Brodelt hier schon die Stimmung für die dritte Intifada? Mahmoud bestreitet das nicht, sein Bruder ist sich dessen sogar sicher, sollte sich nichts grundlegend ändern. Die israelische Trennmauer verläuft hier zwischen der St. Marta-Kirche und dem Mäuerchen eines Privathauses. Noch lässt die acht Meter hohe Betonwand eine mannsbreite Öffnung. Dort versperren jedoch drei israelische Soldaten den Weg.
Heute sei "Seger" - hebräisch für "Schließung" - erzählen Mohammed, Marwan und Ibrahim. Letzterer zieht, als wolle er sich rechtfertigen, seinen Passierschein aus der Hemdtasche. "Gültig von 17. Januar bis 17. April in der Zeit von fünf bis 19 Uhr." Doch heute nützt ihm der Schein nichts. Jerusalem ist zu. Verschwenden die drei Männer einen Gedanken an die israelischen Wahlen? Es mache keinen Unterschied, welche Politiker die Israelis wählten, alle seien gleich, alle seien gegen die Araber - so das Credo der Arbeiter, die heute wohl ohne Lohn nach Hause gehen werden. "Alle sind Rassisten", wird Ibrahim, als Raumausstatter in einer israelischen Firma tätig, deutlicher.
Rassisten - so hatte auch der israelische Journalist Gideon Levy vor der Wahl seine Landsleute schonungslos genannt. Im Beitrag "Eine rassistische Nation" behauptet der preisgekrönte Publizist, dass "mehr als 100 der Abgeordneten auf der Basis eines rassistischen Programms in die Knesset gewählt" würden. Der "Friede", den Ehud Olmert vorschlage, sei nicht weniger rassistisch als die Vorstellungen von Avigdor Liebermans Partei "Israel, unser Haus". Diese träumt von einem araberfreien Israel und will dazu israelische Gebiete mit überwiegend arabischer Bevölkerung an die palästinensische Autonomiebehörde transferieren. "Das ist die gefährlichste Sorte einer Plattform" in der neuen Knesset, versichert der israelische Wahlforscher Avinoam Brog, Direktor des Umfrageinstituts "Marktbeobachtung".
"Die Fremdenfeindlichkeit macht mir Sorgen", ergänzt der israelische Journalist Akiva Eldar. Auf der Konferenz von IPCRI, dem israelisch-palästinensischen Zentrum für Forschung und Information, wies er zudem auf die 24.000 Stimmen der "Jüdisch-Nationalen Front" hin. Deren Führer Baruch Marzel hat kürzlich die israelische Armee zur Ermordung des Aachener Friedenspreisträgers und israelischen Friedensaktivisten Uri Avnery aufgerufen.
Wofür hat sich Israel bei den Wahlen entschieden? Links, Rechts oder die Mitte? Verhandlungen oder Alleingänge? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hatte das IPCRI die beiden zitierten Israelis sowie zwei palästinensische Akademiker zur Wahlanalyse geladen. "Zum ersten Mal in der israelischen Geschichte ist die israelische Gesellschaft von rechts in die Mitte gerückt", meint Avinoam Brog. Sein palästinensischer Kollege Ata Qaymari vom Institut "Der Beobachtungsturm" widerspricht. Seiner Meinung nach sehen die Palästinenser die israelische Gesellschaft immer weiter nach rechts rutschen. "Die Aussichten auf Frieden sind so dürftig", schlussfolgert er. Brog sieht durch das Wahlergebnis indes bereits die "Saat für Neuwahlen in zwei Jahren" gesät. Und wie denken seine Landsleute, die Israelis auf der Straße, über die angeblich historische Wahl mit der historisch niedrigen Wahlbeteiligung (62,3 Prozent)?
Karin, eine Doktorandin, ist entsetzt über das Wahlergebnis. Das werde das Bild Israels schädigen, sagt sie. Denn Olmert sei korrupt. "Es ist traurig für das ganze Land", bilanziert die Frau den Wahltag. Dieser hat Michal, die Sicherheitskontrollen an der Hebräischen Universität durchführt, nicht sonderlich interessiert. "Mir ist es egal, wer gewinnt", gibt sie zu. Gefreut hat sie sich dennoch über die sieben Sitze der "Rentnerpartei": "Das haben sie verdient."
Ido, der Sprachwissenschaften studiert, findet das Ergebnis problematisch. Es werde schwierig sein, "eine starke Koalition für den Frieden zu schmieden", prophezeit er.
Frieden - ein Wort, das im israelischen Wahlkampf kaum vorkam, aber nach dem sich nach wie vor die große Mehrheite auf beiden Konfliktseiten sehnt. Auf die Frage des "Nahost-Beratungsinstituts", welche israelische Partei am ehesten ein Friedensabkommen mit den Palästinensern erreichen könnte, trauen dies nur neun Prozent der palästinensischen Befragten Olmerts "Kadima" zu, während 29 Prozent die Arbeitspartei für die wahrscheinlichste Friedensbotin halten. Die Mehrheit - 56 Prozent der Palästinenser - antwortet hingegen: "Die sind alle gleich." Somit bestätigen die Zahlen von Jamil Rabah, dem Direktor des palästinensischen Instituts, den Eindruck aus den Gesprächen an der Mauer bei Bethanien.
Zurück zum dortigen Schauplatz: Gerade wird - auf Jerusalemer Seite - ein schwarzer Haarschopf neben dem Mauerende sichtbar. Jetzt lugt der ganze Kopf um das Betonteil. Wird der Mann es riskieren, die Mauer zu umgehen, wo die Soldaten doch nur zehn Meter weiter patroullieren? Ein Student kommt nach kurzem Wortwechsel mit dem Militär zurück. Die Soldaten haben ihm den Weg zur Universität nach Abu Dis - im West-Jordanland gelegen - versperrt. Ihm bleibt nur der Umweg über Ma'ale Adummim. "Wozu ich eigentlich nur fünf Minuten brauche, wird jetzt eine ganze Stunde dauern", sagt er und lächelt.
Da! Der Haarschopf zeigt sich wieder, nun wird der Oberkörper sichtbar - ein Sprung, und schon ist der Palästinenser auf Jerusalemer Gebiet. Unbemerkt vom Militär. Seine rechte Hand hält er waagerecht vor sich. Ein provisorisch angelegter Verband lässt die Schwere der Fingerverletzung erahnen. Darauf angesprochen erklärt er, er habe einen Passierschein, um das Krankenhaus in Jerusalem aufzusuchen. Doch die Soldaten verwehrten ihm den Zugang nach Jerusalem. "Sehen Sie, ich kann nicht einmal das Krankenhaus erreichen." Was er über die Wahlen in Israel sagt? "Wenn Gott will, werde Schalom."