HEBRÄISCH
Vor 100 Jahren war das jüdische Idiom nicht zu hören, heute ist es der entscheidende Integrationsfaktor
Zu den Legenden, die sich um die Entstehung des jüdischen Nationalstaates bis heute ranken, gehört die Geschichte von Elieser Ben Yehuda. Der Erneuerer der hebräischen Sprache redete mit seinem Sohn von Geburt an nur Hebräisch. Itamar, der in Jerusalem gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts aufwuchs, wurde so zum "ersten hebräischen Kind". Sein Vater entwickelte Worte für Dinge, die es bis dahin im Hebräischen nicht gegeben hatte - sei es "Taschentuch" oder "Fahrrad". Sein Lebenswerk war das Gesamtwörterbuch der alt- und neuhebräischen Sprache", das erstmals 1910 erschien.
Die Wiederbelebung einer tot geglaubten Sprache ist zweifellos einer der größten Erfolge der zionistischen Bewegung. Zwar schrieb Theodor Herzl seine Schriften auf Deutsch, doch viele seiner Mitstreiter dachten, träumten, sprachen und schrieben Iwrit. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts florierte die hebräische Publizistik.
Aus dem "Sprachenkampf", der in Israel unter den Pionieren ausgetragen wurde, ging die "altneue" Sprache als eindeutige Siegerin hervor; dem Jiddischen haftet seither das Stigma der Diaspora an. Als 1925 die Hebräische Universität gegründet wurde, stand bereits unverrückbar fest: Die Unterrichtssprache sollte Hebräisch, nicht Deutsch oder Jiddisch sein. Das größte Wunder ereignet sich stets von neuem, mit jeder Einwanderungswelle: Juden aus aller Welt lernen innerhalb weniger Monate jene tot geglaubte Sprache. Die "Ulpanim", die Sprachzentren für Einwanderer, haben sich bewährt und sind äußerst erfolgreich. Sprachschüler aus allen Erdteilen können bereits nach einigen Tagen ein einfaches Gespräch auf Hebräisch führen.
1916 sprachen 40 Prozent im damaligen Jischuw, also im vorstaatlichen Israel, Hebräisch, 1948 waren es bereits 71 Prozent. Heute dürften es über 90 Prozent der Bevölkerung sein. Und vielleicht ist es eine Ironie des Schicksals, dass mittlerweile viele Palästinenser besser Hebräisch sprechen als die meisten Israelis Arabisch.
Wächterin der Worte ist die Akademie der hebräischen Sprache in Jerusalem. Sie schafft bei Bedarf neue Begriffe und sorgt so dafür, dass der Wortschatz des Hebräischen mit den neuesten Entwicklungen mithalten kann. Zudem kämpft sie - nicht unbedingt erfolgreich - gegen die Ausweitung englischer Begriffe in der hebräischen Alltagssprache. Keine Frage: Die Wiederbelebung der hebräischen Sprache ging mit der Verwirklichung der zionistischen Ideologie einher. Die Sprache diente als Mittel bei der Bildung einer neuen Identität, nämlich der des "neuen Juden". Der Idealtypus des gesunden, arbeitsfreudigen und mutigen Israeli war die zionistische Antwort auf die Geschichte, die für viele Juden meist nur Verfolgung, Demütigung und Abhängigkeit vom Willen anderer bedeutet hatte.
Albert Camus hat einmal gesagt, das Französische - nicht Frankreich - sei seine Heimat. Wenn Juden in aller Welt Ähnliches vom Hebräischen behaupten, so ist zwar nicht der zionistische Traum, dafür aber Ben Yehudas Wunsch mehr als in Erfüllung gegangen.
Die Autorin, in Tel Aviv geboren, lehrt hebräische und jüdische Literatur an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.