13. Sitzung
Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009
Beginn: 9.01 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zur voraussichtlich letzten Plenarsitzung des Deutschen Bundestages in diesem Jahr.
- Bei dem Beifall ist mir jetzt nicht völlig klar, ob sich das auf die freundliche Begrüßung oder auf die Ansage bezieht, dass mit weiteren Plenarsitzungen in diesem Jahr nicht zu rechnen ist. Aber das können die Redner für die Fraktionen anschließend der Reihe nach klarstellen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass der Ältestenrat in seiner gestrigen Sitzung vereinbart hat, während der Haushaltswoche ab dem 18. Januar nächsten Jahres, wie üblich bei Haushaltswochen, keine Regierungsbefragung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Ich nehme an, dass es dazu Einvernehmen gibt. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe dann unseren Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation ?ALTHEA? zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina im Rahmen der Implementierung der Annexe 1-A und 2 der Dayton-Friedensvereinbarung sowie an dem NATO-Hauptquartier Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1575 (2004) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1895 (2009) vom 18. November 2009
- Drucksachen 17/180, 17/275 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Uta Zapf
Dr. Rainer Stinner
Sevim Dagdelen
Marieluise Beck (Bremen)
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/277 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven Kindler
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Auch dies ist offenkundig einvernehmlich. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Djir-Sarai von der FDP.
Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EU-Operation ?Althea? in Bosnien und Herzegowina ist bisher ein großer Erfolg. Das ist - auch das muss man an dieser Stelle sagen - ein Verdienst unserer Soldatinnen und Soldaten, die dort im Einsatz sind.
Heute kann die Sicherheitslage in Bosnien und Herzegowina sogar als stabil eingestuft werden. Die innenpolitische Lage ist jedoch fragil. Vor wenigen Wochen hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Mitgliedstaaten erneut autorisiert, mit einer multinationalen Stabilisierungstruppe und NATO-Präsenz weiter vor Ort zu sein und das Engagement in Bosnien und Herzegowina fortzusetzen. Das wird einen guten Grund haben.
Die aktuelle Lage im Parlament dort ist verworren. Die Parteien blockieren immer wieder das Zustandekommen einer effektiven Demokratie. Wir hören sogar Drohungen von der Zerspaltung des Landes. Politische Kompromisse zu finden, ist so nur eingeschränkt möglich. Die EU muss sich demnach weiterhin um die Vermittlung zwischen den Entitäten bemühen. Sie muss ein Signal für zukünftige Unterstützung setzen.
Keine Frage: Eine Beendigung der Kampfhandlungen hätte ohne das Dayton-Abkommen womöglich niemals stattgefunden. Jedoch ist dieser Vertrag auch zugleich die Grundlage der ethnisch geprägten Verfassung, die nach wie vor zu massiven Uneinigkeiten zwischen den Parteien vor Ort führt.
Diese Verfassung erschwert den Fortschritt in der Region.
Heute, über ein Jahrzehnt nach Kriegsende, wird immer deutlicher, dass unbedingt eine Verfassungsreform vorangetrieben werden muss, die die Kriterien für ein modernes, EU-fähiges Staatswesen erfüllt.
Insbesondere funktionale, menschenrechtliche und fiskalische Gesichtspunkte sollten dabei im Vordergrund stehen.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der politische und soziale Prozess in Bosnien und Herzegowina stagniert. Die militärische und rechtsstaatliche Absicherung durch die EU muss also erhalten bleiben.
Der demokratische Prozess wird durch die Fortsetzung der Operation Althea nicht behindert, ganz im Gegenteil: Althea ist eine Erinnerung für die Regierung in Bosnien und Herzegowina, dass bestimmte Rahmenbedingungen noch nicht erfüllt sind. Althea sollte als Ansporn zur Verbesserung der politischen und sozialen Situation dienen. Die Operation Althea ist aber auch ein Symbol, dass die EU und auch die Bundesrepublik Deutschland noch immer hinter den Menschen dieser Region stehen.
Wir sehen, dass das militärische Kontingent fortwährend verringert wird. Die weitere Senkung des Militäranteils ist eine richtige und sinnvolle Entwicklung.
Die Bundesregierung unterstützt den Ausbau der Polizeimission. Sie setzt zudem verstärkt auf ziviles Engagement und auf die Entwicklungszusammenarbeit. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen vor allem von den Linken, heute ist leider noch nicht der richtige Zeitpunkt, um vollständig auf das militärische Potenzial verzichten zu können.
Mit den innenpolitischen Zerwürfnissen als Grund werden wir der unveränderten Fortsetzung des Engagements in Bosnien und Herzegowina zustimmen. Zum heutigen Zeitpunkt kann das EUFOR Althea-Mandat nicht inhaltlich verändert werden. Dafür sind die politischen Spannungen einfach zu groß.
Es stellt sich nun die Frage, wie in Sachen Hoher Repräsentant weiter verfahren wird. Das Amt des Hohen Repräsentanten wird vorerst erhalten bleiben, da die für seine Abschaffung nötigen Ziele und Bedingungen bisher nur unzureichend erfüllt sind. An dieser Stelle möchte ich jedoch mein Bedauern darüber ausdrücken, dass diese Institution bis heute nicht aufgelöst werden konnte. Der Hohe Repräsentant hat noch immer exekutive Sondervollmachten, die mehr auf dem Papier existieren, als dass sie in der praktischen Umsetzung möglich sind. Die Abschaffung des Hohen Repräsentanten wurde bereits 2008 beschlossen. Dieses Vorhaben ist eindeutig der richtige Weg.
