Live aus dem Plenarsaal - wer Hartwig Bierhoff in seinem Büro mit Blick auf die Rückseite des Reichstages besucht, lernt schnell, dass das keine Vision, sondern längst Wirklichkeit ist. Der Bundestag produziert nicht nur von allen Sitzungen Aufzeichnungen, die im Archiv verschwinden. Er sendet sie auch. Von Montag bis Freitag dokumentiert das Parlamentsfernsehen die Arbeit der Volksvertreter:
lückenlos, in Echtzeit und ohne Kommentar überträgt es jede Plenardebatte, außerdem viele öffentliche Ausschusssitzungen und parlamentarische Anhörungen. Das Programm wird in das digitale Berliner Kabelnetz eingestellt. Empfangen werden kann es von all jenen, die im Besitz der passenden Technik sind - außer den Parlamentariern vor allem Ministerien, Bundesbehörden sowie Journalisten, die ein Büro in der Bundespressekonferenz haben. Aber auch alle anderen können mitgucken. Weltweit kann jeder, der www.bundestag.de anklickt, dem Parlament bei der Arbeit zuschauen und -hören; live oder zu einem selbst gewählten Zeitpunkt. Bei der Suche nach der verpassten Debatte zu einem bestimmten Thema oder nach den Reden bestimmter Angeordneten hilft die Suchfunktion.
Der führende Kopf dahinter ist Hartwig Bierhoff. Mit einem 16-köpfigen Team und freien Mitarbeitern sorgt er dafür, dass Parlamentsfernsehen und Online-Dienste reibungslos berichten und immer wieder auch neue Akzente setzen - wie zuletzt mit der gerade erst eingerichteten Seite www.kuppelkucker.de, die schon Acht- bis 14-Jährige in die Arbeit des Parlaments einführen will. Das Herstellen von Öffentlichkeit, sagt Bierhoff, sei einer der obersten Aufträge eines demokratischen Parlaments: "Wenn im Grundgesetz steht, dass der Bundestag öffentlich tagt, müssen wir das umsetzen", konstatiert Bierhoff, "das heißt in der heutigen Zeit auch: mit modernen Medien." Die häufig als eher politikfern bezeichnete Öffentlichkeit dankt es: Mit zwei Millionen Klicks monatlich ist das Parlamentsfernsehen im Netz ein echter Quotenbringer. Bierhoff freuts: "Jeder, den wir für die Debatten im Bundestag interessieren, ist ein Gewinn für die Demokratie."
Der 64-jährige Ost-Westfale kennt den Parlamentsbetrieb wie kaum ein anderer. Er war Referent der ersten Präsidentin des Deutschen Bundestages Annemarie Renger und unter Rita Süssmuth sowohl Leiter der Pressestelle als auch später des Büros der Zuwanderungskommission unter ihrem Vorsitz. Fünf Jahre leitete er das Pressereferat des Bundestags. Im kommenden Jahr geht er in Pension - und sieht diesem Abschnitt mit Freude entgegen: Als freier Autor will er sich auch bundestagsfernen Themen wie der Lage im Nahen Osten, die ihn seit langem umtreibt, widmen.
Vielleicht geht er in dem Wissen, dass das Parlamentsfernsehen künftig noch öffentlicher sein wird. Der Ältestenrat des Bundestages berät demnächst eine fraktionsübergreifende Initiative unter Bundestagspräsident Norbert Lammert, die das Ziel hat, das Parlamentsfernsehen bundesweit empfangbar zu machen.
Einer der Haupteinwände gegen das Projekt, das international viele Vorbilder hat, beruft sich ebenfalls auf das Grundgesetz: Das sieht nämlich neben der Öffentlichkeit der Parlamente auch die Staatsferne des Rundfunks vor. Hartwig Bierhoff hält das Argument nicht für zwingend: "Wir sind keine Rundfunkanstalt, sondern ein Programmanbieter," erklärt er, "alles was wir tun ist, die Arbeit des Parlaments abzubilden, unselektiert, unkommentiert und ungeschnitten." Auf diese Bilder greifen bereits heute Fernsehsender von ARD bis RTL zu - vor allem wenn sie selber nicht anwesend waren. Strittig dürfte vor allem die Frage sein, ob ein bundesweiter Parlamentskanal weiterhin Streitgespräche zwischen Abgeordneten moderieren dürfte oder ob das allein den zahllosen Talkshows der Rundfunkanstalten vorbehalten bliebe. Bierhoff meint: Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit eines Parlamentes sollten auch moderierte Debatten als "Erklärstücke" zu aktuellen politischen Debatten weiterhin möglich und sendefähig sein: "Talkshows sind etwas völlig anderes", sagt der Leiter des Parlamentsfernsehens, "bei uns geht es um Information aus erster Hand."