THOMAS RACHEL
Der Staatssekretär kündigt größere Spielräume für Forscher an - etwa in Fragen des Budgets
Herr Staatssekretär, wie steht es um den medizinischen Fortschritt in unserem Land? Werden wir künftig alle 100 Jahre alt und das bei bester Gesundheit?
Schön wär's. Die Medizin hat in den letzten Jahrzehnten zweifellos große Sprünge gemacht, die Lebenszeit hat sich gravierend verlängert. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die medizinische Behandlung heute ein ganz anderes Niveau als früher hat.
Viele Forscher und Mediziner beklagen, dass sowohl Hochschulmedizin als auch klinische Spitzenforschung aufgrund finanzieller Einschränkungen gefährdet sind und Deutschland im internationalen Vergleich die rote Laterne inne habe.
Diese generalisierende Aussage trägt der Realität in Deutschland in keiner Weise Rechnung. Wir haben noch Schwierigkeiten, klinische Arbeit mit medizinischer Forschung immer so miteinander zu verbinden, dass beide Seiten davon optimal profitieren. Aber unsere medizinische Forschung hat auf vielen Feldern ein Spitzenniveau.
Dennoch hat Deutschland den Titel "Apotheke der Welt" verloren. Warum ist hierzulande der Weg vom Labor zum Markt so weit?
Dass Deutschland diesen Titel heute nicht mehr hat, hängt damit zusammen, dass sich die Rolle der Pharmaindustrie erheblich verändert hat. Wir haben Stärken in der Chemieindustrie und in der Medizintechnik, müssen aber eine Aufholjagd im Pharmabereich unternehmen. Deshalb haben wir eine Pharmainitiative gestartet, die den deutschen Firmen in wichtigen Feldern helfen soll, sich auf den Märkten zu positionieren. Wir müssen schauen, dass das, was von Forschern klug erdacht wird, über das Patent hinaus auch in Deutschland umgesetzt wird. Das ist der Grundansatz der Hightech-Strategie der Bundesregierung. Dazu nehmen wir die gesamte Kette von der Grundlagenforschung bis zur Produktion in den Blick.
Eine dieser Maßnahmen ist die "Roadmap Gesundheitsforschung". Was ist deren Ziel?
Bei diesem Prozess haben wir rund 900 Wissenschaftler gefragt, wo sie die großen Herausforderungen und forschungspolitischen Fragegestellungen der Zukunft sehen. Aus ihren Antworten haben wir Themenvorschläge in sechs großen Krankheitsfeldern erarbeitet: etwa Asthma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs. Diese Vorschläge werden die Grundlage unseres Gesundheitsforschungsprogramms sein, für das wir in den nächsten vier Jahren über 700 Millionen Euro bereit stellen werden.
Bei allen Anstrengungen: Viele Mediziner wandern ins Ausland ab.
Wir hatten tatsächlich früher eine Abwanderung von Wissenschaftlern. Dies ist nicht mehr so. Viele junge Wissenschaftler gehen für mehrere Jahre ins Ausland. Das wird von uns unterstützt, weil sie, wenn sie zurückkommen, einen ganz anderen Erfahrungshintergrund haben. Wir haben heute eine "brain circulation", einen Prozess, in dem etwa zugleich 20.000 deutsche Nachwuchswissenschaftler in den USA und rund 20.000 internationale Wissenschaftler an deutschen Wissenschaftsorganisationen forschen. Unseren Spitzenleuten im Ausland präsentieren wir etwa bei den GAIN-Jahrestagungen in den USA gemeinsam mit den Spitzen der deutschen Forschungsszene, was sich hier verändert hat: Mit der Exzellenzinitiative haben wir die Spitzenforschung an den deutschen Hochschulen massiv ausgebaut und mit dem Hochschulpakt und dem Pakt für Forschung und Innovation im Bereich der außeruniversitären Forschung ein ganzes Maßnahmenbündel gestartet, das mehrere tausend zusätzliche Stellen für junge Wissenschaftler schafft.
Gleichzeitig sollen Forschungseinrichtungen mehr Freiheiten erhalten. Warum?