Die FDP hatte diese Maßnahme schon seit mehreren Jahren gefordert. Denn als Voraussetzung für die Festigung demokratischer Strukturen muss Bosnien und Herzegowina die Eigenverantwortlichkeit zurückerlangen.
Es wäre sehr schön, wenn die EU in Zukunft den Problemen in der Balkanregion insgesamt mehr Priorität geben würde.
Mit den Maßnahmen der Operation Althea sowie der Polizei- und Verwaltungsmission in Bosnien und Herzegowina soll ein Rückschritt verhindert werden. Aus unserer Sicht muss dieses Land Fortschritte letztlich jedoch selbst machen.
Niemand hat die schrecklichen Bilder aus Bosnien und Herzegowina vergessen, die uns nach dem Bosnien-Krieg Anfang der 90er-Jahre erreicht haben. Wir haben in einem geschundenen Land Verantwortung übernommen - politisch, militärisch und zivil. Dazu müssen wir nun auch stehen. Zieht Deutschland jetzt seine Hilfe aus der Region ab, treten wir diese Verantwortung mit Füßen.
Als Bundesrepublik Deutschland, als Deutsche haben wir ein großes Interesse daran, dass Bosnien und Herzegowina weiter stabilisiert werden. Wir haben ein großes Interesse daran, dass dieser Staat selbst für die Freiheit und Sicherheit seiner Bürger sorgen kann. Wir haben ein großes Interesse daran, dass dort ein friedlicher und demokratischer Rechtsstaat entsteht. Und wir haben ein großes Interesse daran, dass eine Integration in die friedenssichernde Europäische Union erfolgen kann.
Wir dürfen nicht nur mit dem Wort, sondern müssen auch mit der Tat dafür sorgen, dass sich die ganze Region positiv entwickelt. Dazu müssen wir unseren Beitrag leisten. Wir müssen zu unserer Verantwortung stehen. Der Gesamteinsatz soll unter der Absenkung der Obergrenze von 2 400 auf 900 Soldatinnen und Soldaten erfolgen. Er muss aber inhaltlich unverändert erfolgen. Ich wiederhole es, weil es so wichtig ist: Er muss inhaltlich unverändert erfolgen. Daher bitte ich Sie, dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Lieber Kollege Djir-Sarai, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen für die weitere parlamentarische Arbeit alles Gute.
Rolf Mützenich ist nun der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Montag vor 14 Jahren, am 14. Dezember 1995, wurde in Paris das Dayton-Abkommen unterzeichnet. Damit endete einer der blutigsten und schrecklichsten Konflikte nach dem Zweiten Weltkrieg. Damit endeten die jugoslawischen Erbfolgekriege aber leider nicht. Immerhin war dies aber ein wichtiges Datum für eine hoffentlich friedliche und zivile Entwicklung in den einzelnen neuen Staaten des ehemaligen Jugoslawiens. Ich hoffe, dass die nachfolgenden Generationen die Lehren aus diesem Konflikt ziehen. Das gilt für die Menschen dort. Aber ich glaube, das gilt auch für uns hier in Europa.
Herr Kollege, ich möchte Sie ganz herzlich zu Ihrer ersten Rede beglückwünschen und Ihnen dafür danken.
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Auswärtigen Ausschuss. Ich teile viele Ihrer Schlussfolgerungen. Nur, ich weiß nicht, ob wir wirklich sagen können: Was dort passiert ist, war eine einmalige Erfolgsgeschichte. Ich persönlich gebe auf der einen Seite zu, dass ich mir manches schneller erwartet hätte, dass ich gedacht habe, wir hätten in diesem Zusammenhang schnellere und größere Erfolge. Leider ist das nicht so. Ich glaube, dass die politisch Verantwortlichen in dieser Region noch eine Menge tun müssen und dass wir weiterhin eine schwierige Lage haben.
Auf der anderen Seite können wir aber feststellen: Es gibt auch Fortschritte. Flüchtlinge sind zurückgekehrt. 60 000 Soldaten waren dort zu Beginn stationiert; heute sind es noch 2 000 Soldaten. Wir brauchen sie noch immer, um die insgesamt schwierige Situation zu überwinden. Die internationale Präsenz ist auch deswegen erforderlich, weil sie das wichtige Zeichen setzt, dass wir ein großes Interesse an Fortschritten haben.
Ein wichtiger Ansatzpunkt für die Fortentwicklung ist - das haben Sie gesagt - die europäische Integration. Deswegen war ich sehr enttäuscht, als die CDU/CSU in ihrem Wahlprogramm geschrieben hat: Diese Perspektive geben wir nicht mehr allen Staaten in dieser Region. - Ich glaube, dieser Anreiz muss gegeben werden, um überhaupt zu den Fortschritten zu kommen, die wir uns wünschen, auch um unsere dortige internationale Präsenz überflüssig zu machen. Deswegen würde ich mich wirklich freuen, wenn auch in Ihren Reihen ein gewisser Lernerfolg eintritt: Die EU-Integration bleibt ein wichtiges politisches Element für den Balkan und den Frieden in dieser Region;
das brauchen wir. Ich bitte den Außenminister - ich glaube, wir sind hier derselben Auffassung -, seine Kolleginnen und Kollegen und die Bundeskanzlerin zu ermutigen, diese Perspektive in Verantwortung aufrechtzuerhalten.
