Jemen
Die Ölquellen versiegen, die Hoffnung liegt nun in den Schätzen der Geschichte - sie sollen mehr Touristen anlocken
Sanaa. Turki Salim Al-Sharief steht auf einem steinigen Hügel und schaut in die weite Ebene. Unter ihm liegen die mächtigen Mauerreste des Damms von Marib, der schon im Koran erwähnt wurde. Einst fing der Damm die Fluten auf, die zweimal im Jahr den Wadi Dhana hinunter rauschen und leitete sie auf die größte Oase Arabiens. Die Schleusen und Kanäle brachten das Land zum Blühen und machten das Volk der Sabäer reich. Im 8. Jahrhundert vor Christus herrschten sie über den Süden Arabiens, ihre Königin Saba - so berichtet es die Bibel im Alten Testament - reiste einst mit Kamelladungen voller Kostbarkeiten nach Jerusalem zu König Salomon.
Turki Salim Al-Sharief erzählt von dieser Königin von Saba und dem Handel auf der Weihrauchstraße, er führt die Touristen zwischen Orangenhainen zum Tempel von Baran. Dort steht hinter uralten Mauern ein Altar, fünf Säulen ragen in den Himmel, und Turki berichtet von den alten Göttern, die hier verehrt wurden. Der 30 Jahre alte Mann gehört zu den "Sons of Marib". Das sind zwölf Söhne der Stämme der Aschraf, Djum und Abida, die auf Initiative des Deutschen Archäologischen Instituts zu Touristenführern ausgebildet werden. "Die Archäologen erzählen uns die Geschichte der versunkenen Städte. Außerdem lernen wir, wie man ein Büro aufbaut und sich bei den Reiseagenturen bewirbt", erzählt Turki. Der Tourismus soll den Bauern im Marib neue Einnahmequellen erschließen.
Eigentlich gehört ihr Land zu den reicheren Provinzen des Jemens. Der Weg in den Marib führt von der Hauptstadt Sanaa ostwärts über Berge und durch Täler in die Wüste, vorbei an staubigen Dörfern und an zahlreichen Bohrtürmen, die von der Armee bewacht werden. Doch das Öl bringt den Bauern keine Arbeit und kein Geld. Die stolzen Aschraf, Djum und Abida haben in der Vergangenheit deshalb immer wieder Touristen entführt. Sie waren Faustpfand im Streit der Stämme mit der Regierung. Es ging um die Einnahmen aus den Ölfeldern und um von den Behörden versprochene, aber nie gebaute Schulen und Straßen.
Es heißt, über ein Zehntel der Straßen im Nordjemen sollen durch Entführungen finanziert worden sein. Nach einigen Wochen kamen die Touristen unversehrt frei, die Geiseln lobten die Gastfreundschaft ihrer Entführer. Doch die Zeitungen in Europa schrieben über Krieger, die nichts so sehr liebten wie ihren Stamm und die Ehre, den Krummdolch Djambila und ihre Kalaschnikows. "Die Entführungen schaden unserem Land, der Tourismus ist eine große Hoffnung", beklagt Yahya M. A. Saleh, 41, Neffe des jemenitischen Präsidenten Saleh und Funktionär im Tourismusverband. Die Regierung setzt auf den Mythos vom alten "Arabia Felix", hofft auf die Anziehungskraft der Paläste und Minarette der Altstadt von Sanaa (Unesco-Weltkulturerbe) oder der Lehmhochhäuser Shibams, des Manhattans der Wüste, und sie wirbt mit den Bergen und Wüsten, den Stränden und der Insel Sokotra (mit einer den Galapagos-Inseln vergleichbaren Fauna). Yahya M. A. Saleh weiß, dass der Jemen schnell neue Perspektiven braucht: Im Jahr 2005 nahm das Land 1,3 Milliarden Dollar aus dem Ölexport ein (das sind fast 70 Prozent der Staatseinnahmen), doch die ohnehin im Vergleich zu Saudi-Arabien geringen Erdölreserven werden wohl in zehn Jahren aufgebraucht sein. Schon vorher droht Wassermangel: Die Dieselpumpen der Bauern müssen das Wasser aus immer größeren Tiefen fördern, Brunnen versanden, Felder versalzen. "In den vergangenen Jahren ist der Grundwasserspiegel dramatisch gefallen, doch die politischen Eliten ignorieren bisher das Problem", berichtet Felix Eikenberg von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sanaa. Ein Grund für die drohende Wasserkrise: Der Durst des Qat-Strauchs. Immer mehr Menschen im Jemen kauen die leicht narkotisierenden sanftgrünen Triebe und jungen Blätter des mannshohen Strauchs. Qat ist die Nationaldroge des Jemens, und Qat ist eine Plage für das Land, ein Entwicklungshemmnis. Nachmittags sind die Menschen "zugeqatet": Egal ob sie am Straßenrand Handys verkaufen oder Taxi fahren. Selbst Polizisten regeln mit dicker Backe, in der das zerkaute Qat über Stunden "gelagert" und ausgesaugt wird, den Verkehr. Von zwei bis sechs Uhr steht das Land still. Das Geschäft mit dem Qat ist so lukrativ (ein Bündel für eine Tagesration kostet knapp 750 Rial, ungefähr 3 Euro), dass viele Bauern ihre alten Kaffeesträucher aus der Erde gerissen haben, um Qat anzubauen. Die Pflanze aber verbraucht viel mehr Wasser. Für Anwer Sahooly, der für die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit arbeitet, ist Qat eine Katastrophe: "Vierzig Prozent unserer Wasserreserven werden sinnlos weggekaut." Immer mal wieder startet die Regierung halbherzig Kampagnen gegen den täglichen Qatkonsum, aber eine Lösung scheint nicht in Sicht. "Die Qat-Mafia ist sehr stark, und die Regierung hat Angst, entschieden gegen sie vorzugehen", sagt Sahooly. Vielleicht agiert die Politik auch deshalb so vorsichtig, weil der Qat eine soziale Funktion in der jemenitischen Gesellschaft erfüllt. Bei gemeinsamen Qatrunden werden Probleme innerhalb von Familien und Clans besprochen und gelöst. Die Blätter sind so etwas wie ein Schmerz- und Beruhigungsmittel für ein Land, das immer ärmer wird. Die Bevölkerung wächst unaufhaltsam, schon heute leben rund 21,5 Millionen Menschen im Jemen. "Wahrscheinlich sind es noch ein, zwei Millionen mehr", schätzt Eikenberg, "denn bei der Volkszählung von 2004 haben viele Familienväter ihre Töchter nicht mit angegeben." Es fehlen Krankenhäuser und Schulen, Fabriken und Jobs.
Im November 2006 hat eine internationale Geberkonferenz dem Land 4,7 Milliarden Dollar bewilligt. Die Hälfte des Geldes stammt von den reichen Nachbarn am Golf. Saudi Arabien führt mit einer Milliarde Dollar die Liste an. Die Hilfe ist nicht selbstlos. Die Nachbarstaaten fürchten einen Jemen, der in Armut und Anarchie abgleiten könnte, illegale Migration, Schmuggel und Terrorismus wären die Folgen. Fast noch wichtiger als das Geld ist die vage Perspektive der Aufnahme des Jemens in den Golfkooperationsrat, wenn wohl auch erst frühestens in zehn Jahren. Westliche Beobachter in Sanaa sehen bis dahin die Gefahr eines zweiten Somalias, in dem sich Clans und Stämme bekriegen, und hoffen darauf, dass die Mittel der Geberkonferenz nicht versickern.
