Herr Sejm-Marschall, sind Sie mit dem aktuellen Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen zufrieden?
Im gesellschaftlichen Bereich sind sie ausgesprochen rege. Wir haben einen sehr intensiven wirtschaftlichen Austausch, in Europafragen verstehen wir uns mit der derzeitigen Koalition besser als mit ihrer Vorgängerregierung, gleichzeitig aber gibt es in unseren Beziehungen Fragen, die einer Klärung bedürfen.
Zum Beispiel?
Es geht um unterschiedliche Standpunkte in der Energiepolitik, Meinungen über die Ostseepipeline oder verschiedene Verhaltensweisen gegenüber Polen in Deutschland, wo wir eine deutlichere Reaktion der öffentlichen Stellen erwarten würden. Ich denke da an die individuellen Vermögensansprüche oder die Verständigungsmöglichkeiten geschiedener Eltern mit ihren polnischen Kindern in polnischer Sprache. Wobei es gerade in dieser Frage - wie ich gehört habe - eine Reaktion der Justizministerin gab, was wir als ein Zeichen des Fortschritts ansehen.
Fortschritt gibt es auch auf der parlamentarischen Ebene. Welche Rolle kann der geplante Meinungsaustausch zwischen dem Sejm und dem Bundestag spielen?
Diese Kontakte sind vielversprechend. Beim jüngsten Treffen mit Bundestagspräsident Lammert sprachen wir darüber, dass die Parlamente beider Staaten in einer besonderen Weise den historischen und kulturellen Dialog zwischen Deutschland und Polen begleiten sollten. Dabei sollten wir zunächst kontroverse Ansichten klären, um dann das gegenseitige Interesse für die jeweilige Kultur und Geschichte zu wecken und schließlich nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Ich glaube, dass die Parlamente hierin eine wichtige Rolle spielen könnten. Darüber hinaus sollten sie natürlich alle Fragen der aktuellen Politik begleiten.
Haben Sie konkrete Erwartungen an diesen Austausch, an den Bundestag und an die gemeinsame Präsidiumssitzung beider Parlamente am 6. März in Berlin?
In Vorbereitung dieser Sitzung sprachen wir während des Besuches von Dr. Lammert in Polen über die Berliner Erklärung, darüber, welche Erwartungen sie in Polen weckt und dass sie aus polnischer Sicht die gemeinsamen europäischen Werte klar aufzeigen sollte. Ich freue mich beispielsweise darüber, dass Bundeskanzlerin Merkel die Frage der Bedeutung des Christentums für die europäische Zivilisation und die Europäische Union aufgegriffen hat. Es geht hier um sehr wichtige Dinge. Wir sollten auch gemeinsam an die Bedeutung des gesellschaftlichen Widerstandes bei der Wiedergewinnung der Freiheit durch die Länder Mitteleuropas erinnern, umso mehr, als Polen und Deutsche ihren Beitrag dazu leisteten. Das sollte auch Eingang in die Berliner Erklärung finden. Und wir freuen uns über die Einladung, am Sitz des deutschen Parlaments an den polnischen gesellschaftlichen Widerstand zu erinnern.
In den deutsch-polnischen Beziehungen gibt es dennoch seit einiger Zeit eine Reihe von Missverständnissen. Heftige Vorwürfe gegenüber Deutschland, und das seitens der polnischen Regierung, sind seit Wochen zu vernehmen. Zurückgekehrt sind Begriffe wie Revanchismus, Geschichtsfälschung oder Germanisierung der Polen in Deutschland. Sollte man nicht schlicht die Kontakte auf der Ebene der Regierungen, Ministerien und Regionen intensivieren, denn zwischen den einfachen Kowalskis und Müllers scheinen sie gar nicht so schlecht zu funktionieren?
