Verehrte Frau Präsidentin des Zentralrats der Juden in
Deutschland, liebe Frau Knobloch, Herr Ministerpräsident, Frau
Landtagspräsidentin, Frau Oberbürgermeisterin, liebe
Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten, Regierungen und
Verwaltungen der Europäischen Gemeinschaft, des Bundes, des
Landes, der kommunalen Vertretungskörperschaften, Herr
Landesrabbiner, liebe Frau Sperling, lieber Herr Rabinovich,
verehrter Herr Salomon, liebe Festgäste.
"Es war ein Fest, wie es vielleicht noch nie unsere Stadt gefeiert
hat. Ein Fest der Einmüthigkeit und der Verbrüderung
aller Bürger ohne Unterschied des Glaubens, ein Fest, das bei
allen die Theil daran nahmen, einen unvergeßlichen Eindruck
zurückgelassen hat." So ähnlich, meine Damen und Herren,
könnte die Berichterstattung der Medien heute und morgen
über das heutige Fest ausfallen. Jedenfalls war dies die
Berichterstattung des "Märkischen Sprechers" zur
Eröffnung der neuen Bochumer Synagoge im August 1863.
Die heutige Einweihung unserer neuen Synagoge in Bochum ist
für mich als Bochumer Bürger und als Repräsentant
unseres Parlaments, der Vertretung des Deutschen Volkes, ein
zweifach bedeutendes Ereignis und ein doppelter Grund zur Freude.
Die Einweihung dieser Synagoge in Bochum ist ein weithin sichtbares
Zeichen dafür, dass jüdisches Leben wieder in die Mitte
dieser Stadt zurückgekehrt ist. Hier, mitten im Ruhrgebiet,
setzt sich eine Entwicklung fort, die nach der Zeit der
beispiellosen Verfolgung und Vernichtung der Juden in Deutschland
kaum jemand für möglich gehalten hätte - fast 70
Jahre nach der Zerstörung der damaligen Synagoge in Bochum -
wie im ganzen Land - an jenem entsetzlichen 9. November 1938.
Damals ging scheinbar unwiderruflich eine Jahrhunderte lange
Geschichte der Juden in Deutschland zu Ende. Tatsächlich waren
jüdische Mitbürger ein selbstverständlicher Teil der
deutschen Bürgerschaft, so selbstverständlich, dass viele
von ihnen die unmittelbare Gefahr für Leib und Leben nicht
einmal haben wahrhaben wollten, als noch Zeit gewesen wäre,
sich persönlich in Sicherheit zu bringen. Viele dieser
jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger haben
über die Jahrhunderte hinweg wichtige, manche haben
herausragende Beiträge zur Kultur und Wissenschaft und
übrigens nicht zuletzt auch zum politischen Leben unseres
Landes geleistet. Wie selbstverständlich die
Zugehörigkeit zu diesem Land und dieser Gesellschaft war, wird
auch in den Dokumenten der damaligen Einweihungszeremonie der
Bochumer Synagoge deutlich. Da heißt es unter anderem: "Mit
einem innigen und ergreifenden Gebet auf König und Vaterland
(Preußen in's Besondere, Deutschland im Allgemeinen), auf
unsere Stadt, ihre Bewohner, Behörden und Bildungs-Anstalten,
und auf die Provinz Westfalen, schloß die kirchliche
Einweihungsfeier."