Auf der anderen Seite erwarten wir von den politischen Eliten bzw. von Herrn Dodik - ich habe das eben angedeutet -, dass er sich an das hält, was er offensichtlich vorgestern gesagt hat: Es soll keine Separation geben; der Staatsverbund soll erhalten bleiben. Das ist aber auch eine Aufforderung an die Verantwortlichen in Serbien, keine Hinweise darauf zu geben, dass die Republika Srpska irgendwann in Serbien integriert werden könnte. Im Gegenteil: Es muss bei den bisherigen Verhältnissen bleiben. Wir müssen auch von der serbischen Führung ein Bekenntnis hierzu verlangen; daran muss nach meinem Dafürhalten in den Gesprächen, die die Regierungen führen, immer wieder erinnert werden.
Wir haben gehört, dass der Hohe Repräsentant weiterhin über einen Teil seiner Befugnisse verfügt. Zum Beispiel liegt die juristische Aufarbeitung von Kriegsverbrechen auch in den nächsten drei Jahren in seiner Hand; das ist wichtig und richtig. Er hat aber einen anderen Teil seiner Befugnisse abgegeben, nämlich die Aufarbeitung von Korruptionsfällen.
- Ja, das musste er; aber das ist nicht der Punkt. Die Frage wird doch sein: Was machen jetzt die Verantwortlichen aus dieser Situation? Dazu sage ich vonseiten des Deutschen Bundestages: Wir brauchen weiterhin eine Aufarbeitung der Korruptionsfälle, der Misswirtschaft, Kriminalität usw., und zwar unabhängig davon, wer in diesem Gebiet welche Rolle spielt. Niemand darf denken, er wäre von der Verfolgung durch die Strafverfolgungsbehörden ausgenommen. Das ist ein wichtiges Signal an die dortigen politischen Akteure: Wir wollen, dass die juristische Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, aber auch von Korruptionsfällen und Kriminalität fortgesetzt wird, egal wer die Verantwortung dafür trägt.
Zum Schluss möchte ich einen weiteren Aspekt ansprechen. Wir reden oft über Abrüstung und Rüstungskontrolle, auch gleich hier im Deutschen Bundestag. Wir haben im Zusammenhang mit dem Abkommen von Dayton gesehen, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle wichtige Elemente der Konfliktnachbereitung sind. Minenräumung ist ein wichtiges Feld; sie muss in diesem Gebiet weiter erfolgen. Hier muss die internationale Gemeinschaft noch mehr Anstrengungen leisten. Die Rüstungskontrolle spielte auch beim Abkommen von Dayton eine wichtige Rolle: Sie sollte eine Überrüstung des auseinanderfallenden Jugoslawiens verhindern und dafür sorgen, dass es nicht wieder in große Konflikte hineinschlittert.
Das Kapitel der Rüstungskontrolle muss neu aufgeschlagen werden. Wir haben dazu einen Antrag vorgelegt. Damit bietet der Deutsche Bundestag der Regierung, aber auch der Region eine Perspektive. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.
Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und alles Gute für das neue Jahr.
Danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bevor es soweit ist, setzen wir die Debatte fort,
als Nächstes mit dem Redner Peter Beyer für die CDU/CSU-Fraktion.
Peter Beyer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bosnien-Herzegowina kämpft bis heute mit den Folgen der Kriegshandlungen auf seinem Gebiet. Die innere Zerrissenheit ist geblieben; ethnische Spannungen bestehen fort. Betrachtet man die Entwicklungen nach dem letzten Krieg, fühlt man sich unwillkürlich an das Wort erinnert, dass der Balkan mehr Geschichte habe, als er selbst verarbeiten könne.
Die militärische Operation Althea begann im Dezember 2004. Seitdem ist sie Garant dafür, dass die Sicherheitslage im Land stabil geblieben ist, trotz schwieriger politischer Umstände. Viele der dort stationierten Soldaten werden Weihnachten nicht zu Hause im Kreise ihrer Familie verbringen können. Umso mehr gebührt ihnen der Dank von uns allen.
Der Erfolg von Althea ist auch für die Nachbarländer von entscheidender Bedeutung. Der Staat Bosnien-Herzegowina spielt aufgrund seiner zentralen Lage auf dem Balkan eine Schlüsselrolle in der gesamten Region. Es ist deshalb ein sehr gutes Zeichen, dass wegen der grundsätzlich stabilen Sicherheitslage die Obergrenze von bisher 2 400 Soldatinnen und Soldaten auf 900 einzusetzende Soldatinnen und Soldaten gesenkt werden kann. Tatsächlich eingesetzt sind von deutscher Seite wesentlich weniger: Circa 130 Soldatinnen und Soldaten sind derzeit dort stationiert.
Das alles zeigt: Die gemeinsamen Anstrengungen der beteiligten Länder haben die Sicherheit weiter verbessert. Wichtig ist, dass die Ziele der Mission trotz der deutlich reduzierten Truppenstärke nicht aus den Augen verloren werden und sie gesichert bleiben, Stichwort: Reservekräfte, die Over-the-Horizon-Forces.
Der Friedensprozess ist noch nicht abgeschlossen. Die dringend nötige Verfassungsreform stockt, weil die ethnischen Konflikte weiter schwelen. Bosniaken, Serben und Kroaten leben in vielen Fällen nebeneinander statt miteinander. Die innere Zerrissenheit der Gesellschaft nach dem Krieg ist lange noch nicht überwunden.
