Widerstand
Am 11. März vor 100 Jahren wurde Helmuth James von Moltke geboren. An seiner Wiege konnte noch niemand ahnen, welche Rolle er 30 Jahre später im Kampf gegen den NS-Terror spielen würde.
Unter den Widerstandsgruppen gegen das NS-Regime ragen die Gruppe um Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler sowie der Kreisauer Kreis heraus. Natürlich gab es vielfältige Überschneidungen, doch die Unterschiede in den politischen Auffassungen und Zielen sind unübersehbar: Auf der einen Seite wollten die "alten Herren", wie Beck und Goerdeler von den Kreisauern freundlich-spöttisch genannt wurden, nach dem Sturz des Regimes eine eher vordemokratische Staatsform etablieren. Den Kreisauern um Helmuth James von Moltke wurde umgekehrt von eben diesen alten Herren illusionäres Denken, ja Realitätsferne vorgeworden. Das Regime machte nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 bei seinem Rachefeldzug freilich keinen Unterschied: "Alte" und jüngere Widerständler wurden nach oft qualvoller Haft zum Tode verurteilt und teils bestialisch hingerichtet; viele von ihnen wie Moltke, Peter Yorck von Wartenburg, Adam von Trott zu Solz waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal 40 Jahre alt.
Helmuth James von Moltke wäre am 11. März dieses Jahres 100 Jahre alt geworden. Über ihn liegen zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten sowie Briefeditionen, Lebenszeugnisse und anrührende Erinnerungen von Freunden und besonders von seiner Frau Freya vor. Und doch ist der Lebensweg des im 38. Lebensjahr ermordeten Moltke so faszinierend, dass er allemal diese neue und umfassender als alle bisherigen Darstellungen abgefasste Biografie rechtfertigt.
Günter Brakelmann, Emeritus für Christliche Sozialethik und Zeitgeschichte der Universität Bochum, hat über den Kreisauer Kreis mehrere grundlegende Darstellungen veröffentlicht. Die hohen Erwartungen, die sich an Autor und Thema zwangsläufig richten, erfüllt das Buch in hervorragender Weise. Es ist eine Gesamtdarstellung von Moltkes Leben mit seinem rastlosen Bestreben, einen Sturz des Regimes zu erreichen, wie sie, auf den Kreisauer Kreis bezogen, bislang nicht vorliegt. Dass gerade die Ausführlichkeit des Buches dann auch Fragen auslöst, ob die "alten Herren" vielleicht doch nicht ganz falsch mit ihrem Vorwurf illusionären Denkens lagen, liegt auf der Hand - das ist eine seit Jahren geführte Diskussion.
Ein Drittel des Buches behandelt die ersten 30 Lebensjahre Moltkes; der größerer Teil gilt dann dem Kreisauer Kreis, der Schilderung der schier übermenschlichen, konspirativen Arbeit unter täglicher Bedrohung durch die Gestapo, der Charakterisierung der Freunde, auch der Darstellung, wie sorgfältig alle Treffen mittels Expertisen vorbereitet wurden und wie schließlich die Kreisauer Überlegungen mittels emigrierter Freunde über die Türkei in amerikanische Hände gelangten.
Der fast zwei Meter große Helmuth James von Moltke ragte im wahrsten Sinne des Wortes aus seinen Standesgenossen heraus. Alle Zeitgenossen rühmten seine intellektuellen Fähigkeiten, seine rasche Auffassungsgabe, seine umfassende Bildung und sein internationales Flair. Er war so gar nicht ein schlesischer Junker - sondern ein weltoffener, tief in der christlichen Tradition stehender Mann, der schon in jungen Jahren für ein geeintes Europa eintrat und zu einer Entschärfung der sozialen Frage in Deutschland beitragen wollte. Man liest den Teil des Buches über die rastlosen Aktivitäten dieses gerade einmal Mitzwanzigers, der en passant noch ein Jura-Studium absolvierte und sein hochverschuldete Gut vor der Liquidation bewahrte, mit großer Anteilnahme.
Moltkes internationale Verbindungen hätten ihm leicht die Chance zur Emigration gegeben; aber er wollte Deutschland angesichts der totalitären Bedrohung nicht im Stich lassen. Nach Kriegsbeginn kam er im Amt Canaris als Völkerrechtsexperte unter, wo er jahrelang einen frustrierenden Kampf gegen die immer drastischeren Auswüchse des totalitären Krieges führte.
Fast alle freie Zeit galt aber nun der immer intensiver werdenden Widerstandsarbeit. Brakelmann konnte bisher noch unveröffentlichte Briefe Moltkes an seine Frau Freya auswerten, so dass er einen mitunter fast minutiösen Ablauf der Ereignisse schildern kann: Immer wieder Gespräche bis tief in die Nacht, Expertisen und Gutachten, präzise Texte vor den Treffen, dann auf praktische Politik bezogene Zusammenfassung der Tagungsergebnisse. Die drei Treffen in Kreisau 1942 und 1943 gipfelten in der Festlegung, nach einem Umsturz müsse eine auf christlicher Basis gegründete Ordnung errichtet werden, dies in einem stark dezentralisierten Staat, der an Recht und Würde des einzelnen gebunden ist. Auch müsse die Wirtschaft dem Gemeinwohl verpflichtet sein und Deutschland seinen Platz in einem geeinten Europa haben. Schweren Herzens akzeptierten die Kreisauer die alliierte Bedingung einer bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, hofften gleichwohl, zusammen mit den Westmächten eine Neuordnung zu erreichen.
Moltke ist schon vor dem 20. Juli 1944 verhaftet worden; aber erst mehrere Wochen nach dem Attentat wurde der Gestapo die grundsätzliche Gegnerschaft der Kreisauer deutlich. Moltke hat sich fast mit Genugtuung den wüsten Tiraden Roland Freislers gestellt, auf die er gelassen antwortete und die die grundsätzliche Gegnerschaft zwischen Christentum und Nationalsozialismus verdeutlichten. Er zollte Freisler sogar noch Anerkennung, dass diese klare Gegnerschaft so deutlich wurde: Freisler habe ihm unbewusst einen "großen Dienst" getan, denn die Verhandlung habe dokumentiert, "dass nicht Pläne, nicht Vorbereitungen, sondern der Geist als solcher verfolgt werden soll. Vivat Freisler!"
Am 23. Januar 1945 ist Moltke in Plötzensee hingerichtet worden; wie viele andere Widerstandskämpfer vor ihm an den Fleischerhaken im Schuppen des Zuchthauses. Mit "innerer Heiterkeit" sei er den letzten Weg gegangen, hat der Gefängnispfarrer danach Moltkes Frau berichtet.
Das vom Autor "con amore" geschriebene Buch stellt den Leser unweigerlich vor die Frage, inwieweit Moltke nicht doch zu illusionär mit Blick auf eine politische Wende, in der Ablehnung eines Attentats auf Hitler oder in der Hoffnung auf Zusammenarbeit mit den Westmächten gewesen ist. Mehr noch nötigt es aber Bewunderung für die außerordentliche Zivilcourage ab und für die ohne Furcht akzeptierte Konsequenz, den Widerstand gegen das Regime mit dem eigenen Leben zu bezahlen.
Helmuth James von Moltke 1907-1945. Eine Biographie.
Verlag C.H. Beck, München 2007; 432 S., 24,90 ¤