PIUS XII.
Über das Verhalten des Papstes gegenüber den Nationalsozialisten wird bis heute heftig gestritten
Kurz vor seinem Tod im April 2005 setzte sich Papst Johannes Paul II. ein großes Ziel: "Ich werde nicht sterben, bevor ich nicht Papst Pius XII. heilig gesprochen habe." Halten konnte er sein Wort nicht, einige Wochen später starb er. Bisher sprach die zuständige Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse den so genannten Pacelli-Papst nicht heilig. Auch im Vatikan scheiden sich bis zum heutigen Tag die Geister an Pius XII., an seiner Rolle während des Zweiten Weltkriegs und seinem Verhalten gegenüber dem mörderischen Rassenwahn der Nationalsozialisten.
Pius hat mit allen Mitteln versucht, die Judenverfolgung zu unterbinden, sagen die einen. Pius hat durch sein Schweigen die katastrophalen Auswüchse des Antisemitismus geradezu unterstützt, meinen die anderen. Bei keinem anderen Kirchenvater gehen die Meinungen so weit auseinander wie bei Pius XII. Sein Pontifikat begann im März 1939 noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges und dauerte weit über die letzten Kriegsjahre hinaus bis ins Jahr 1958 an.
Daniel Jonah Goldhagen, prominenter Ankläger der katholischen Haltung gegenüber den Juden, erhob in seinem Buch "Die katholische Kirche und der Holocaust" scharfe Vorwürfe gegen die Position des Papstes. Bekanntester Pius-Kritiker ist der englische Journalist John Cornwell, der Pius XII. in seiner Arbeit "Der Papst, der geschwiegen hat" geradezu als Helfer Hitlers zu stigmatisieren versuchte. Noch eindeutiger der provokante englische Originaltitel des Buches: "Hitler's pope" (Hitlers Papst). Nicht zuletzt Rolf Hochhuths Skandaldrama "Der Stellvertreter", trug dazu bei, das Bild des Kriegs-Papstes nachhaltig negativ zu beeinflussen.
Doch auch ausgewogenere Töne sind im Pius-Diskurs zu vernehmen. Auf eine für deutsche Historiker typische Sowohl-als-auch-Position zieht sich etwa der Potsdamer Historiker Thomas Brechenmacher zurück. In seiner Analyse "Der Vatikan und die Juden" legt er sich nicht eindeutig fest, welche Rolle die Päpste für den antisemitischen Supergau des 20. Jahrhunderts spielten. Und der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide wies gar darauf hin, die vatikanische Diplomatie habe Hunderttausenden Juden vor dem sicheren Tod bewahrt.
Aus dem Vatikan sind in offiziellen Verlautbarungen größtenteils positive Urteile über Pius XII. bekannt. Er habe in seinen Enzykliken stets eine ablehnende Position gegenüber der Politik der Nationalsozialisten bezogen, heißt es. Doch auch hinter den dicken Mauern des Kirchenstaates brodelt die Pius-Frage. Anders ist kaum zu erklären, dass Selig- und Heiligsprechung des Kirchenoberhauptes bis heute auf sich warten lassen. Bereits 1965 eröffnete Papst Paul VI. die Diskussion um eine mögliche Seligsprechung, doch noch immer ist das Kanonisationsverfahren nicht abgeschlossen. Es liegen laut Deutscher Bischofskonferenz verschiedene Einsprüche vor, die derzeit geprüft werden, ein genauer Termin sei noch nicht anvisiert. Auch dies ein deutlicher Hinweis auf die umstrittene Einschätzung des Papstes innerhalb des Vatikans.
Anlässlich des 50. Todestages von Eugenio Maria Giuseppe Giovanni Pacelli, so der bürgerliche Name des Papstes, am 9. Oktober dieses Jahres und in Anbetracht der kontroversen Diskussionen um eine Selig- oder gar Heiligsprechung, erschienen jüngst zwei Bücher, die neues Licht ins Dunkel des Kriegspontifikats zu bringen versuchen.
Schon im Titel der beiden Arbeiten deuten sich die Stoßrichtungen der Autoren an. Der Wiener Historiker Klaus Lohrmann zeichnet in "Die Päpste und die Juden" die Geschichte von Päpsten, Christen und Juden nach. "2000 Jahre zwischen Verfolgung und Versöhnung" lautet der Untertitel und schon hier tritt die Programmatik der Analyse zutage. Lohrmann hält eine singuläre Betrachtung zwar nicht für ausgeschlossen, aber für wenig sinnvoll, um historische Wahrheiten herauszufiltern. Auch die Rolle Pius XII. deutet Lohrmann aus den Traditionen und Entwicklungen seiner Vorgänger heraus. Leider gerät der Historiker immer wieder in langatmige Ausführungen, ergeht sich in verschachtelten Endlossätzen, die sich wenig förderlich auf das Verständnis seiner Arbeit auswirken. Das Kapitel zu Pius XII. ist, bedankt man den Titel des Buches, recht kurz geraten.