Das Land muss dahin kommen, dass sich die Menschen vor Ort als Bürger von Bosnien-Herzegowina begreifen und nicht nur als Bosniaken, Serben oder Kroaten. Damit das uns und den Menschen vor Ort gelingt, braucht der Staat eine Perspektive. Die Annäherung an die Europäische Union und die NATO kann eine solche Perspektive sein. Wir freuen uns deshalb sehr darüber, dass Bosnien-Herzegowina den Beitritt zur Europäischen Union anstrebt.
Dass mangels der Erfüllung der Bedingungen die Visabeschränkungen für Bosnien-Herzegowina bisher nicht aufgehoben werden konnten, ist zu bedauern, insbesondere weil die bosnischen Serben aufgrund ihrer Verbindung zu Serbien andere Möglichkeiten haben als die Bosniaken, was die Situation nicht leichter macht. Dennoch müssen wir auf der Einhaltung der Kriterien bestehen, Herr Kollege Mützenich. Der Fahrplan zur Annäherung der Westbalkanländer an die EU legt einzelne Stufen fest, die nicht übersprungen werden dürfen. Dieser schrittweise Prozess ist auch im Interesse von Bosnien-Herzegowina und der richtige Weg für dieses Land.
Wir werden mit Althea weiter zur Stabilisierung beitragen und das Land zudem zivil und finanziell fördern. Wir unterstützen ferner den Aufbau einer funktionierenden Polizeistruktur. Aber wir brauchen auch die staatliche Eigenleistung. Demokratie muss sich langfristig selbst tragen. ?Althea? darf keine Dauereinrichtung werden. Ich denke, das ist weitgehender Konsens in diesem Hause.
Bosnien-Herzegowina kann als inhomogenes Gebilde nur als föderaler Staat funktionieren. Gerade in föderalen Systemen führt aber der demokratische Weg oft nur über Konflikt und Kompromiss zum Konsens. Das ist langwierig. Demagogen bieten dagegen scheinbar schnelle und absolute Lösungen an. Das macht gerade junge Staaten so anfällig für deren Versprechungen.
Das Land braucht letztlich Menschen, die den Mut haben, sich nicht hinter dem anfangs erwähnten Zuviel an Geschichte zu verstecken. Das gilt gerade im Hinblick auf die Wahlen im nächsten Jahr. Ethnische Fragen dürfen nicht länger wichtiger sein als der gemeinsame Wille zur gemeinsamen Zukunft. Es braucht Menschen, die bereit sind, Vergangenes hinter sich zu lassen, alte Grenzen zu überwinden und neue Wege zu beschreiten. Den einen Big Bang wird es nicht geben, sondern viele kleine Schritte. So hat es kürzlich erst der derzeitige Hohe Repräsentant Valentin Inzko formuliert.
Dass Bosnien-Herzegowina diese Belastungsprobe am Ende besteht, daran müssen wir ein ureigenes Interesse haben. Seit Aufnahme der bilateralen Beziehungen verbindet uns mit dem Land eine aufrichtige Freundschaft. Bosnien-Herzegowina verdient endlich Demokratie statt Manipulation und nationaler Ideologie. Die nötigen Anstrengungen, die Kriterien zum Beitritt zur EU zu erreichen, werden die demokratischen Strukturen am Ende kräftigen, nicht schwächen. Mit dem Erfolg jeder demokratisch gefundenen Entscheidung wird das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit steigen. Damit die demokratischen Strukturen weiter wachsen können, ist die Verlängerung des Althea-Mandats erforderlich. Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dagdelen für die Fraktion Die Linke.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem Schreiben des damaligen UN-Generalsekretärs Pérez de Cuéllar
an Außenminister Genscher vom 14. Dezember 1991 warnte er - ich zitiere -, ?dass verfrühte selektive Anerkennungen eine Erweiterung des Konflikts in jenen empfindlichen Regionen nach sich ziehen würden.? Weiter heißt es: ?Solch eine Entwicklung könnte schwerwiegende Folgen für die ganze Balkanregion haben ??.
Wir wissen, welche unrühmliche Rolle die deutsche Außenpolitik dann auf dem Balkan gespielt hat und leider weiter spielt. Das setzt sich im Antrag der Bundesregierung fort. Im SPD-Antrag heißt es dagegen - ich zitiere -:
Für die Vereinigten Staaten und die EU gilt es, die Verantwortlichen in der Republika Srpska vor den verheerenden Folgen einer Sezession zu warnen.
?Bravo!? möchte man Ihnen zurufen! Plötzlich entdecken Sie das Völkerrecht wieder. Aber der Schein trügt.
Die rot-grüne und die jetzige Bundesregierung unterscheiden sich in diesem Punkt leider gar nicht. Das Völkerrecht entdecken Sie immer nur dann, wenn es Ihnen genehm ist. Haben Sie denn irgendetwas getan, um Jugoslawien vor dem Zerfall zu bewahren?
Haben Sie nicht einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien geführt? Und waren Sie es nicht, die die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovos anerkannt und damit eine neue Lunte an das Pulverfass Balkan gelegt haben? Jetzt jammern Sie, wenn andere durch die Türen gehen, die Sie geöffnet haben.
Eine völkerrechtskonforme Politik auch dieser Bundesregierung würde etwas für den Zusammenhalt Bosnien-Herzegowinas bewegen;
deutsche Soldaten auf dem Balkan haben es in der Vergangenheit nicht und werden es auch in Zukunft nicht. Aus der Debatte wird auch klar, dass Sie an einer ehrlichen Bilanz des Althea-Militäreinsatzes nicht wirklich interessiert sind. Sie bauen sich hier systematisch eine Scheinwelt auf, die dazu dient, den Militäreinsatz zu legitimieren.