Die Forschungszentren sollen von Bürokratie entlastet werden und mehr Entscheidungsfreiheit etwa beim Budgetrecht oder in Personalfragen erhalten. Sie sollen die besten internationalen Köpfe holen können - und das heißt, dass sie auch bei den Gehältern konkurrenzfähig sein müssen. Wir nehmen hier gerade die letzten Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung vor. Ziel ist es, den Forschungseinrichtungen zum Jahresbeginn 2009 mehr Spielraum zu geben. Um die wirklich guten Nachwuchswissenschaftler ansprechen zu können, hat Bundesforschungsministerin Annette Schavan die Alexander-von-Humboldt-Professur geschaffen, mit der Hochschulen Forscher aus dem Ausland anwerben sollen, denen sie durch diese Förderung ein gutes Gehalt und ausgezeichnete Arbeitsbedingungen bieten können.
Neu sind auch die integrierten Forschungs- und Behandlungszentren. Was ist deren Ziel?
Sie sollen helfen, Grundlagenforschung und patientenorientierte klinische Forschung besser zu verzahnen. Bislang werden drei Zentren mit jeweils 5 Millionen Euro pro Jahr gefördert: das Centrum für Schlaganfall-Forschung der Charité in Berlin, das Transplantationszentrum der Medizinischen Hochschule Hannover und das Centrum für Chronische Immundefizienz der Universität Freiburg. Generell konzentrieren wir uns bei der Gesundheitsforschung auf Themen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. So werden wir ein nationales Demenzforschungszentrum in Bonn einrichten. Pro Jahr erkranken knapp 200.000 Menschen an Demenz, mit Auswirkungen nicht nur für die Kranken, sondern auch für deren Familien. Wir wollen das in Deutschland vorhandene Know-How bündeln, um nach den Ursachen zu forschen und daraus Therapien und Erkenntnisse für die Pflegeforschung abzuleiten.
Viele Menschen haben Angst vor den scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten des medizinischen Fortschritts. Zu recht?
Wir müssen diese Ängste ernst nehmen, aber man kann die Frage nicht eindimensional beantworten. Der medizinische Fortschritt gibt uns die Chance, Menschen mit schwersten Krankheiten zu helfen. Er führt uns aber auch zu der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine medizinische Intervention angemessen und sinnvoll ist. Hier müssen wir zu einem klugen Ausgleich kommen zwischen der Verpflichtung, das Leben zu schützen und der Möglichkeit, dass ältere oder schwerstkranke Patienten eigenverantwortlich festlegen, welche medizinische Intervention sie haben wollen und welche nicht. Wahrscheinlich wird es nötig sein, dass wir das Instrument der Patientenverfügung gesetzlich regeln.
Ein viel diskutiertes Thema ist auch die Stammzellforschung, die in Deutschland strikten Regeln unterliegt. Einige Wissenschaftler bemängeln, Deutschland beschränke die Qualität seiner Forschung durch moralische Bedenken.
Ich glaube, wir haben eine Gesetzgebung gefunden, die den Wissenschaftlern in Deutschland die Möglichkeit gibt, auf international höchstem Niveau zu forschen. Gleichzeitig sind die ethischen Gesichtspunkte, die in Deutschland diskutiert wurden, berücksichtigt worden. Man muss jedoch realistisch sein für den Fall, dass es in einem anderen Land mit einer freizügigeren Regelung zu einem Durchbruch aufgrund von Stammzellforschung käme und eine Therapie entwickelt würde - wovon wir im Moment himmelweit entfernt sind. Dann wird der Druck der Patienten in Deutschland groß sein, von diesen Therapien oder Medikamenten zu profitieren, auch wenn sie durch Stammzellforschung entstanden sind, die in Deutschland nicht zulässig ist.
Der medizinische Fortschritt ist teuer. Werden auch künftig alle daran teilhaben?
Im Gegensatz zu manchen anderen Ländern erhalten in Deutschland alle Patienten die medizinisch notwendige Behandlung. Natürlich steigen mit den neuen Möglichkeiten auch die Kosten. Insofern müssen wir alle uns wohl darauf einstellen, dass wir künftig eher einen größeren Teil unseres monatlichen Einkommens für Medizin und Gesundheit vorsehen müssen.
Thomas Rachel ist seit November 2005 Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Zuvor war er Obmann für Bildungs- und Forschungs- politik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.