Man wolle vor allem in die touristische Infrastrukur investieren, versichert Saleh, in Hotels und Flughäfen. Fast 100.000 Touristen aus Europa kamen 1997 schon einmal in den Jemen, 2003 waren es nach einer Kidnapping-Welle nur 14.000. Für Tourismusunternehmer ist der Jemen ein unkalkulierbares Geschäft. Die Regierung möchte daher auch die Sicherheit im Land verbessern. Der Tourismusverband will mit den Stämmen zusammenarbeiten, ihre Söhne sollen in die Armee aufgenommen werden, und auf den Toyota-Pickups mit aufgebauten Maschinengewehren mitfahren, die die Wagen der Touristen begleiten.
"Die Stämme müssen lernen, dass der Tourismus ein Geschäft sein kann", hofft Saleh. Mehr kann er nicht tun, denn nicht nur im Marib ist der Wille der Stämme Gesetz. Die Menschen fühlen sich ihrem Clan verbunden und vertrauen ihrem Scheich. Das Stammeswesen ist uralt, es hat nichts mit dem Islam zu tun, sondern beruht auf der Kultur der Beduinen; das Wichtigste in der Wüste sind Schutz und Stärke. Konflikte wurden über Jahrhunderte durch Kämpfe aus der Welt geschafft.
Die Scheichs halten die Politiker in Sanaa für Weichlinge. Aber die Scheichs können auch rechnen, und sie haben eigentlich nichts gegen Fremde. Die Gastfreundschaft zählt traditionell viel bei den Stämmen. So lädt Turki seine Gäste in den großen schattigen Innenhof seines Hauses im Dorf Hossun-al-Saud ein, serviert süßen Tee, der nach Kardamon schmeckt, und erzählt, dass er stolz ist auf seinen neuen Job, der sein Leben verändert. Eigentlich ist er Bauer, baut Tomaten, Weizen, Mangos an (keinen Qat wie er betont) und besitzt zwei Kamele. Seit einigen Wochen lernt er für die Touristen jeden Vormittag Englisch. What do you like? Are you feeling fine? What can I do for you?
Eine Reisegruppe, die bei den Sons bucht, genießt automatisch den Schutz der Stämme. "Eine Entführung würde die Ehre des Stamms beschmutzen", erklärt der Archäologe Holger Hitgen, 40, der seit zehn Jahren im Jemen lebt, und die Sons betreut. "Am Anfang war die Atmosphäre unter den verfeindeten Stammesmitgliedern kühl." Den Söhnen sei es schwer gefallen, die alten Fehden einfach zu vergessen. "Aber dann haben wir alle gebeten, uns ihr Bild von Touristen zu erzählen. Das hat die Stimmung schnell gelockert."
Die Söhne des Maribs fanden, dass die meisten Europäer alt sind, viel schwitzen und banale Sachen fotografieren wie Palmen und Kamele. Gemeinsam lernen sie jetzt, knapp bekleidete Frauen mit Respekt zu behandeln und, dass es besser ist, die Kalaschnikows während der Führung im Auto zu lassen. Beim ersten Mal seien die stolzen Männer sehr schüchtern gewesen, erzählt Hitgen, aber mittlerweile mache es ihnen Spaß, Touristen durch ihre Heimat zu führen. Und sie haben gelernt, dass man mit Tourismus langfristig mehr Geld verdienen kann, als mit einmaligen Lösegeldzahlungen.
Als vor einiger Zeit in einer anderen Provinz französische Touristen entführt wurden, waren die Sons sehr besorgt. "Eigentlich sind wir ein gastfreundliches Land", findet Abdullah Amed al Goaibi, 31, Bauer wie sein Freund Turki. Sein Traum ist es, die fremden Besucher aus dem Norden in ein Hotel in der Wüste einzuladen, das aus den festen Zeltplanen der Beduinen gebaut ist, weil man nur in der Wüste dem Himmel ganz nah sei. Außerdem gehöre in seinem Traum die Firma, die die Zeltplanen herstellt, ihm, Abdullah Amed al Goaibi vom Stamm der Aschraf aus dem Marib.