ERINNERUNGSKULTUR
Warum Deutschlands Beziehungen zu Israel immer besondere sein werden
Wer über die Zukunft der deutsch-israelischen Beziehungen reden will, muss auch von der Vergangenheit sprechen. In einer der letzten Sitzungen des Bundestages in Bonn, im alten "Wasserwerk", fiel am 25. Juni 1999 die Entscheidung für die Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Zuvor war jahrelang intensiv darüber diskutiert worden, ob dem Völkermord an den Juden überhaupt in angemessener Form gedacht werden könne, zumal in Form eines großen Denkmals, und wenn ja, ob ein so prominenter Standort, mitten in Berlin, dafür geeignet sei. Heute, fast zehn Jahre nach der Entscheidung, sind beide Fragen eindeutig positiv zu beantworten. Das Holocaust-Denkmal ist ein Ort der Erinnerung, der von den Menschen angenommen wird, ein Anziehungspunkt für viele Besucher. Täglich kommen Hunderte von Interessierten zum "Ort der Information" nach Berlin - bislang schon mehr als eine Million Besucher.
Ich habe in der damaligen Debatte im Bundestag für dieses Mahnmal mitten in Berlin gestimmt und geworben, weil für mich die Erfahrung des Holocaust gewissermaßen zu den ungeschriebenen Gründungsdokumenten dieser Republik gehört. Diese für beide Länder traumatische Erfahrung wird für immer prägender Bestandteil unserer Beziehungen zu Israel sein. Selbstverständlich müssen und wollen wir unsere Beziehungen nicht ausschließlich auf die historische Dimension verkürzen. Wir haben erfreulich intensive Beziehungen in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur. Gleichwohl liegt über allem die Last der Vergangenheit, die für manche schwer auszuhalten ist. Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch in Israel Anfang der 1980er-Jahre, als in einem Gespräch die Frage aufkam, wann es denn "endlich" "normale" Beziehungen zwischen Deutschland und Israel geben werde. Ich habe damals gesagt und bin bis heute der Auffassung, dass es keinen überzeugenden Grund dafür geben kann, unser Verhältnis zu "normalisieren": Weil unsere Beziehungen so unnormal waren, werden sie immer "besondere" bleiben.
Trotz der geographischen Distanz hat Deutschland beinahe die Position eines Nachbarstaates von Israel, mit besonderer Verantwortung und besonderer Verpflichtung für den Staat Israel; beides hat sich im Zeitablauf nicht erledigt. Daraus leitet sich auch unsere entschiedene Haltung ab gegenüber all denen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Israel muss mit demselben Recht wie seine Nachbarn in international anerkannten Grenzen frei von Angst, Terror und Gewalt leben können. Ein atomar bewaffneter Staat in seiner Nachbarschaft, geführt von einem offen antisemitisch orientierten Regime, ist nicht nur für Israel unerträglich. Die Weltgemeinschaft darf eine solche Bedrohung nicht dulden.
Das Verhältnis zu Israel liegt dem Bundestag sehr am Herzen. So gibt es im Bundestag eine Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe, die bereits seit April 1971 freundschaftliche Beziehungen zu Israel pflegt. Sie hat derzeit über hundert Mitglieder und ist damit die zweitstärkste Parlamentariergruppe im Bundestag. Selbstverständlich wurde und wird auch auf Präsidiums-Ebene den Beziehungen zu Israel hohe Bedeutung beigemessen. Alle Bundestagspräsidentinnen und -präsidenten haben auf ihre eigene Weise Israel und die deutsch-israelischen Beziehungen zu ihrem besonderen Anliegen gemacht. Dass ausländische Staatsoberhäupter eingeladen werden, vor dem Bundestag zu reden, ist eine seltene Ehre; israelischen Staatspräsidenten ist sie gleich zweimal zuteil geworden. Am 16. Januar 1996 sprach dort Ezer Weizmann und am 31. Mai 2005 Mohse Katzav. Im Plenum des Deutschen Bundestages findet die jährliche Gedenkveranstaltung zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Auch den 60. Jahrestag der Staatsgründung Israels wird der Deutsche Bundestag würdigen - in Form einer öffentlichen Debatte über die deutsch-israelischen Beziehungen.
Es bleibt unsere gemeinsame Verantwortung, die Vergangenheit im öffentlichen Bewusstsein zu halten, in der Schule, in den Medien, in den Parteien, den Verbänden, den Kirchen. Gerade unter jungen Leuten gibt es ein besonderes Interesse an der Zeit des Nationalsozialismus, am Holocaust und an der Frage, wie es dazu kommen konnte. Solche Nachfragen müssen wir ermutigen und immer wieder neu beantworten. Richard von Weizsäcker hat in seiner großen Rede zum 8. Mai 1985 gesagt, die Jugend sei nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sei verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus werde.
Ich zweifele nicht daran, dass die junge Generation diese Verantwortung ernst nimmt. Bedrückend bleibt, dass wir jüdische Einrichtungen in Deutschland weiterhin vor Übergriffen schützen müssen; beschämend ist, dass es auch in Deutschland noch immer Antisemitismus gibt. Wir beruhigen uns nicht mit dem Hinweis, dass Antisemitismus kein exklusives deutsches Problem ist. Nirgendwo in der Welt hat er so verheerende Folgen gehabt wie hier. Deshalb gibt es zu Recht, auch in der israelischen Öffentlichkeit, eine besondere Sensibilität für Entwicklungen und Ereignisse in Deutschland. Und deshalb gibt es in der Tat eine besondere Verantwortung des Staates, der Behörden, der Bürger, dem alltäglichen Antisemitismus keinen Raum zu lassen. Deutschland ist ein Land mit einer schwierigen Geschichte. Aber es gibt nur wenige Länder in der Welt, die sich den düsteren Kapiteln ihrer Geschichte wie wir gestellt haben und dafür Verantwortung übernehmen. Darauf wollen wir nicht stolz sein. Aber bestreiten lassen dürfen wir das auch nicht. Dass es nach den traumatischen Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch jüdisches Leben in Deutschland gibt, dass inzwischen wieder viele Tausend jüdische Bürger hergekommen sind, hier Kinder großziehen und bleiben wollen, dass es neue Synagogen und Kindergärten gibt, das ist die schönste, überwältigende Vertrauenserklärung, die es für die zweite deutsche Demokratie je gegeben hat. Sie ist fast genauso alt wie der israelische Staat, dessen 60. Geburtstag wir mit besonderem Respekt würdigen.
Der Autor ist Präsident
des Deutschen Bundestages.