen der Bundesländer ist das Recht auf den Schutz der personenbezogenen Daten allerdings verankert. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben den Datenschutz zwar nicht ausdrücklich als Grundrecht benannt – doch mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts haben seinen Grundrechtsrang klar formuliert.

Mit dem Volkszählungsurteil gab das Bundesverfassungsgericht 1983 den Gegnern der Volkszählung recht und schrieb das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung” fest. Es wurde zur Basis des modernen Datenschutzrechts. Die Grundüberlegung des obersten Gerichts bestand darin, dass „eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung” mit dem „Recht auf informationelle Selbstbestimmung” nicht vereinbar wäre, „in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß”. Beeinträchtigend für diese Selbstbestimmung sei es, wenn ein Mensch nicht mehr „mit hinreichender Sicherheit überschauen kann”, welche Informationen über ihn „in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind”. Denn „wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden”.

Wie wichtig diese für ein demokratisches Selbstverständnis der Bürger ist, beschrieb das Gericht an folgendem Beispiel: „Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten.” Damit seien dann aber nicht mehr nur „die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen” beeinträchtigt, sondern die des Gemeinwohls”, da die „Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist”.

Für das Gericht ist die informationelle Selbstbestimmung also elementar für eine lebendige Demokratie. Sie ist damit auch ein Maßstab, der an jede neue Technologie und ihre Verwendung angelegt werden muss. In zwei Urteilen im Jahr 2008 hat das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sogar noch erheblich gestärkt und sogar ein neues Grundrecht zum Schutz digitaler Kommunikation geschaffen. Anlass hierfür waren Gesetze gegen Terror und Schwerkriminalität, die datenschutzrechtliche Grundsätze nicht hinreichend berücksichtigt hatten.

„Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.”
Aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts 1983
Mit dem Urteil vom 27. Februar 2008 zur Zulässigkeit von Online- Durchsuchungen schuf das Gericht das „Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme”. Es stellte darin fest, dass eine Überwachung der Nutzung von IT-Systemen und eine Auswertung der auf den Speichermedien befindlichen Daten weitreichende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Nutzers bis hin zu einer Profilbildung ermöglichen. Daraus ergebe sich, so die Richter, ein erhebliches Schutzbedürfnis, dem die bisherigen Regelungen jedoch keine Rechnung tragen würden.

Um dieses Schutzdefizit zu beheben, definierten die Richter das neue Grundrecht, das schwerwiegende Ein- griffe in die Privatsphäre auf ein Mindestmaß begrenzt. Es ist dann anzuwenden, wenn ein Eingriff Systeme erfasse, die „personenbezogene Daten des Betroffenen in einem Umfang und in einer Vielfalt enthalten können, dass ein Zugriff auf das System es ermöglicht, einen Einblick in wesentliche Teile der Lebensgestaltung einer Person zu gewinnen”. Nur wenn es Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für bestimmte Rechtsgüter gebe, sei dieses Recht nachrangig zu behandeln. Solche Rechtsgüter seien etwa „Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt”.

In einem weiteren Urteil vom 11. März 2008 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass eine automatische Erfassung und Speicherung von Kfz-Kennzeichen auf Straßen und Plätzen ohne konkreten Anlass unzulässig ist. Zweck und Umfang des Datenabgleichs müssen klar benannt werden. Die Richter stellten fest, dass das Sammeln des Bewegungsverhaltens des Fahrers oder sonstige persönlichkeitsrelevante Informationen über einzelne Fahrten ein Grundrechtseingriff „von erheblichem Gewicht” sein könne.

Über die Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung beziehungsweise das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen” hat das Gericht noch nicht entschieden. Die Beschwerdeführer zeigen sich optimistisch, dass eine Analogie zur automatisierten Erfassung von Kfz-Kennzeichen herzustellen ist.

Die im Grundgesetz verankerten Grundrechte gelten im Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern. Nur mittelbar wirken sie auch im Verhältnis der Bürger untereinander, da aus der Rechtsprechung entsprechende Prinzipien abgeleitet werden. Damit Bürger ihre Rechte aus der Verfassung klar entnehmen können, wird nun die Verankerung eines umfassenden Kommunikationsgrundrechts im Grundgesetz gefordert.  

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Text: Christiane Schulzki-Haddouti
Erschienen am 19. November 2008

Weitere Informationen:

Urteile zum Datenschutz
auf der Website des Bundesverfassungsgerichts:
www.bundesverfassungsgericht.de


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