Man dürfe die "Büchse der Pandora"
nicht öffnen, insistiert Sergej Iwanow: Im Falle einer
Unabhängigkeit des Kosovos sei eine "Kettenreaktion" zu
befürchten, warnt Moskaus Verteidigungsminister. Im Vorfeld
der Verkündung des Ahtisaari-Plans für die Unruheprovinz
wurde auch der russische Präsident Wladimir Putin bei einem
Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel deutlich: Die Lösung des
Kosovo-Problems werde einen "Präzedenzfall für die
Beilegung ähnlicher Konflikte" im Osten des Kontinents
schaffen. Iwanow mahnt, eine gegen Serbiens Willen durchgesetzte
Eigenstaatlichkeit der Balkanregion könne auch andernorts
manchen Volksgruppen als Modell für
Unabhängigkeitsbestrebungen dienen.
Diese Töne aus Moskau beleuchten
mögliche heikle Folgen des Streits um den Kosovo, die wenig
beachtet werden: Besonders die "eingefrorenen Konflikte" in
Transnistrien, Südossetien und Abchasien sowie der Krieg in
Tschetschenien drohen als Menetekel am Horizont. Das Konzept des
UN-Beauftragten Martti Ahtisaari zielt auf eine faktische
Eigenständigkeit des Kosovos, die von EU und Nato
überwacht werden soll, sowie auf die Garantie von
Sonderrechten für die serbische Minderheit. Das neue serbische
Parlament hat den Ahtisaari-Plan bei seiner ersten Sitzung am 14.
Februar mit großer Mehrheit abgelehnt.
Man mag die russischen Warnungen vor der
"Büchse der Pandora" als taktischen Winkelzug zugunsten
Belgrads einordnen. Doch Machtpoker hin oder her: Eine
Eigenstaatlichkeit der Balkanprovinz, die von der internationalen
Gemeinschaft gegen Serbiens Widerstand proklamiert oder mangels
UN-Votums von den USA und anderen Ländern über die
diplomatische Anerkennung Pristinas vorangetrieben würde,
könnte delikate Konsequenzen haben. Ein solcher Weg
ließe sich schwerlich mit der KSZE-Schlussakte von 1975
vereinbaren: Dort wird die Unverletzlichkeit staatlicher Grenzen
festgelegt, die nur "durch friedliche Mittel und durch Vereinbarung
verändert werden können".
Auftrieb für Separatisten
Eine dem "Mutterstaat" aufgezwungene Regelung im Kosovo
dürfte diversen Separatisten Auftrieb geben. Im Falle von
Abchasien und Südossetien in Georgien sowie von Transnistrien
in Moldawien könnte Moskau eine solche Entwicklung durchaus
für eigene Zwecke nutzen. In diesen drei Regionen
unterstützt Russland die nach Unabhängigkeit von Tiflis
und Chisinau strebenden Sezessionisten. Im Hintergrund schwelt
nicht bloß theoretisch die Idee eines Anschlusses dieser
Provinzen an Russland. Die an Südosseten und Abchasen
fleißig ausgegebenen russischen Pässe deuten jedenfalls
eine schleichende Annexion an. In Tschetschenien indes läuft
ein Kosovo-Alleingang, auf den sich die separatistischen
Aufständischen berufen könnten, den Moskauer Interessen
zuwider.
EU und Nato beharren auf territorialer
Integrität Georgiens und Moldawiens. Auch der Europarat,
dessen Mitglied Russland ist, lehnt gegenüber Moskau eine
Sezession Abchasiens, Südossetiens und Transnistriens ab und
dringt auf innerstaatliche Lösungen. So weigerte sich der
Straßburger Staatenbund, Beobachter zu den in Abchasien am
11. Februar angesetzten Kommunal- und zu den für den 4.
März geplanten Parlamentswahlen zu entsenden: Diese
Urnengänge widersprächen dem Prinzip der territorialen
Integrität Georgiens. Ein Referendum in Transnistrien im
Herbst mit einer 97-Prozent-Zustimmung für eine Trennung von
Moldawien verurteilte René van der Linden, Präsident
des Europarats-Parlaments, als "illegitim". Im Falle
Tschetscheniens kritisiert der Staatenbund die russische
Kriegführung, widersetzt sich aber einer Eigenstaatlichkeit
der Kaukasusrepublik.
Ob EU, Nato und Europarat, die mit der
Einzigartigkeit der Situation auf dem Balkan argumentieren, diese
Linie im Falle einer gegen Belgrads Willen forcierten
Unabhängigkeit des Kosovos durchhalten können? Baskische
und korsische Nationalisten dürften dann Rückenwind
verspüren, auch wenn diese Konflikte mit den Krisenherden im
Osten nicht zu vergleichen sind.
Man muss nicht das Fanal an die Wand malen,
dass sich die Büchse der Pandora öffnet und neue
Regionalkriege entbrennen. Aber im internationalen Umfeld des
Showdowns im Kosovo könnte noch so manche politische Mine
scharf werden.