Deutsch-israelische Beziehungen
Aus Misstrauen wurde Freundschaft
In der Nachkriegszeit hatten die Juden Palästinas, die künftigen Israelis, ihren Blick von Deutschland abgewandt. Auch, weil sie Ohnmacht fühlten angesichts des klar werdenden Ausmaßes der Katastrophe, die mit der Nazi-Herrschaft über ihr Volk hereingebrochen war.
Die Entstehung der Bundesrepublik hätte für die Israelis eine Wende bedeuten können. Man wusste, dass Nazideutschland nicht mehr existierte und die neue Bundesrepublik eine echte parlamentarische Demokratie war. Obwohl die Übernahme der demokratischen Werte des Westens von den Alliierten erzwungen worden war, hatten die Deutschen dieses Diktat der Siegermächte akzeptiert und effizient umgesetzt.
Ben Gurion, der erste und überaus respektierte Regierungschef des neuen Staates, sprach von der Entstehung eines anderen Deutschland. Seiner Meinung nach war es die moralische Pflicht der Israelis, diejenigen in Deutschland zu unterstützen, die sich um ein neues Deutschland bemühten und der deutschen Jugend eine demokratische Erziehung erteilen wollten. Doch obwohl die Israelis ihm damals in fast allem folgten, wollten sie ihm in dieser Sache kein Gehör schenken.
Doch was wussten die Israelis von den "neuen Deutschen"? Zunächst hörten sie, die Deutschen würden ihre Vergangenheit verdrängen. Ja, sie täten sogar, als hätten sie kaum von den Geschehnissen in Nazideutschland gewusst. Mit Menschen aber, die ihre Identität verschleiern, glaubten die Israelis keinen ehrlichen Dialog führen zu können. Sie hätten vorgezogen, Deutschland für immer als weißen Fleck auf der Landkarte zu betrachten.
Die Wende kam mit dem Wiedergutmachungsabkommen von 1952. Adenauers und Ben Gurions Kalkül war dasselbe. Ben Gurion wollte von den Deutschen Investitionen, um eine moderne Volkswirtschaft aufbauen zu können. Adenauer wollte sich mit dem jüdischen Volk versöhnen, damit Deutschland wieder in die Völkergemeinschaft aufgenommen würde.
Damals hatte er keine Mittel für Entschädigungszahlungen. Er dachte auch an die Ankurbelung der deutschen Industrie und so war es ihm recht, den Israelis Maschinen und Ersatzteile, Lokomotiven und Frachtschiffe zu liefern. Doch wie konnte man sich in Israel damit vertraut machen, wenn man mit den Deutschen eigentlich keinen Kontakt wollte?
Die Notwendigkeit bahnte den Weg. Widerwillig trafen sich israelische Ingenieure und Facharbeiter mit ihren deutschen Kollegen. Man begann, miteinander zu sprechen und es wuchsen zwischenmenschliche Beziehungen. Das Wiedergutmachungsabkommen blieb bis 1964 in Kraft.
Die Verträge, die Israel und Deutschland 1952 und danach miteinander schlossen, reflektierten die gemeinsamen Interessen beider Regierungen. Im Laufe der Jahre, in denen sich auch persönliche Kontakte zwischen Israelis und Deutschen entfalteten, veränderte sich Deutschland. Das wurde von den Israelis, die von Deutschland angeblich nichts wissen wollten, leidenschaftlich beobachtet. In den 60er-Jahren interessierte sich die israelische Öffentlichkeit für die Berichterstattung der deutschen Medien über den Eichmann-Prozess. Kurz danach fand der Auschwitz-Prozess in Frankfurt statt. Die Israelis waren gespannt, wie die aus dem Gerichtssaal in alle deutschen Medien durchsickernde Auskunft über den Holocaust bei der deutschen Bevölkerung ankommen würde.
Am meisten Beachtung fand bei den Israelis die Studentenbewegung von 1968. Die war zwar keineswegs pro-israelisch, rief aber die ältere Generation dazu auf, endlich ehrlich zu erzählen, was sie ihren Nachkommen bisher verschwiegen hatte, nämlich was sie während der Nazizeit getan hatte. Sollte das das Ende der Verdrängung in Deutschland bedeuten, meinten die Israelis, würden sie keinen Vorwand mehr haben, dem Dialog mit den Deutschen auszuweichen. Die Frage, ob Deutschland sich endgültig von seiner Vergangenheit gelöst habe, schwebte aber weiterhin im Hintergrund. Wie alle Welt faszinierten auch die Israelis die Beziehungen, die sich zwischen Frankreich und Deutschland und besonders zwischen de Gaulle und Adenauer anbahnten. Würden Frankreich und Deutschland ein gemeinsames Europa aufbauen? Strebten die Deutschen ernsthaft ein europäisches Deutschland an? Der Gedanke war gewöhnungsbedürftig, aber man begann, daran zu glauben.
Es liegt an den tiefen Beziehungen zwischen den Menschen, dass heute zwischen Israel und Deutschland auf fast allen Gebieten die engsten Beziehungen bestehen. Die Bundesrepublik ist für Israel der wichtigste Freund nach den Vereinigten Staaten geworden. In politischen Fragen, Sicherheits- und Verteidigungsangelegenheiten, im Bereich der Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch der Kultur, des Jugendaustausches und der Städtepartnerschaften, ist Deutschland für Israel die Nummer Eins in Europa.
Die bilateralen Beziehungen reichen aber nicht aus. Israel erwartet von Deutschland, in der Europäischen Union Pionierarbeit für das Land zu leisten. Damit begannen Helmut Kohl und Klaus Kinkel, als sie 1994 den Europäischen Rat davon überzeugen konnten, dem Staat Israel ein weitgehendes Angebot zu machen. Er gewährte Israel einstimmig einen privilegierten, auf Gegenseitigkeit beruhenden Status in seinen Beziehungen mit der EU. Die Bundeskanzlerin versprach bei ihrer letzten Israelvisite, das Band zwischen Israel und der EU weiter zu stärken. Das ist die Herausforderung für die Zukunft der Beziehungen zwischen den beiden Staaten.