Italien
Die Regierung hat die Krise überstanden. Vorerst.
Am Aschermittwoch schien alles vorbei. Nach der zweiten Abstimmungsniederlage seiner Koalition in anderthalb Wochen reichte Italiens Ministerpräsident Romano Prodi noch am gleichen Abend seinen Rücktritt ein. Zwei Kommunisten und zwei Senatoren auf Lebenszeit, darunter der 87-jährige Giulio Andreotti, hatten der Koalition ihre Stimme verweigert: die trotzkistischen Linksabweichler aus Protest gegen das Afghanistan-Engagement und den Ausbau der US-Militärbasis in Vicenza, Andreotti wohl aus Ärger über die geplante, vom Vatikan heftig kritisierte gesetzliche Anerkennung von Lebensgemeinschaften auch homosexueller Art. Zum Stolperstein wurde so nach nur acht Monaten im Amt ausgerechnet die Außenpolitik. Dabei hatte die Regierung Prodi gerade auf diesem Feld ihre bisherige Meisterleistung abgeliefert, insbesondere mit der Intervention im Libanon vergangenen Sommer, als sie der widerstrebenden französischen Regierung den Weg wies.
Auf anderen Politikfeldern war die Bilanz weniger deutlich und wurde vor allem durch die endlosen Streitereien zwischen den Koalitionspartnern verdorben, die gute Ansätze und erste Erfolge überdeckten. Den größten und vermutlich dauerhaftesten Schaden in der italienischen Politik hat tatsächlich die noch von der Regierung Berlusconi betriebene Abkehr vom Mehrheitswahlrecht angerichtet, die heute in allen Lagern wieder zur Parteienzersplitterung ermutigt und damit das Parlament unregierbarer denn je gemacht hat. Die Opposition stand deshalb zuletzt kaum besser da als die Regierungskoalition.
Auch wenn das Haus der Freiheiten in den aktuellen Umfragen weit vorne liegt, stößt die Macht Berlusconis, der weiterhin allein seine persönlichen Interessen als einzige Koalitionsräson gelten lässt, nunmehr an ihre Grenzen. Ermutigt durch das neue Verhältniswahlrecht haben seine christdemokratischen Verbündeten inzwischen die Gefolgschaft aufgekündigt, und ihr Vorsitzender Pierferdinando Casini (UDC) hat sogar die Ablösung des 70-jährigen Koalitions-chefs gefordert.
Die zerstrittenen Oppositionsparteien riefen deshalb in der aktuellen Krise nur halbherzig nach Neuwahlen und kritisierten in leisen Untertönen sogar die Unzulänglichkeiten des von ihnen selbst verbrochenen Wahlrechts. Nachdem so deutlich wurde, dass Italien einmal mehr nicht nur ohne angemessene Verfassung da steht (eine umfassende Reform steht seit rund zwanzig Jahren aus), sondern auch ohne praktikables Wahlrecht, blieb Staatspräsident Giorgio Napolitano schließlich keine andere Lösung, als die bisherige Regierung zur Vertrauensabstimmung zurück an die Kammern zu verweisen.
Nach dem ersten Schock hatte Ministerpräsident Prodi die Situation bereits genutzt, um von den verbündeten Parteivorsitzenden in einem Zwölf-Punkte-Katalog notwendige Schritte zur Aktualisierung seines Regierunsprogramms und zur Stärkung seiner Autorität in der Koalition einzufordern. Erst als dieses Papier von allen unterschrieben wurde, war er bereit, sich noch einmal zur Verfügung zu stellen. Nach Vorstellung des so erweiterten Programms erhielt die Regierung Prodi am 28. Februar eine knappe Mehrheit im Senat: Er erhielt lediglich zwei Stimmen mehr als erforderlich. Vorausgegangen war indes eine Woche heftiger Spekulationen über das mögliche Abstimmungsverhalten der unsicheren Kantonis-ten von der extremen Linken bis zu den Senatoren auf Lebenszeit, die zuletzt aber fast alle ihr Vertrauen erneuerten. Zu Hilfe kam Prodi schließlich auch noch der ehemalige Parteichef der UDC, Marco Follini, der sich nach seinem von Berlusconi vor anderthalb Jahren betriebenen Sturz nun auf diese Weise rächte.
In seiner Rede zur Vertrauensabstimmung im Senat, die übrigens vom staatlichen Fernsehen nicht übertragen wurde, nannte Prodi als eine der Prioritäten auch die Wahlrechtsreform, die allerdings nur im Dialog mit der Opposition vorangebracht werden könne.
Der schwache Medienauftritt der Regierung hat sich angesichts der medialen Übermacht des Oppositionschefs tatsächlich als ihr größtes Handicap erwiesen. Zumal die von Prodi auch gegen interne Widerstände in der Koalition betriebene Spar- und Reformpolitik bei Teilen der Bevölkerung auf wenig Verständnis stoßen. Kein Wunder, dass der angeschlagene Regierungschef vor der zweiten Vertrauensabstimmung in der Abgeordnetenkammer am vergangenen Freitag auf die positiven Wirtschaftsdaten verwies, die ein Tag zuvor veröffentlicht worden waren. Tatsächlich wuchs die italienische Wirtschaft 2006 so schnell wie seit der Jahrtausendwende nicht mehr: Das Bruttoinlandsprodukt stieg um 1,9 Prozent. Im Vorjahr waren es lediglich 0,1 Prozent gewesen. Dennoch liegt Italien damit immer noch hinter dem Durchschnitt der Eurozone (2,7 Prozent) zurück. Weitere Reformen seien notwendig, kündigte also der Wirtschaftsprofessor aus Bologna an. Dies birgt aber potenziellen Sprengstoff für die Regierungskoalition, die von Kommunisten bis zu Katholiken reicht.
Doch die nächste Zerreißprobe ist bereits in Sicht. Noch im März soll über die Fortsetzung und Finanzierung des italienischen Afghanistaneinsatzes abgestimmt werden. Die Kommunisten haben bereits angekündigt, erneut in dieser Frage auszuscheren. Prodis Erzrivale und Oppositionsführer Berlusconi signalisierte dagegen Unterstützung. Sein Mitte-rechts-Block werde die Finanzierung von 1.800 Soldaten mittragen. Italien müsse sich loyal gegenüber den Nato-Verbündeten verhalten.
Indes glauben viele Italiener nicht an eine langfristige Stabilität der Regierung Prodi. Ihr fünfjähriges Mandat endet zwar 2011, in den Umfagen werten Prodis Landsleute die überstandene Krise lediglich als eine Verschnaufpause für die Regierung und geben der Koalition nur noch einige Monate Lebensdauer.