ENERGIEBILANZ
Bäume binden Kohlenstoff und vermindern so Emissionen. Fraglich ist, wie lange noch. In Deutschland voraussichtlich bis 2030.
In Zeiten wie diesen, in denen immer neue Gutachten dem Mensch seinen negativen Einfluss auf das Klima bescheinigen, stelle man sich folgendes Szenario vor: Nachdem Kühlschränke und Waschmaschinen bereits Energielabels tragen, man überlegt, Autos mit CO2-Etiketten auszuzeichnen, sollen nun auch Holzmöbel mit einem Siegel versehen werden, das Aufschluss über die Menge des in ihnen gebunden Kohlenstoffs gibt - Klimaschutz, den sich jeder ins Wohnzimmer stellen kann.
Derzeit ist das allerdings nur ein Gedankenspiel, aber mit einem durchaus realistischen Hintergrund. Denn die Wälder der Welt sind schließlich der größte dynamische Speicher des aus dem Kohlendioxid stammenden Kohlenstoffs. Als Faustregel gilt: In einem Kubikmeter Holz ist eine Tonne Kohlenstoff gebunden.
Ausgangspunkt ist dabei die Fotosynthese der biochemische Prozess, der oft auf die kurze Formel gebracht wird: Pflanzen und Bäume reinigen die Luft. Doch warum tun sie das? Wenn ja, wie? Welche Auswirkungen hat das auf unser Klima und was hat das mit Möbeln zu tun? Können Bäume helfen, den Klimawandel abzumildern? Oder ist das wissenschaftlich nicht haltbar und Wälder sind - wie Bertolt Brecht einst schrieb - einfach "eine grüne Menschenfreude"?
Karsten Dunger vom Institut für Waldökologie und Waldinventuren, das zur Bundesfoschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft (BFH) gehört, lacht. Klar sei der Wald eine große Freude - keine Frage, aber aus wissenschaftlicher Sicht sei er vor allem ein wichtiger Bestandteil des Ökosystems Erde. "Allerdings", sagt Dunger, "muss man mit generellen Aussagen über den weltweiten Einfluss der Wälder auf das Erdklima sehr vorsichtig sein". Zu viele spezifische Faktoren müssen berücksichtigt werden, als dass pauschale Aussagen getroffen werden könnten.
Seine wichtigste Rolle, eine echte Hauptrolle, spielt der Wald im globalen Kohlenstoffkreislauf - als "Speicher" von Kohlenstoff. Die Bäume nehmen das für das Leben wichtige, für den atmosphärischen Wärmehaushalt allerdings schädliche Kohlendioxid aus der Luft auf und zerlegen es in seine Bestandteile. Den Kohlenstoff speichern sie kurzfristig in Blättern oder Nadeln, langfristig im Holz - Ästen, Stämmen und Wurzeln. Hinter dieser verhältnismäßig eingängigen Formel ("Die Bäume ,reinigen' die Luft") steckt die komplizierte Fotosynthese: Aus Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O) wird durch Sonneneinstrahlung, die vom Farbstoff Chlorophyll in den Blättern absorbiert wird, Kohlenstoff abgespalten. Der Kohlenstoff lässt - in Kombination mit Wasser und Nährstoffen aus dem Boden - den Baum wachsen. Weltweit, so schätzt man, sind in Bäumen und Böden der Wälder rund 2.500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gebunden. In Deutschland sind es der von der BFH erstellten Bundeswaldinventur zufolge rund 282 Milliarden Tonnen alleine im Holz. Für den im Boden gebundenen Kohlenstoff liegen keine enstprechenden Zahlen vor.
"Der Wald ist in Deutschland damit bisher eine so genannte Kohlenstoffsenke", erläutert Dunger. Das heißt: Die Bäume nehmen mehr Kohlenstoff auf, als durch sie freigesetzt wird - pro Jahr sind dies derzeit rund 70 Millionen Tonnen. Sie mindern somit effektiv den Ausstoß des als klimaschädlich geltenden Kohlendioxids. Das ist der Grund, warum Wälder ins Klimaschutzprotokoll von Kioto einbezogen worden sind: Aufforstungen zum Beispiel können demnach auf die Kohlendioxidbilanz eines Landes angerechnet werden.
Wie lange der Wald in Deutschland noch eine senkende Wirkung auf die Kohlendioxidemissionen in Deutschland hat, ist schwer zu sagen. "Nach unseren Berechnung ist voraussichtlich um das Jahr 2030 herum die höchste Kohlenstoffbindungsrate der deutschen Wälder erreicht", schildert Kohlenstofffachmann Dunger. Grund dafür ist die Altersstruktur des deutschen Waldes. Viele Bäume stammen aus Aufforstungsprogrammen nach dem Zweiten Weltkrieg, sind heute zwischen 40 und 60 Jahre alt. Ihre maximale Kohlenstoffbindungsrate, die die Bäume erreichen, wenn sie am schnellsten wachsen, also im Alter zwischen 40 und 80 Jahren, haben viele Bäume bereits überschritten oder erreichen sie in den kommenden 20 Jahren. "Man kann sich den Kreislauf in etwa so wie ein Fass vorstellen: Wenn es voll ist, läuft es über. Schöpft man zwischenzeitlich immer wieder etwas ab, dauert es länger, bis es überläuft, oder es passiert nie", veranschaulicht Dunger das komplexe Zusammenspiel."Die Frage ist, wie voll das Fass derzeit ist."
