RELIGION
Offiziell vom Staatswesen getrennt, besitzt sie dennoch erheblichen Einfluss
In Israel, das sich selbst als jüdischer Staat definiert, wird Religionsfreiheit per Gesetz garantiert. Im "jüdischen" Staat gibt es also offiziell keine Staatsreligion - und keinen gesetzlichen Ruhetag, entsprechend dem Sonntag in Deutschland. Juden, Moslems oder Christen bestimmen selbst, ob sie am Freitag, Sabbat oder Sonntag ihre Läden schließen. In Städten mit großer arabischer Minderheit fahren am Sabbat Linienbusse. Supermärkte verkaufen aus geschäftlichen Gründen nur koschere Speisen.
Das Land hält weiter an den Regeln des einstigen Osmanen Reiches (bis 1918) fest, wonach standesamtliche Angelegenheiten in die Zuständigkeiten der jeweiligen religiösen Gemeinschaften fallen. So gibt es beispielsweise bis zum heutigen Tag in Israel keine Ziviltrauung. Das liegt nicht an einer vorgeschriebenen religiösen Zeremonie, sondern an religiösen Vorschriften, die in bestimmten Fällen eine Eheschließung nicht erlauben. Die Alternativen - eine Reise zum Standesamt auf Zypern oder der Kauf von zwei Quadratmetern Boden für ein Grab in einem säkulären Kibbuz - sind teuer. Noch scheut sich Israel, sich mit Standesämtern in die "inneren Angelegenheiten" der Religionen einzumischen.
Die Beispiele machen anschaulich, dass sich beim Thema Staat und Religion mehrere Fragenkreise überschneiden: einmal das Verhältnis von Religion und Volk im Judentum, dann das Verhältnis von "jüdisch" und "israelisch" und schließlich auch die Frage nach den Beziehungen zwischen Israel und den in der Diaspora lebenden Juden.
Das Verhältnis von Staat und Religion spielt auch bei der Betrachtung des israelischen Parteienwesens eine wichtige Rolle, da es zahlreiche religiöse Parteien in Israel gibt, die sich zwar in Einzelfragen unterscheiden, aber zugleich alle orthodoxe Positionen vertreten. Seit der Gründung des Staates Israel waren fast alle Regierungen auf die Mitarbeit dieser religiösen Parteien angewiesen - bis heute. Sie haben in den Koalitionsvereinbarungen stets ihre religiösen Forderungen - mal mehr, mal weniger deutlich - durchsetzen können. Was "jüdisch" bedeutet, wurde somit auch immer wieder Gegenstand der innenpolitischen Auseinandersetzungen, weil es nicht nur um die Klärung grundsätzlicher Fragen ging, sondern auch um die Durchsetzung von politischen Machtpositionen. Auch wenn bis heute keine eindeutige Definition gefunden werden konnte, was "jüdisch" bedeutet, hilft der israelische Pragmatismus über viele "Behinderungen" hinweg.
Der Autor ist Nahostkorrespondent
für n-tv und CNN.