FiNanZKRISE I
Kämmerer legten Geld bei Lehman-Brothers an. Kanalnetze an Heuschrecken verscherbelt
Peter Götz schwant Schlimmes: "Ich rechne mit erheblichen Verlusten bei den betroffenen Rathäusern." Und wenn in den USA bei Banken und Versicherungen noch mehr Dominosteine fallen sollten, fürchtet der Kommunalfachmann der Unions-Bundestagsfraktion, "dann wird die Finanzkrise Städte und Gemeinden hierzulande mit voller Wucht treffen." Auch die Parlamentarierin Britta Haßelmann (Grüne) sieht eine "Kettenreaktion" in den USA, deren Opfer hiesige Rathäuser zu werden drohen.
Die beiden Abgeordneten sprechen von windigen Geschäften namens "Cross Border Leasing" (CBL), für klamme Kämmerer einst ein Zauberwort: Kommunen überließen Teile ihrer Infrastruktur wie Wasserleitungen, Klärwerke, Abfallöfen, Kanalnetze, Messehallen oder U-Bahnzüge US-Investoren für satte Beträge, mieteten diese Einrichtungen für Jahrzehnte samt späterem Rückkaufrecht wieder zurück und profitierten dabei in Millionenhöhe von Steuervorteilen, die den Partnern in den USA wegen dieser Geschäfte zuflossen.
Allerdings geraten wegen der Finanzkrise manche in die Transaktionsabwicklung eingeschalteten Versicherungen und Banken ins Straucheln. Dieses möglicherweise millionenschwere Risiko bleibt jetzt an deutschen Kämmerern hängen.
Aber nicht nur CBL-Verträge sorgen für Alarmstimmung. Der 27. Oktober könnte vielerorts für Bürgermeister und Kämmerer zu einer Art Schicksalstag werden: Vermutlich an diesem Tag wird die Bafin als Aufsichtsbehörde entscheiden, ob die im September geschlossene deutsche Tochter der insolventen US-Bank Lehman Brothers wieder öffnen kann oder dicht bleibt und dann wahrscheinlich in die Pleite rutscht. Bei der Frankfurter Lehman-Filiale haben nicht wenige Städte wegen hoher Zinsen satte Millionenbeträge angelegt. Was wird aus dem Geld? Die Betroffenen setzen darauf, dass im Fall der Fälle der Einlagensicherungsfonds der Banken greift. Lehman Frankfurt sei eine "deutsche Bank, die dem deutschen Sicherungssystem unterliegt", sagt Freiburgs Finanzdezernent Otto Neideck.
Wer wie viel Geld bei Lehman Brothers gebunkert hat, ist nicht genau bekannt. Neideck geht von rund 50 Kommunen aus. Mit dabei sind etwa Frankfurt (95 Millionen), Köln (90), Freiburg (47), der Kreis Euskirchen (35), die Kleinstadt Lörrach und der Kreis Frechen mit jeweils 5 Millionen, Karlsruhe (10), Mannheim (6). Auch München, Paderborn und Münster sollen bei Lehman Kunden sein.
Nun sind Kämmerer gehalten, liquide Kassenmittel gewinnbringend anzulegen. Der CDU-Abgeordnete Götz spricht von einer "Gratwanderung": Ein Risiko mit hohen Zinsen bei einigen Engagements müsse im Rahmen der gesamten Anlagestrategie "ausbalanciert" werden. Die Grüne Haßelmann sieht die Rathäuser in einer "großen Verantwortung", schließlich hantierten sie mit dem Geld der Bürger. Neideck betont mit Nachdruck, alle Geldanlagen bei Lehman seien bislang "gut verzinst, professionell angewickelt und pünktlich zurückgezahlt worden".
Zwar warnt der Steuerzahlerbund, es sei noch nicht ausgemacht, ob die Mittel des Einlagensicherungsfonds genügen, um alle "Flächenbrände zu löschen, die durch die Finanzkrise ausgelöst werden". Bisher darf man aber wohl davon ausgehen, dass bei einer Lehman-Pleite die dort deponierten Gelder durch den Fonds gedeckt sind, auch wenn die Rückzahlung mehrere Monate dauern kann und mit Zinsabstrichen zu rechnen ist.
Die bei den CBL-Deals schlummernde Zeitbombe könnte indes mehr Sprengkraft in sich bergen. Nach in Medien kursierenden Schätzungen wurden bis 2004 rund 140 Leasing-Abkommen geschlossen. Dann verbot Washington diese Geschäfte zu Lasten des US-Fiskus. Milliarden sind im Spiel. Als Crux erweist sich die Finanzabwicklung. Die deutschen Partner erhalten zunächst das Geld des US-Investors für ihre Infrastruktur samt ihrem Anteil aus dem in den USA anfallenden "Steuergewinn". Die hiesigen Kommunen zahlen dann ihr Leasinggeld in einen meist von US-Banken oder -Versicherungen gemanagten Topf, die gegenüber dem Investor für die Begleichung der Mietschulden bürgen. Wird im Zuge der Finanzkrise die Bonität dieser Gewährsträger wie etwa beim Versicherungsriesen AIG zurückgestuft oder sollten sie sogar wegen Pleite ganz verschwinden, müssen die deutschen Partner innerhalb weniger Monate neue Bürgen auftreiben - und das kann teuer werden. Über die Höhe der Millionensummen kann nur spekuliert werden.
Mit Hochdruck prüfen derzeit diverse Rathäuser ihre CBL-Deals. In Baden-Württemberg wird bei der Bodenseewasserversorgung und der Landeswasserversorgung sogar ein teurer Ausstieg aus dem Leasingsystem nicht ausgeschlossen. Die beiden Zweckverbände hatten ihre technische Infrastruktur für zusammengerechnet 1,5 Milliarden Euro an einen US-Investor verkauft, der sie an seinem heimischen Steuerplus mit insgesamt 60 Millionen Euro beteiligte. Man hofft, dass die Rücklagen ausreichen, um finanzielle Risiken aufzufangen.
Die CBL-Steuergewinne konnten sich ursprünglich durchaus sehen lassen. Bochum nahm für das Kanalnetz 20 Millionen Euro ein. Ob Ulm für ein Klärwerk, Köln, Wuppertal oder Recklinghausen für die Kanalisation, Gelsenkirchen für städtische Gebäude, Berlin für Messehallen sowie Straßen- und U-Bahnen, Ludwigsburg für Kläranlagen: Es fielen dicke Gewinne an. Nun aber geht Fracksausen um.