Parlamentarismus
Die Außenpolitik gilt als Domäne der Regierung. Aber am Bundestag kommt sie trotzdem nicht vorbei
Das Urteil aus Karlsruhe hätte nicht deutlicher ausfallen können: Die Bundesverfassungsrichter entschieden Anfang Mai, dass die deutsche Beteiligung an den Awacs-Aufklärungsflügen über der Türkei zu Beginn des Irak-Krieges 2003 wegen der fehlenden Zustimmung des Bundestages verfassungswidrig war. Die rot-grüne Bundesregierung hatte es damals abgelehnt, den Bundestag mit dieser Frage zu befassen. Das Urteil löste nicht nur Freude bei der klagenden FDP-Bundestagsfraktion aus, sondern auch bei Bundestagspräsident Norbert Lammert: Dies sei eine Eingrenzung des Interpretationsspielraums zulasten der Bundesregierung und zugunsten des Parlaments.
Das Urteil machte erneut deutlich: Außenpolitik - und dazu gehört nun einmal auch die Entsendung der Armee in Auslandseinsätze - kann nicht am Parlament vorbei gemacht werden. Bereits 1994 hatte das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass bewaffnete Auslandseinsätze nur mit Zustimmung des Bundestages möglich sind. Die Vorgabe aus Karlsruhe mündete elf Jahr später ins Parlamentsbeteiligungsgesetz. Für den Bundestag ist es zweifelsohne eine der wichtigsten Stützen seiner außenpolitischen Ambitionen. Auch wenn er die Anträge auf Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht selbst formulieren darf - dies kann nur die Regierung - sondern sie lediglich ablehnen oder ihnen zustimmen kann.
Über den Einfluss des Parlaments - und hier vor allem des Auswärtigen Ausschusses - hat Volker Pilz eine glänzende Studie vorgelegt, mit der er an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer promovierte. Bereits der Name seines Doktorvaters lässt aufhorchen. Mit Wolfgang Zeh stand ihm nicht nur ein Mann der Theorie, sondern der Praxis zur Seite: Zeh bekleidete einst das Amt des Direktors beim Deutschen Bundestag und gilt als ausgewiesener Kenner und Insider in Sachen Parlamentarismus. Dass sich Pilz nicht nur um eine theoretische Darstellung des Stoffes erfolgreich bemüht hat, sondern den Blick für die Politik in der Praxis bewahrt hat, lässt sich nicht nur seinem Vorwort entnehmen, sondern hat sich in seiner Arbeit lesbar niedergeschlagen.
Pilz liefert einen soliden Abriss über den Kampf deutscher Parlamentarier um mehr Mitsprache in der Außenpolitik seit dem Kaiserreich bis heute, beschreibt die rechtlichen Grundlagen der Weimarer Verfassung und des Grundgesetzes. Er gewährt Einblicke nicht nur in die formalen Grundlagen der Arbeit des Auswärtigen Ausschusses, der wegen seiner hochkarätigen Besetzung mit erfahrenen Abgeordneten mal als als "Gremium der Elder Statesmen" oder als "Elefantenfriedhof" bezeichnet wird, sondern auch in dessen tägliche Arbeit. Selbst dem Umgangston in den Ausschussberatungen, den er als "eher gediegen und fast freundschaftlich" beschreibt, widmet er ein kleines Kapitel.
Nun ist der Auswärtige Ausschuss nicht das einzige Gremium im Bundestag, dass sich mit außenpolitischen Fragen beschäftigt. Hinzu kommen der Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union - der ebenso im Grundgesetz verankert ist wie der Auswärtige Ausschuss, der Verteidigungs- und der Petitionsausschuss -, und die Ausschüsse für Menschenrechte und für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Eine stärkere Einbindung dieser Gremien in die Darstellung wäre durchaus wünschenswert gewesen, hätte aber den Rahmen einer Dissertation sicherlich auch gesprengt.
Spannend wird die Arbeit von Pilz vor allem dort, wo er die Möglichkeiten und die Grenzen parlamentarischer Mitbestimmung in der Außenpolitik an Beispielen beschreibt. Als Akt einer geradezu eigenständigen Außenpolitik kann man den interfraktionell ausgehandelten Antrag zum Gedenken an den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich interpretieren, den der Bundestag im Sommer 2005 verabschiedete.
Das deutsche Parlament löste damit eine regelrechte diplomatische Krise zwischen Berlin und Ankara aus. Pilz weist jedoch darauf hin, dass solche so genannten schlichten Beschlüsse nur sehr bedingt taugen, um eine Mitgestaltung des Bundestages an der Außenpolitik zu gewährleisten. So stellt er zur Diskussion, ob und wie das Parlament "verbindliche Weisungen an die Regierung" erlassen könnte. Dem entgegen stehen jedoch die gängige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das die Außenpolitik bei allen Mitbestimmungs- und Kontrollrechten dann doch als die Domäne der Regierung begreift. Nicht zu Unrecht, wie Pilz auch einräumt, schließlich stünde dann das traditionelle Verständnis der Gewaltenteilung auf dem Prüfstand.
Trotz aller Einschränkungen kommt Pilz zu dem Schluss, dass ein "Monopol der Exekutive auf Außenvertretung schon lange nicht mehr existiert". Die "verwaltete Außenpolitik" der 70er-Jahre sei übergegangen in eine zunehmend "parlamentarische Außen- politik".
Der Auswärtige Ausschuss des Deutschen Bundes-tages und die Mitwirkung des Par- laments an der auswärtigen Politik.
Duncker & Humblot,
Berlin 2008; 201 S., 68 ¤