WAHLEN IN ESTLAND
Sieg für Reformpartei von Ministerpräsident Andrus Ansip
Im Zentrum der Estnischen Hauptstadt Tallinn liegt der "Tönismägi" - ein kleiner Hügel mit Park, der sogar noch im März unter einer dichten Schneedecke ruht. Am Rande der zugeschneiten Blumenbeete erhebt sich ein gemauertes Denkmal aus grauem Granitfels, in dessen Mitte ein überlebensgroßer Soldat aus Bronze steht. Leicht gebeugt wirkt er traurig und erschöpft, während über seinem Haupt Hammer und Sichel in Stein gehauen sind. "Platz der Befreiung", so wurde der "Tönismägi" im Sozialismus genannt. Heute aber ist das Denkmal umstritten.
Bei der Parlamentswahl am 4. März, hat der "Krieger" vielleicht sogar das Zünglein an der Waage gespielt. Als Wahlsieger konnte sich in Estland die konservative "Reformpartei" von Regierungschef Andrus Ansip behaupten. Sie erreichte 31 der 101 Sitze im Parlament und kam auf 27,8 Prozent der Stimmen. In dem Bronzesoldaten sieht die Reformpartei vor allem ein verhasstes Symbol der Besatzung. Estland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg für fast fünfzig Jahre der Sowjetunion einverleibt. Für ihren Plan, das Denkmal zu verlegen, konnte die regierende "Reformpartei" noch kurz vor der Wahl das konservative Bündnis aus "Respublika" und "Vaterlandspartei" gewinnen. Sie konnten bei der ersten Wahl seit dem EU-Beitritt 2004 ebenfalls Stimmenzuwachs verzeichnen. Die russlandfreundliche "Zentrumspartei" hingegen musste ihre größte Wahlniederlage einstecken und errang 29 Sitze oder 26 Prozent der Stimmen. Im Wahlkampf hatte sie unter anderem höhere Gehälter und Pensionen gefordert. Ganz im Gegensatz zum politischen Kurs des Ministerpräsidenten, der das Land mit Steuererleichterungen fit für den Euro machen möchte, was bisher an der hohen Inflationsrate scheiterte.
Die Zentrumspartei, Mitglied der letzten Regierungskoalition, versteht sich als verlässlicher Partner Moskaus. Wie für die Russen ist der Bronzesoldat auch für das "Zentrum" und seinen Parteivorsitzenden Edgar Savisaar ein Symbol der Befreiung Europas vom Faschismus. Im Sozialismus feierte die Kommunistische Partei genau hier, wie in Russland traditionell üblich, an jedem 9. Mai das Ende des großen Vaterländischen Krieges. Aber nach Estlands Austritt aus der Sowjetunion war es still um den Bronzesoldaten am "Tönismägi" geworden. Bis zum 9. Mai 2005.
60 Jahre nach Kriegsende hat der Russische Botschafter in Tallinn im Auftrag Vladimir Putins vor laufenden Kameras einen Kranz am Denkmal des Sowjetischen Soldaten niedergelegt. Begleitet von russischen Kriegsveteranen mit sowjetischen Flaggen. Der Kreml wollte demonstrieren, dass die Statue trotz Estlands Unabhängigkeit nach wie vor zu Russland gehört. Gleichzeitig aber sollten die Esten, die gegen die russische Siegergruppe protestieren, in den Augen westlicher Beobachter als Sympathisanten des Faschismus dastehen, meint die Politikwissenschaftlerin Maarja Lohmus.
Am 9. Mai 2006 drohten die Spannungen zwischen Russischen Veteranen und den estnischen Nationalisten am Kriegsdenkmal zu eskalieren. Als die regierende Reformpartei gegen den Willen ihres Koalitionspartners, das moskaufreundliche "Zentrum", eine Gesetzesreform angeschob, die eine Umsiedlung des Kriegers erlauben sollte, protestierte der Kreml und drohte sogar Wirtschaftssanktionen an. Daraufhin war die Kontroverse auch Thema im estnischen Wahlkampf. Am 4. März könnte auch diese Unterstützung Moskaus vom estnischen Wähler abgestraft worden sein.