In der jüngsten Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik zur Bilanz der bisherigen EU-Militär- und Polizeieinsätze heißt es, dass sich die Stimmen mehren, die sagen, dass die Situation in Bosnien nach Dayton selten so verfahren und angespannt war wie im Jahr 2009. Ich frage Sie: Ist das das positive Ergebnis dieser Militärmission, das einen weiteren Verbleib in Bosnien rechtfertigt? Die Autoren der Studie haben doch recht, wenn sie konstatieren, dass dieser Konflikt weder durch politischen noch durch wirtschaftlichen oder militärischen Druck gelöst werden kann. Der EU-Militäreinsatz hat - selbst wenn man Ihrer Logik folgen würde - nichts, aber auch gar nichts Positives bewirkt. Im Gegenteil: Er hat mit verhindert, dass es zu einem wirklich nachhaltigen zivilen und sozialen Aufbau in Bosnien-Herzegowina kommt.
Man muss doch den Tatsachen ins Auge sehen. Dazu gehört, dass alle deutschen Bundesregierungen nach Dayton dabei halfen, dass auch in Bosnien-Herzegowina eine neoliberale Wirtschaftsordnung durchgesetzt wurde.
- Schauen Sie sich doch einmal den Anhang des Dayton-Abkommens an. Die Privatisierung und damit die Verschleuderung öffentlichen Eigentums standen ganz oben auf der Agenda.
Aber die erwarteten westlichen Investoren hielten sich aufgrund der Sicherheitslage zurück. So konnten sich an der Privatisierung vor allen Dingen diejenigen bereichern, die nach dem Krieg vor Ort genügend Kapital zur Verfügung hatten, nämlich ethnonationalistische Gewaltunternehmer, deren wirtschaftlich-politisch-kriminelle Netzwerke heute für die verarmte Bevölkerung das einzige soziale Netz darstellen.
Auch wenn Sie das nicht hören wollen: So schafft man keinen Frieden, indem man soziale Strukturen zerstört und die Leute damit in die Arme der Nationalisten treibt.
Und auch in puncto Rechtsstaatlichkeit haben Sie schlichtweg versagt. Der Hohe Repräsentant setzt per Dekret Recht, und somit haben wir es mit einem EU-Protektorat zu tun, das alle Züge einer Kolonialverwaltung trägt.
- Es ist klar, dass Ihnen das nicht gefällt.
Die lokale Polizei wurde und wird von NATO und EU aufgebaut, ausgebildet und beaufsichtigt, und nach unabhängigen Angaben ist die Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina noch nie so schlecht auf diese Polizei zu sprechen gewesen wie im letzten Jahr. Auch das gehört zu Ihrer Bilanz.
Lassen Sie mich mit einem Appell schließen, auch wenn ich weiß, dass das bei Ihnen wahrscheinlich gar nichts nutzen wird: Ziehen Sie die Bundeswehr ab, deren Mission gescheitert ist! Kehren Sie zurück zur Politik! Lassen Sie Ihre imperialen Spielchen!
Achten Sie endlich wieder das Völkerrecht! Machen Sie Demokratie, Sozial- und Rechtsstaatlichkeit zur Maxime deutscher Außenpolitik, damit deutsche Außenpolitik Friedenspolitik werden kann!
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Marieluise Beck, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche von Ihnen wissen, dass ich seit 1992 mit dieser Region sehr verbunden bin. Solch ein Beitrag macht mich einfach fassungslos.
Frau Kollegin, es ist eine Tatsache: Die kroatische Stadt Vukovar wurde von der serbischen Armee überfallen, bevor Kroatien anerkannt worden war. Lesen Sie doch bitte ein bisschen in den Geschichtsbüchern.
Noch etwas: Srebrenica war keine Scheinwelt. Vielleicht sollte Ihre Fraktion einmal den Mut haben - das möchte ich Ihnen wirklich nahelegen - und nach Srebrenica fahren.
Fahren Sie einmal dorthin! Schauen Sie sich das an! Der Genozid in Srebrenica ist sogar gefilmt worden. Sie können sich die Dokumente anschauen. Man kann sogar General Mladic auf dem Gelände der ehemaligen Batteriefabrik in Potocari sehen, wo die Selektion der Männer und Jungen beginnt, die dann in die Wälder geführt worden sind, um dort ermordet zu werden.
Althea dient der Stabilisierung; es ist jetzt eigentlich ein Präventionseinsatz. Es geht um Prävention von Gewalt, was für UN-Missionen gut und richtig ist. Wir sollten jetzt weniger über Militär und mehr über Politik sprechen.
Der Kollege Mützenich hat schon gesagt, dass sich hier auch an uns die Frage richtet: Welche Perspektive geben wir dieser Region? Um diese Region nicht zu einem schwarzen Flecken innerhalb Europas werden zu lassen, braucht die Region die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft.
Wir alle wissen, dass dieser Passus in der Koalitionsvereinbarung ausgespart worden ist. Das offenbart, dass es diesbezüglich in der Regierung eine Differenz gibt und die CDU dieser Region diese Perspektive nicht aufzeigen will. Wenn der Fortschritt in dieser Region nicht mit dem Tempo kommt, das wir alle uns wünschen, hat das sehr viel damit zu tun, dass diese Perspektive nicht glaubwürdig und klar von uns und der Europäischen Union formuliert wird.
