STADTFÖRSTER
Mehr als Baumpflege und Wildhege
Da reibt sich der Hauptstädter zweimal die Augen: Eine Herde Koniks grast im Gestrüpp an der Stadtgrenze zu Brandenburg. Kaum erblickt, sind die Wildpferdchen auch schon wieder verschwunden. Ein paar Meter weiter erkunden Berliner mit einem Audio-Guide das Revier von Olaf Zeuschner, Förster in Berlin-Buch. Alles andere als ein durchschnittlicher deutscher Forst - ein Extremstandort. Er liegt am nordöstlichen Berliner Stadtrand rund um die Gemeinde Hobrechtsfelde und ursprünglich befanden sich hier die ehemaligen Rieselfelder. Dort landete all das, was die Großstädter seit Ende des 19. Jahrhunderts in den Abguss schütteten und runterspülten. Bis Mitte der 1980er-Jahre, als das so genannte Schwarzwasser woanders geklärt wurde, versickerte hier auch schwer belastetes Abwasser aus der Industrie. Zeuschner kam 1992 als Revierförster in dieses Gebiet. Nach seinem Studium in Göttingen zog es den gebürtigen Norddeutschen mehr in die Großstadt als in den einsamen Wald.
Nachdem er im Tegeler Forst gearbeitet hatte, kam er nach Buch. Was er dort vorfand, war ein unvollendetes Wiederaufforstungsprojekt der DDR. Zur 750-Jahr-Feier Berlins sollten die Rieselfelder umgestaltet werden, vier Millionen Bäume, vor allem Pappeln, wurden 1987 gepflanzt, doch auf dem unter anderem mit Schwermetallen vergifteten Boden wuchsen die wenigsten an. Die Felder trockneten aus.
Den Boden abtragen, entsorgen oder zusammenschieben und waschen ist logistisch und finanziell in diesem Ausmaß nicht machbar. Zeuschner kam daher auf eine ganz andere Idee: Er setzte sich dafür ein, die ehemalige Entsorgungsstelle der Stadt zu sanieren und 1.000 Hektar Landschaft neu zu gestalten.
Heute ist das Revier Vorbild für Förster und Landschaftsgestalter aus der ganzen Welt. "Das machen wenige", sagt der 49-Jährige und fügt lachend hinzu: "Einer ist auch wenige." Seine Idee: Eine etwa 30 Zentimeter dicke Schicht mit Lehm wird auf den Boden aufgetragen, nach einer Ruhezeit von drei bis sechs Monaten wird sie bis auf einen Meter tief in den Boden eingefräst. "Verlehmung" nennt das Zeuschner, als "Bucher Verfahren" ist es unter Experten bekannt.
So entstehen aus fast toter Erde lebendige Biotope, denn Lehm stabilisiert den angegriffenen Boden, hält Wasser und bindet Schadstoffe. "Das wirk wie Heilerde für den geschundenen Boden", sagt Zeuschner. Darauf pflanzt er Eichen, Hainbuchen und Feldahorn.
Mittlerweile fragen jede Woche Bauunternehmen bei ihm an, ob sie Berliner und Brandenburger Aushub bei ihm loswerden können. 900 Hektar verseuchter Boden sind inzwischen mit Lehm durchgefräst. "Das hätte keiner gedacht, wie viel Material hier einmal her transportiert werden würde", sagt Zeuschner. Nicht nur das organisiert er.
Neben diesem Projekt hat Leuschner noch jede Menge anderer Aufgaben zu erfüllen: Sogar nachts klingelt ihn die Polizei aus dem Bett, um überfahrene Tiere in seine Wildkammer zu bringen. Tagsüber koordiniert er sieben feste und 14 Projektmitarbeiter, betreut eine Waldschule, die bis zu 7.000 Kinder jährlich besuchen und führt Gruppen durch das Gebiet. Auch so genannte Planfeststellungsverfahren, zum Beispiel für die Aufstellung von Hochspannungsmasten, werden von ihm mitbetreut. So geht bei ihm ein Projekt in das nächste über. Erst kürzlich stand dabei ein Wiederbewässerungsprojekt auf dem Programm. Leuschner wünscht sich, dass ein Drittel des Forstes wieder zu Wald werden soll, auf dem Rest sollen Büsche und Wiesen wachsen. Neuerdings übernehmen "natürliche" Landschaftspfleger den Job von Zeuschner. Auf den neu bewachsenen Flächen weiden die robusten Ur-Ponys. Bald sollen Auerochsen dazukommen.