Den Berechnungen der BFH zufolge wäre der deutsche Wald von 2030 an keine Senke mehr, sondern eine Quelle von Kohlenstoff. Das heißt, es wird weniger Kohlenstoff vom Wald gebunden als freigesetzt. Die maximale Bindungsrate kann allerdings auch früher überschritten werden, denn: Die Kalkulation setzt eine "optimale" Nutzung des Waldes voraus: "Wenn die Holznutzung etwa 10 bis 20 Prozent über der der vergangenen Jahrzehnte liegt, dann ist der Wendepunkt von der Kohlenstoffsenke zur -quelle etwa 2030 erreicht.", schildert Dunger.
Ähnliches fordert Klaus Richter, Holzbiologe von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt. Er sagt: Wer etwas gegen den Klimawandel machen wolle, solle Bäume pflanzen, sie rechtzeitig schlagen und zu langlebigen Produkten verarbeiten. Die plakative Aussage ist Ergebnis einer Berechnung, die Richters Kollegen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich erarbeitet hat. Ergebnis: Durch optimierte Wald- und Holznutzung könnten die Kohlendioxidemissionen in der Schweiz in den kommenden 15 bis 20 Jahren um rund zwölf Prozent reduziert werden. Nach 100 Jahren, so die Wissenschaftler, wäre immer noch ein Kohlendioxid-Minus von sechs Prozent realistisch. Übertragen auf das klimatisch ähnliche Deutschland würde das eine CO2-Reduktion von 53 Millionen Tonnen jährlich bedeuten.
Eine möglichst effektive - weil Kohlenstoff weiternutzende Bewirtschaftung - bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem, den richtigen Zeitpunkt für das Fällen zu wählen. Je näher der am Bindungsmaximum liegt, desto günstiger für die Emissionsbilanz. Altern die Bäume ungenutzt, stürzen sie womöglich um, verrotten oder werden von Insekten zerfressen. Die toten Bäume setzen beim Vermodern CO2 frei, ohne dass sie Energie liefern. Rechtzeitig gefälltes Holz, das in Möbeln, Häusern oder anderen Bauteilen eine weitere Verwendung findet, speichert den Kohlenstoff dagegen bedeutend länger. Umweltverbände weisen mit Recht allerdings darauf hin, dass durch die Holzernte und die Verarbeitung Kohlendioxid ausgestoßen wird.
Die für den Einfluss auf den Kohlendioxidausstoß günstigste Holznutzung bedarf demnach gezielter Aufforstung, eine klimafreundliche Bewirtschaftung, den richtigen Zeitpunkt zum Fällen, eine energieunaufwendige Verarbeitung und gewinnbringende Verbrennung am Ende des Zyklus. "Man muss das nachwachsende Holz nutzen, dann bleibt der Wald dynamisch", nennt das Klaus Richter.
Auch weltweit scheint die Gleichung Wald gleich Kohlenstoffsenke nicht unweigerlich richtig. 2005 hat beispielsweise das Forschungsprojekt "Siberia II", finanziert von der EU, ergeben, dass die sibirische Taiga in den kommenden Jahrzehnten von einer Kohlenstoffsenke zum Produzenten von CO2 wird - ähnlich wie der deutsche Wald, nur aus anderem Grund. Den Forschern, unter anderem von der Universität Jena und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, zufolge hängt dies nicht direkt mit den Bäumen zusammen: In der Taiga, dem größten Waldgebiet der Erde, macht sich die Erhöhung der Erdtemperatur besonders bemerkbar. Kurzfristig zeigt dies zwar eine positive Wirkung - früherer Frühling, schnelleres Pflanzenwachstum, mehr CO2-Aufnahme -, langfristig allerdings, so die Forscher, führen die höheren Temperaturen zum Auftauen des Bodens. Der in ihm gebundene Kohlenstoff wird in großen Mengen freigesetzt. Die Wissenschaftler rechnen damit, dass der Ausstoß an Treibhausgasen in der sibirischen Taiga vom Jahr 2050 an größer sein wird als das, was die Taiga aufnehmen kann.
Einen Schritt weiter sind Anfang 2007 Klimaforscher des Kalifornischen Lawrence Livermore National Laboratory gegangen; im Mittelpunkt stand dabei nicht der CO2-Ausstoß oder dessen Speicherung, sondern der Einfluss von Wäldern auf die Sonneneinstrahlung und Wärmespeicherung. Ihre Berechnung zeigt: Wälder können die Erderwärmung anheizen, wenn sie am falschen Ort stehen. Ein Kahlschlag in manchen Regionen würde gar zu einer Abkühlung der Atmosphäre beitragen können, so die Wissenschaftler. In bisherigen Modellen standen stets die kühlenden Effekte der Wälder durch die von ihnen produzierte Dunstwolken, die dafür sorgen, dass weniger Sonnenlicht auf die Erde trifft, im Fokus. Neuestes Ergebnis: Dunkle Wälder nehmen die Wärmestrahlung der Sonne auf, die Temperatur auf der Erde erhöht sich. Kahle, schneedeckte Flächen dagegen - in Kanada oder Sibirien - reflektieren deutlich mehr Sonneneinstrahlung zurück ins All. Die Forscher um den US-Physiker Govinasamy Bala prognostizieren, dass Rodungen an bestimmten Stellen der Erde dazu führen könnten, dass die globale Temperatur im Jahr 2100 um 0,8 Grad niedriger ist als ohne Entwaldung. Bei tropischen Regenwäldern, sagen die Forscher außerdem, überwiegen die kühlenden Effekte.