Die Dinge stehen nicht so gut, wie wir in diesem Hohen Haus das gerne sagen; darüber haben wir hier schon diskutiert, Herr Außenminister. Es wird häufig geschrieben, dass die zentrifugalen Kräfte in Bosnien eher zunehmen und bosnische Politiker sich mit nationalistischen Parolen und der Obstruktion von Reformen, die für die Schaffung eines Gesamtstaates erforderlich sind, profilieren können. Aber auch da haben wir eine Verantwortung. Wir haben mit dem Dayton-Abkommen eine Verfassung schreiben und unterschreiben lassen, in der die Zugehörigkeit zu einer Ethnie - man müsste eigentlich sagen: Religionsgruppe - Voraussetzung für den Zugang zu Ämtern ist. Der jetzige bosnische Außenminister kann nicht für das Staatspräsidium dieses Landes kandidieren, weil er sich keiner der Gruppen, die benannt worden sind, zuordnen kann. Junge Menschen, die aus einer kroatisch-bosnischen Ehe hervorgegangen sind, müssen sich einer sogenannten Ethnie zuordnen, bevor sie für das Amt des Repräsentanten dieses Staates kandidieren können. Das kann in Europa nicht sein.
Wenn wir über unsere Werte sprechen, muss uns klar sein, dass wir eine Bringschuld haben; denn so können wir dieses Land gar nicht in Europa aufnehmen. Unsere Aufgabe ist die Überwindung von Dayton. Das ist eine sehr große Aufgabe.
Man muss auch den Mut haben, sehr deutlich zu benennen, wo der Hauptstörenfried sitzt. Wir alle wissen es. Ministerpräsident Dodik kann schadlos das Entitätenveto nutzen. Er setzt dieses Veto ein, wenn es darum geht, diesen Staat zu bauen und endlich zentrale Institutionen einzurichten, um ihn überhaupt arbeitsfähig zu machen. Dann knickt auch noch der OHR ein bzw. muss einknicken, weil er keine Rückendeckung von den europäischen Staaten bekommt und immer mehr zur Lame Duck gemacht wird; das setzt sich durch die ganze Reihe der Hohen Repräsentanten fort. Auch das ist eine Verantwortung, die auf uns zeigt und nicht nur nach Bosnien selbst.
Die Menschen haben ein tiefes Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Das ist auch in Bosnien so. Ich sage noch einmal: Es ist nicht nachvollziehbar, dass ein kleines Land wie Serbien, das ja keinen großen Dschungel hat, nicht in der Lage ist, General Mladic auszuliefern. Wenn wir in dieser Region Frieden und Gerechtigkeit herbeiführen wollen - dabei geht es nicht um Strafe oder Rache, sondern nur um die Bennennung der Wahrheit -, muss mit großer Klarheit und Ernsthaftigkeit verlangt werden, dass General Mladic endlich in Den Haag landet.
Es darf nicht darauf gesetzt werden, dass uns eines Tages die biologische Lösung von dieser Forderung, die schwer durchzusetzen ist und Konflikte mit Serbien bedeutet, befreit.
Schönen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Brand, CDU/CSU-Fraktion.
Michael Brand (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst kann ich im Konsens mit der übergroßen Mehrheit hier im Hause nochmals festhalten, dass die EU-Mission Althea in Bosnien-Herzegowina eine notwendige Mission ist, deren Verlängerung wir als CDU/CSU aus voller Überzeugung zustimmen.
Als jemand, der dieses in der Tat geschundene Land seit 1995 - ganz offensichtlich im Vergleich zu Ihnen - immer wieder besucht hat, will ich eine klare Bemerkung in Richtung der Kritiker der Mission machen.
Dafür, dass dieses Land einem Aggressionskrieg und einem Völkermord ausgesetzt war, sind die vergangenen 14 Jahre seit dem Friedensabkommen von Dayton eine sehr kurze Zeit. Wir alle hier sollten uns bei mancher Ungeduld und manchem Kopfschütteln über einzelne Akteure vor Ort immer fragen: Wo wären wir, die Deutschen, 14 Jahre nach einem solchen Genozid, wenn wir zwar militärische Absicherung des Friedens, dabei aber keinen Marshallplan und keine zentrale Lage in Europa hätten?