Aber natürlich, denn die Fragen, über die wir sprechen, sind ernst, und recht oft zeigen sie eine problematische Einstellung gegenüber Polen in Deutschland. Wir möchten diese Probleme lösen. So gehört der Gebrauch der Muttersprache zu den elementaren Menschenrechten, also handelt es sich hier um ein sehr ernstes Problem. Allerdings habe ich die Hoffung, dass wir uns nun auf dem richtigen Weg befinden..
Gibt es Defizite auf polnischer Seite?
Ich sehe nicht unbedingt welche. Sollte es dennoch Probleme geben, dann sind wir jederzeit bereit, uns damit zu befassen. Wir sind auch bereit, über den deutschen Standpunkt nachzudenken oder Forderungen abzuwägen, wenn es welche gibt. Ich nenne ein Beispiel. Seit der Unabhängigkeit (seit dem Zusammenbruch des Kommunismus, die Redaktion) gilt in Polen ein Wahlrecht, das den Vertretern der deutschen Minderheit eine parlamentarische Präsenz garantiert. Einige Abgeordnete wollten das unlängst ändern. Diese Idee erreichte nicht einmal das Stadium einer Gesetzesvorlage und wurde von den wichtigsten polnischen Politikern entschieden abgelehnt. Auch ich missbillige diese Vorlage entschieden. Also versuchen wir unsererseits, entschlossen auf Probleme zu reagieren.
Zu den heikelsten Themen gehören Vertreibung und Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Dieses Problem belastet die gegenseitigen Beziehungen in jüngster Zeit stark. Es ist bekannt, dass Sie den Begriff "Vertreibung" ablehnen; in Deutschland spielt er allerdings eine Schlüsselrolle bei Millionen Menschen und bedeutet aus deutscher Sicht keine Relativierung der deutschen Schuld gegenüber Polen und anderen Nationen. Wie kann man dieses Dilemma lösen?
Dieser Begriff beinhaltet ein Potenzial der Abneigung gegenüber Polen. Dass er in der Rechtspraxis und im öffentlichen Leben verwurzelt ist, ist uns klar, dennoch steckt da-rin eine Abneigung gegenüber unserem Land. Der Begriff wurde in einer Zeit geprägt, als Polen seiner Unabhängigkeit beraubt und somit kein normaler deutsch-polnischer Dialog möglich war. Außerdem wirft er ein falsches Geschichtsbild auf, denn der Begriff Vertreibung hängt mit Aggression zusammen. Dabei genoss die deutsche Minderheit in der Zwischenkriegszeit alle politischen, ökonomischen, kulturellen und religiösen Freiheiten, und wir akzeptierten diesen Zustand als selbstverständlich und dauerhaft...
Nun betrifft dieser Begriff andere Gebiete und Zeiten…
Einverstanden, aber nach dem Krieg hatte Polen das Recht auf sichere Grenzen, und die Entscheidungen wurden durch die Großmächte getroffen. Ehrlich gesagt, wir Polen verstehen nicht, warum ausgerechnet dieses Ereignis als das schmerzlichste in der deutschen Geschichte Mitte des 20. Jahrhunderts gilt, warum es wichtiger ist als beispielsweise die Grausamkeiten der Roten Armee oder die unschuldigen und zufälligen Kriegsopfer. Bestimmte Gesten von Bundespräsident Köhler sind hier sehr wichtig, dennoch sehen wir keine Bereitschaft zu Änderungen. Es ist für uns umso bedauerlicher, weil es in Polen keine Kontroversen gibt, was unser Mitgefühl für das Schicksal einzelner Deutscher oder ganzer Familien betrifft. Kontroversen wecken dagegen ein gewisses Abneigungspotenzial gegenüber Polen, das in der deutschen Diskussion um Umsiedlungen enthalten ist.
Welche Bedeutung könnte hier das für September geplante Symposium von Historikern, Politikern und Journalisten über das gemeinsame Geschichtsbild haben, das unter der Schirmherrschaft beider Parlamente in Kreisau stattfinden soll?