Unmittelbar vor Beginn der nationalsozialistischen
Schreckensherrschaft war die jüdische Gemeinschaft in Bochum
seit ihren Anfängen im 17. Jahrhundert auf den damaligen
Höchststand einer Mitgliederzahl von etwas über 1.100
Gemeindemitgliedern angewachsen. Nach dem 2. Weltkrieg, 1946, waren
noch 33, Anfang der 50er Jahre waren - einschließlich der
Kinder - 32 Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Bochum
registriert. Wenn damals irgendjemand angekündigt hätte,
es könnte zur Wiederherstellung jüdischen Lebens in
dieser Stadt, in diesem Land, kommen, man hätte das,
freundlich formuliert, bestenfalls für reines Wunschdenken
gehalten. Inzwischen ist die jüdische Gemeinschaft in
Deutschland die am schnellsten wachsende jüdische Gemeinschaft
in der Welt. Eine ganz wesentliche Ursache auch hier in Bochum ist
die starke jüdische Emigration aus den Staaten der
früheren Sowjetunion seit Beginn der 90er Jahre. Fast 200.000
Juden sind seitdem nach Deutschland gekommen. Etwa die Hälfte
davon hat sich als Mitglieder jüdischer Gemeinschaften in
Deutschland neu versammelt.
Aber, meine Damen und Herren, wir dürfen auch nicht
übersehen und dürfen nicht verschweigen, was ein
wesentlicher - vielleicht der wesentliche - Grund dieser Emigration
ist: Antisemitismus in subtiler und zum Teil offener Form, der
einmal mehr Tausende von jüdischen Menschen zum Verlassen
ihrer Heimat veranlasst. Dass so viele von ihnen, so erstaunlich
viele von ihnen, ausgerechnet nach Deutschland kommen, ist alles
andere als selbstverständlich.
Dass es nach dem entsetzlichen Terror der nationalsozialistischen
Diktatur und dem Holocaust überhaupt wieder jüdisches
Leben in Deutschland gibt, ist für mich eines der
schönsten und ernsthaftesten Komplimente an die zweite
deutsche Demokratie. Zu den ungeschriebenen
Gründungsdokumenten dieser zweiten deutschen Demokratie
gehört der Holocaust, eine Erfahrung, die sich in das
Gedächtnis dieses Landes fest eingeschrieben hat. Geschichte
vergeht nicht, und schon gar nicht kann sie überwunden werden.
Geschichte ist immer die Voraussetzung der Gegenwart, und der
Umgang mit der Geschichte - vor allem mit der eigenen Geschichte -
prägt auch die Zukunft jeder Gesellschaft. Deshalb ist die
Bewahrung der Erinnerung, das nationale Gedächtnis, eine
politische, aber eben auch und insbesondere eine
bürgerschaftliche Aufgabe. Und deswegen will ich an dieser
Stelle meinen besonderen Respekt all den Frauen und Männern
dieser Stadt und der Nachbarstädte gegenüber zum Ausdruck
bringen, die die Wiedererrichtung, den Neubau dieser Synagoge, zu
ihrem ganz persönlichen Anliegen gemacht haben. So wichtig,
aber eben doch so selbstverständlich das Engagement von
Regierung und Parlamenten in einem solchen Zusammenhang sein muss,
so unverzichtbar ist die Demonstration bürgerschaftlichen
Engagements - als Test auch der Ernsthaftigkeit des Anliegens und
damit als Nachweis für die Botschaft eines solchen Tages, dass
jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in dieser
Stadt ganz selbstverständlich zu Hause sein sollen.
Synagogen, meine Damen und Herren, sind wie alle Gotteshäuser
Orte des Gebets und Stätten der Begegnung. Jeder Wiederaufbau,
jede Restaurierung und jeder Neubau einer Synagoge in Deutschland
ist darüber hinaus ein Zeichen, eine Erinnerung an die
Vergangenheit und eine Verpflichtung für die Zukunft. Und
deswegen kommt in der heutigen Festveranstaltung für mich
sowohl ein großes Stück Veränderung zum Ausdruck
als auch - und mindestens ebenso wichtig - eine Demonstration von
Normalität. Dass die Brücke zwischen Vergangenheit und
Zukunft in unseren Städten auch durch Synagogen geschlagen
wird, ist ein unübersehbares Zeichen und eine nachhaltige
Ermutigung für unsere Stadt und für unser ganzes
Land.
Shalom!