Es ist wahr - das weiß ich aus vielen Gesprächen vor Ort -: Das Ausmaß der Korruption ist eine Geißel, die Bosnien-Herzegowina bei seiner Entwicklung hindert. Wahr ist auch: Nationalismus ist eine rhetorische Karte, die innerhalb Bosniens noch immer allzu oft sticht. Die Bosnier, insbesondere die Bosniaken, haben nicht Rache geübt an den Tätern - und es gab mehr als Srebrenica; dieser Ort ist nur das Fanal für andere Hunderte von Massakern, deren Tote noch immer nicht identifiziert sind. Wer der Lebenswirklichkeit und der Seelenlage der Bevölkerung nachspürt, der muss feststellen: Hunderttausende Überlebende dieses Genozids sind wirtschaftlich geschlagen und erfahren zu wenig Gerechtigkeit; das hat Kollegin Beck gerade eindrücklich formuliert. Diese Menschen sind nicht nur von vielen in der eigenen Führung enttäuscht. Sie hatten viel Hoffnung in Europa, aber sind meist mit der internationalen Gemeinschaft und auch mit manchem Lehrmeisterton schon lange nicht mehr einverstanden. Wer täglich erleben muss, dass Täter des Genozids - hier geht es nicht nur um den meistgesuchten aller Kriegsverbrecher, Herrn Mladic - bei Polizei und Verwaltung heute wieder oben sitzen, und das sogar in Srebrenica, der zweifelt an der Situation und verliert auch Energie für den Wiederaufbau. Wer sieht, dass die EU aktuell die auslaufenden Mandate internationaler Richter und Staatsanwälte nicht verlängern hilft, der wertet dies als fatales Signal beim Kampf gegen Korruption und bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insgesamt bleibt richtig: Wir müssen auf eine Zeit hinsteuern, die den OHR überflüssig macht. Allerdings heißt das auch: Wir müssen uns darauf gut vorbereiten. Wer manch eine Analyse über ?die da unten? und wir die internationale Gemeinschaft, liest oder davon hört, der darf sich über unsere Fehler, die gemacht worden sind, überhaupt nicht wundern. Zu viele faule waren unter den Kompromissen, und zu wenig wurde die Würde der Opfer dieses Genozids mitten in Europa beachtet, als es um konkrete Vorschläge ging. Ich spreche es offen an: Es ist an der Zeit, nicht nur andere zu tadeln, sondern auch die eigenen Fehler, die Fehler der internationalen Gemeinschaft, in den letzten zehn Jahren offen und ehrlich zu analysieren. Nach all den Kriegen der 90er-Jahre hat der Balkan - das gilt nicht nur für Bosnien - eine neue Ordnung gefunden, die zwingende Voraussetzung für dauerhafte Stabilität ist und das Risiko eines neuen Balkan-Krieges ein für alle Mal beenden soll. Deswegen sage ich: Die aktuellen Drohgebärden aus der Republika Srpska im Hinblick auf eine Abspaltung und die teils unverhohlene Sympathie für solch gefährliche Rhetorik widersprechen allen, wirklich allen europäischen Grundsätzen und bedeuten nicht weniger als eine akute Gefährdung der regionalen Stabilität.
Die Mission Althea schützt dieses Land auch vor denen, die innerhalb wie außerhalb den Appetit auf Teile Bosniens erkennbar nicht verloren haben. Deshalb muss festgehalten werden - Herr Mützenich, hier stimme ich Ihnen ausdrücklich zu und bin für Ihre Äußerung dankbar -: Das inzwischen demokratische, neue Serbien muss denen klar widersprechen, die wie Dodik und andere nur 15 Jahre nach dem Ende der Milosevic-Kriege schon wieder offen fabulieren, von Banja Luka bis Srebrenica Teile aus Bosnien herausschneiden zu wollen. Eines ist klar: Wer von Banja Luka in Bosnien bis Mitrovica in der Republik Kosovo zündelt, der spielt mit dem Feuer neuer Konflikte auf dem Balkan. Das dürfen wir nicht zulassen.
Wer glaubt, dass die radikalen Kräfte in Serbien, im Kosovo, in Mazedonien und anderswo nicht genau beobachten, wie die EU mit diesen Themen umgeht, der begeht einen gefährlichen Irrtum. Dieser Destabilisierung und Radikalisierung in Südosteuropa müssen wir mit Nachdruck entgegentreten. Eine zweite Runde von Balkan-Konflikten darf Europa nicht zulassen. Auch dies dokumentiert unser Engagement im Rahmen von Althea, KFOR, EULEX und anderen Missionen in Südosteuropa. Mit Entschlossenheit und Umsicht müssen wir im Interesse Bosniens endlich den Weg in die Post-Dayton-Ära beschreiten.
Ich stelle fest, dass mit Ausnahme einer Fraktion alle Fraktionen dieses Hauses formuliert haben, dass wir einen Prozess brauchen, der Dayton überwindet, der neue Akzente setzt. Dayton war wichtig, um den Krieg zu beenden. Er reicht aber nicht aus für die heutigen Realitäten und als Grundlage, um das Land zurückzugeben. Das müssen wir allerdings erreichen. Es muss uns gelingen, den Bosniern ihr Land in guter Weise und gut geordnet zurückzugeben. In Bosnien und auch auf unserer Seite ist noch einiges zu tun. Der neue deutsche Außenminister bedeutet auch hier eine Chance auf Verbesserung. Wir wünschen uns eine aktivere Rolle Deutschlands in Südosteuropa. Die CDU/CSU bietet jede gewünschte Hilfe in der Sache an.
Erlauben Sie mir, in dieser letzten Sitzung vor der Weihnachtspause an uns alle zu appellieren: Die Opfer des schlimmsten Genozids in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg haben es mehr als nur verdient, dass wir uns hier besondere Mühe geben. Wir wollen und werden alles unternehmen, um den Menschen in Bosnien den Weg in eine Zukunft in Würde und Wohlstand mitten in der Gemeinschaft EU-Europas mit zu ebnen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Fritz Rudolf Körper ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen einen kurzen Rückblick auf die griechische Mythologie werfen. Althea, die Namensgeberin dieser EU-Mission, ist die griechische Göttin der Heilkunst. Wer sich mit der Problematik von Bosnien-Herzegowina beschäftigt, wird wissen, dass Heilen und die Fähigkeit, zu versöhnen, dringend notwendig sind.
Dem Mythos nach wurde Althea von den Göttern erklärt, dass ihr Sohn sterben würde, sobald ein Stück Holz auf ihrem Feuer verbrannt ist. Althea nahm daraufhin das Holz vom Feuer, löschte es und legte es in einen Kasten, um das Leben ihres Sohnes zu bewahren. - Nach dem Löschen des Feuers in Bosnien-Herzegowina unterstützt die EU-Mission Althea jetzt das Heilen des Landes und seiner Bevölkerung. Anders als im Mythos soll das Holz nie wieder aus dem Kasten genommen werden, sondern für immer sicher verwahrt bleiben.
