Die Mammutabstimmung mit 270
Änderungsanträgen zeigte, wie umstritten der
Abschlussbericht des CIA-Sonderausschusses im Europaparlament war.
Dieser hatte klären sollen, ob der amerikanische Geheimdienst
ohne das Wissen europäischer Regierungen Gefangentransporte
über Europa durchgeführt hat.
Vor allem Abgeordnete der konservativen
Fraktion hatten versucht, die scharfe Kritik an einzelnen
Regierungen abzuschwächen. Doch gegen die Mehrheit aus
Sozialisten, Grünen, Liberalen und Linken konnten sie sich am
vergangenen Mittwoch in Straßburg nicht durchsetzen. 382
Abgeordnete akzeptierten schließlich den Bericht des
italienischen Abgeordneten Claudio Fava, 256 Parlamentarier sagten
Nein, 74 enthielten sich.
In der Debatte war von vielen Rednern
bedauert worden, dass der Ausschuss nicht über juristische
Instrumente verfügte, um Zeugen vorzuladen oder Einsicht in
bestimmte Dokumente zu erzwingen. Der EVP-Abgeordnete Winfried
Nassauer nannte den Abschlussbericht "unter rechtsstaatlichen
Gesichtspunkten eine Sammlung von Verdächtigungen. Der Bericht
hält den rechtsstaatlichen Anforderungen, die wir selbst
stellen, nicht stand." Für Geheimgefängnisse auf
europäischem Territorium habe man "nicht den Schatten eines
Beweises" gefunden.
Sein italienischer Fraktionskollege Jas
Gawronski sagte, das EU-Parlament habe in 130 Sitzungen, 200
Anhörungen und bei sieben Reisen zwar zwei Millionen Euro
verbraucht, am Ende aber weniger Erkenntnisse gewonnen als Dick
Marty, der Sonderermittler des Europarates, in Einzelarbeit. Der
britische Konservative Roger Helmer ergänzte: "Der
Marty-Report ist löcherig wie ein Schweizer Käse. Und der
EU-Report ist nicht besser. Wir gehen einfach davon aus, dass alle
CIA-Flüge illegale Entführungen waren. Die CIA mag aber
legitime Gründe haben, Menschen und Material durch die Welt zu
transportieren. Ich wäre tief besorgt, wenn unsere
Geheimdienste nicht mit den Amerikanern kooperieren würden."
Der Bericht sei von tiefem Anti-Amerikanismus geprägt.
Gegen diese Kritik verteidigte Innenkommissar
Franco Frattini seinen italienischen Landsmann Fava. "Es ist nicht
Absicht des Berichterstatters, die USA auf die Anklagebank zu
setzen. In erster Linie sitzen die Terroristen auf der
Anklagebank." Schließlich habe die Medienberichterstattung in
den USA die Ermittlungen erst möglich gemacht. Gemeinsam mit
der deutschen Ratspräsidentschaft wolle sich die Kommission
stärker um euroatlantische Zusammenarbeit bemühen.
Auch Cem Özdemir, Vertreter der
Grünen im Sonderausschuss, erinnerte daran, dass in den USA
viele Bürger und Politiker die illegalen Aktivitäten der
US-Geheimdienste verurteilten. Er erhob seinerseits scharfe
Vorwürfe gegen die polnische Regierung, die jede
Zusammenarbeit mit dem Ausschuss verweigert habe. Bei ihrer Reise
nach Warschau seien die Ausschussmitglieder "wie Abgesandte des
Warschauer Paktes" behandelt worden. "Wer nichts zu verbergen hat,
verhält sich nicht so." Dagegen verwahrte sich der polnische
Nationalist Konrad Szymanski, der wie viele seiner Landsleute jede
Kritik an der eigenen Regierung zurückwies: "Wenn man gegen
Polen nichts anderes zu sagen hat, als dass man von der Regierung
keine Informationen bekam, dann soll man besser schweigen."
Die Abgeordneten, wie mit den Erkenntnissen
nun weiter verfahren werden soll. Der Ausschuss hatte
ursprünglich verlangen wollen, dass der Rat gegen die im
Bericht kritisierten Regierungen ein Verfahren nach Artikel 7 der
EU-Verträge einleitet. Demnach könnte auf Antrag des
EU-Parlaments mit 4/5 Mehrheit im Rat festgestellt werden, dass
eine schwerwiegende Verletzung der europäischen Grundwerte
vorliegt. Dem Mitgliedstaat würden dann Auflagen gemacht, die
Missstände zu beheben.
In der nun verabschiedeten Version
heißt es, der Rat solle "Druck auf alle betroffenen
Regierungen ausüben, damit diese den Rat und die Kommission
vollständig und genau informieren, und dass er
nötigenfalls Anhörungen beginnt und unverzüglich
eine unabhängige Untersuchung in Auftrag gibt."
Staatsminister Günther Gloser, der die
deutsche Ratspräsidentschaft bei der Debatte vertrat,
erklärte, der Rat habe keine Legitimation, um Maßnahmen
nach Artikel 7des EU-Vertrages einzuleiten. Viele nationale
Parlamente hätten inzwischen selbst die Initiative ergriffen.
"Dort müssen Untersuchungen angestellt und Fakten an den Tag
gebracht werden." An die Adresse der PDS-Abgeordneten Sylvia Yvonne
Kaufmann, die Außenminister Steinmeier kritisiert hatte,
fügte er hinzu: "Ich möchte dem Zwischenbericht des
Bundestages nicht vorgreifen, aber es gibt keine Belege für
ein Fehlverhalten deutscher Stellen." Dem Vorschlag einiger
Abgeordneter, die Arbeit europäischer Geheimdienste durch ein
Rahmengesetz zu regeln, erteilte Gloser eine Absage. Auch
Innenkommissar Franco Frattini will kein europäisches
Geheimdienst-Gesetz. Man müsse aber auf nationaler Ebene
über die Rolle der Dienste nachdenken. "Wir brauchen Regeln,
einen Rahmen für diese Arbeit. In vielen Ländern muss es
zu entsprechenden Reformen kommen, auch in meiner Heimat Italien."
Die EU-Kommission könne "Hilfestellung" bei der Frage geben,
wie der europäische Luftraum legitim genutzt und Missbrauch
verhindert werden könne.
KOMPAKT
- 1.245 Flüge der CIA haben zwischen 2001
und 2005 mindestens in Europa stattgefunden, so das Fazit des
Europäischen Parlaments.
- Über 270 Änderungsanträge
mussten die Parlamentarier in der Abschlussdebatte abstimmen.
- 382 Abgeordnete stimmten für, 256 gegen
den Bericht. 74 Parlamentarier enthielten sich.
- 130 Sitzungen, 200 Anhörungen und sieben
Reisen zur Aufklärung der CIA-Aktivitäten in Europa haben
das Parlament rund zwei Millionen Euro gekostet.