Wir wollen miteinander reden, unsere Sichtweise aufzeigen, auf bestimmte Tatsachen hinweisen, aber uns auch den deutschen Standpunkt anhören, damit wir uns besser verstehen können. Außerdem finden wir, dass historische Fakten einer moralischen Bewertung bedürfen, die wiederum zu größerer Verständigung führen sollte.
Kann Bundeskanzlerin Merkel mit polnischer Unterstützung in der Frage der EU-Verfassung rechnen?
Wir sind bereit, über die EU-Verfassung zu reden. Wir sehen Diskussionsbedarf, etwa bei der Gewichtung der Stimmen und in der Präambel. Im zweiten Punkt liegen unsere Standpunkte, glaube ich, gar nicht so weit auseinander. Beim ersten Punkt sieht es etwas anders aus, aber wir wollen uns selbstverständlich sehr aktiv an der Diskussion beteiligen, zumal die Mehrzahl der europäischen Länder von der Notwendigkeit dieses Dokumentes überzeugt ist.
Wie sollte die Stimmgewichtung aus polnischer Sicht aussehen?
Es gibt eine Debatte darüber in Polen. Wir werden sicherlich konkrete Vorschläge unterbreiten. Es wird darum gehen, ein größeres Gleichgewicht zwischen kleinen und großen Staaten, zwischen den Staaten der "alten" EU der Fünfzehn und den neuen zwölf Mitgliedern sowie zwischen den einzelnen Regionen Europas zu garantieren. Wir sind der Meinung, dass die Stimmgewichtung den Charakter der Europäischen Union als eine wirkliche Vereinigung der früher getrennten Teile Europas darstellen und die Bedeutung aller Staaten - nicht nur die der größten - bekräftigen sollte. Deshalb ist das Stimmsystem von Nizza aus unserer Sicht sehr gut, weil es diesem Kriterium entspricht. Das später eingeführte System der doppelten Mehrheit widerspricht hingegen diesem Grundsatz. Wir sind zu einer Diskussion bereit, werden aber dieses Prinzip verteidigen, weil es für uns wichtig ist.
Bei der Bilanz der finnischen Präsidentschaft haben Sie geäußert, dass die EU-Außenpolitik eine klar definierte östliche Dimension haben sollte. Wie sollte das konkret aussehen?
Gemeint ist vor allem die Unterstützung für die demokratischen Veränderungen in den Ländern, die am europäischen Integrationsprozess interessiert sind, wie die Ukraine, Georgien oder Moldawien. Das bedeutet auch ein Interesse für Menschenrechte und demokratische Perspektiven in den Ländern, in denen das ein Problem darstellt, wie Weißrussland. Polen geht es um zwei Dinge: um die Beibehaltung des Grundsatzes eines Europas der offenen Türen und um die Schaffung einer aktiven östlichen Dimension, die im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik die Rolle spielen sollte, die ihr aufgrund der Verbindungen dieser Länder mit Europa zusteht.
Wenn Sie in die Zukunft schauen könnten: Wie werden die deutsch-polnischen Beziehungen in zehn oder 20 Jahren aussehen? Wird man sie mit den deutsch-französischen vergleichen können?.
Ich hoffe, dass sie dann viel mehr an das deutsch-polnische Verhältnis von vor zehn Jahren erinnern als an die Probleme, die in jüngster Zeit aufgetaucht sind. Unsere Zusammenarbeit könnte übrigens sehr viel für die europäische Integration bewirken, insbesondere in der Frage der europäischen Identität und der Erschließung der östlichen Dimension der EU. Die deutsch-polnische Verständigung kann auch eine grundlegende Bedeutung für die Ausarbeitung eines gemeinsamen europäischen Konsenses haben. Und generell bin ich der Überzeugung, dass wir die Chance haben, den Streit der jüngsten Zeit zu überwinden.
Das Interview führte Bernadette Schweda