Der Österreicher deutet die Äußerungen Papst Pius XII. zur Judenverfolgung als "Insider-Informationen", meint damit vor allem die Enzyklika "Summi pontificatus" von 1939. Darin warb der Papst für die Haltung des Apostel Paulus, in der es weder Heiden noch Juden gegeben habe. Für diejenigen, die ohnehin schon von der Judenverfolgung in Nazideutschland wussten, konnte dies als Protest gegen die nationalsozialistische Rassenpolitik gedeutet werden. Für alle anderen hingegen mussten die Worte des Papstes undeutlich, vage und verschleiert erscheinen.
Laut Lohrmann war Pius XII. kein Helfer Hitlers, keiner, der gemeinsame Sache mit den Nationalsozialisten machte. Aber eine klare Kennzeichnung der Nationalsozialisten als Täter auf der einen und der Juden als Opfer auf der anderen Seite, blieb aus. Erfreulicherweise flüchtet sich Lohrmann hier nicht in ein Entweder-Oder, sondern kommt zum Ergebnis eines "Zu-wenig" der päpstlichen Stellungnahmen.
Der Freiburger Theologe Klaus Kühlwein befasst sich in seinem Buch "Warum der Papst schwieg" ausschließlich mit dem Pontifikat Pius XII. Von Kapitel zu Kapitel tastet er sich näher an die Haltung des Papstes heran und setzt das Schweigen bereits im Titel voraus. Er analysiert nicht, ob, sondern warum das Kirchenoberhaupt schwieg. Dieses Schweigen war weder willkürlich noch bösartig, sondern es hatte triftige Gründe, arbeitet der Kirchenhistoriker heraus. Er verschweigt nicht das Zaudern des Papstes, als die Nationalsozialisten in Rom unter seinen Augen Juden deportierten. Er hebt aber auch hervor, dass seine diplomatische Haltung jüdisches Leben rettete. Kühlwein wagt einen Spagat zwischen einem klaren Blick auf das Versagen einer- und der Würdigung diplomatischer Erfolge andererseits.
Kühlwein erstellt ein umfangreiches Psychogramm des Kirchenmannes, das schon in dessen Jugend einsetzt. Welche Entscheidungen traf er aus welchem Grund? Mit welchen Interessenkonflikten sah er sich konfrontiert? Bei der Beantwortung dieser Fragen stützt er sich in erster Linie auf Unterlagen aus dem päpstlichen Geheimarchiv, zu dem er als einer der wenigen Historiker Zugang hat. Genau das merkt man seinem glaubwürdigen Buch an. Denn Kühlwein spekuliert nicht, sondern leitet logisch her. Beschreibt, wie sehr Pius XII. um die richtige Entscheidung rang. Bei Kühlwein erscheint der Kriegspapst nicht mehr als der gleichgültige Kirchenführer, der bewusst schwieg und sich damit schuldig machte, sondern als Mensch, der das Unheil früh erkannte, das spätere Ausmaß jedoch falsch einschätzte. Schon 1925 hatte er nach der Lektüre von Hitlers "Mein Kampf" den Nationalsozialismus als Häresie, als nicht vereinbar mit der christlichen Lehre ausgemacht. Doch dass jede Zeile des grausamen Buches Wirklichkeit werden sollte, erkannte er zu spät.
Nachdem die Schreckensmeldungen aus Deutschland überhand nahmen, glaubte Pius schließlich, der Diktator sei vom Teufel besessen. Gleich zweimal sprach er aus der Ferne Exorzismen über Hitler, versuchte ihm aus hunderten von Kilometern Dämonen auszutreiben. In Nazi-Deutschland waren die Kirchen unter der Auflage, sich nicht politisch zu äußern, vom Staat geduldet. Was jedoch wäre mit Millionen von Gläubigen geschehen, wenn ihr Oberhaupt sich radikal gegen die nationalsozialistische Politik gestellt hätte?
Pius befand sich in einem tragischen Dilemma, dessen er sich vollauf bewusst war. In seinem Testament gestand er: "Die Vergegenwärtigung der Mängel und Fehler, die während eines so langen Pontifikates und in solch schwerer Zeit begangen wurden, hat mir meine Unzulänglichkeit klar vor Augen geführt."
Warum der Papst schwieg. Pius XII. und der Holocaust.
Patmos Verlag, Düsseldorf 2008; 246 S., 19,90 ¤
Klaus Lohrmann:
Die Päpste und die Juden. 2000 Jahre zwischen Verfolgung und Versöhnung.
Patmos Verlag, Düsseldorf 2008; 310 S., 24,90 ¤