Ich habe diesen Rückgriff gewählt, um deutlich zu machen - das hat vorhin beispielsweise bei dem Beitrag von Frau Beck eine Rolle gespielt -, mit welch einer Problematik wir es in Bosnien-Herzegowina zu tun hatten und haben. Bei allen Unzulänglichkeiten der heutigen Situation können wir doch eines feststellen: Diese Mission, dieser Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft hat dem ethnisch motivierten Morden und Töten ein Ende machen können.
- Frau Beck, das ist eine andere Frage. Es war leider zu spät; aber wir haben dieses Ergebnis zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht, und das war gut so.
Durch die militärische Komponente dieser Mission, durch die militärische Präsenz ist es gelungen, Gewaltausbrüche der ehemaligen Konfliktparteien zu verhindern und die nationalen und die internationalen Akteure in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Europäische Union hat diese Stabilisierungsaufgabe vor fünf Jahren von der NATO übernommen. Die Sicherheitslage in Bosnien-Herzegowina ist zumindest etwas stabiler als vorher.
In diesem Zusammenhang will ich auch die europäische Polizeimission ansprechen, bei der sich die EU umorientiert mit der Konzentration auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Korruption sowie die Verbesserung der Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaften. Das ist ganz wichtig; denn wenn ein solches Land die Korruption nicht wirksam bekämpfen kann, hat es keine Chance.
Ich will zugeben: Es hat mich schon ein bisschen irritiert, dass, als Frau Beck die Forderung gestellt hat, dass Herr Mladic ausgeliefert wird und in Den Haag landet, dies nicht den Applaus des gesamten Hauses bekommen hat.
Versöhnung ist ganz wichtig. Wie kann man die ethnische Spaltung überwinden und Versöhnung herstellen? Wir sehen im Moment, dass die ethnische Problematik an jeder Stelle ungeheuer hinderlich ist, beispielsweise bei der Frage, wie der Staat vernünftig aufgebaut und organisiert werden kann. Bestimmte Funktionen und Stellen müssen dreifach besetzt werden - mit all der Problematik, die dies mit sich bringt. Deswegen ist es wichtig, dass wir zur Versöhnung der Ethnien in Bosnien-Herzegowina beitragen.
Ich will mit einem Beispiel schließen, das ein bisschen Hoffnung gibt. In der letzten Woche kam es zur Wiedereröffnung der direkten Bahnverbindung zwischen Belgrad und Sarajevo, nachdem diese Verbindung 18 Jahre gekappt war. Vielleicht ist das ein Symbol, ein Hoffnungsschimmer dafür, dass es zu dem notwendigen Ausgleich, dem notwendigen Versöhnungsprozess der betroffenen Ethnien auf dem Balkan in naher Zukunft kommt; denn nur dann wird es gelingen, dass der Balkan eine Zukunft hat. Das ist für die europäische Perspektive von großer Bedeutung.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Florian Hahn ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion.
Florian Hahn (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Als ich im Frühjahr 2002 in Sarajevo war, waren dort 1 600 deutsche Soldatinnen und Soldaten stationiert, 1 600 Soldaten in einer Stadt, in deren Zentrum neben den deutlich sichtbaren Zerstörungen des Krieges der Marktplatz mit jungen Menschen gefüllt war, die in der Frühlingssonne den ersten Kaffee des Jahres im Freien genossen haben - eine schöne mediterrane Atmosphäre. Doch unsere Delegation musste damals von Sicherheitskräften begleitet werden; denn die Sicherheitslage war extrem angespannt. Das war auch zu spüren, als wir nach dem Vorfall in Rajlovac unsere deutschen Soldatinnen und Soldaten besucht haben und sie einen Tag lang begleiten durften.
Heute, knapp acht Jahre danach, kann die militärische Sicherheitslage als grundsätzlich stabil eingestuft werden. Personenschutz ist größtenteils nicht mehr notwendig. Wir konnten unsere deutschen Sicherheitskräfte inzwischen auf 130 Soldatinnen und Soldaten reduzieren. Das bringt nur leider einige europäische Staaten zu der Annahme, dass wir unsere Truppen gänzlich abziehen könnten. Doch wie meine Vorredner schon erwähnt haben, ist die innenpolitische Lage weiterhin fragil. Bosnien und Herzegowina ist nach wie vor unser Sorgenkind Nummer eins auf dem Balkan, ein Sorgenkind inmitten Europas.
Die zivilgesellschaftlichen Probleme, die uns schon damals vor Augen geführt wurden, haben leider noch heute zum großen Teil Bestand. Die Lage kann sich schnell wieder ändern, wenn wir unsere Unterstützung verweigern. Wir alle kennen die Drohungen, die beispielsweise ein Herr Dodik ausgesprochen hat, wenn seine Bedingungen nicht erfüllt werden. Oft genug haben wir heute in diesem Hohen Hause über die nationalistischen Kräfte in Bosnien und Herzegowina diskutiert.
Unser Ziel ist, dass das europäische Land Bosnien und Herzegowina zu einem friedlichen, demokratischen Rechtsstaat in Europa wird. Ein Abzug unserer militärischen Kräfte würde den Menschen vor Ort signalisieren, dass wir, dass Europa kein Interesse mehr an ihnen hat, insbesondere vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten des Butmir-Prozesses. Ein Abzug würde die jahrelange Aufbauarbeit der Nachkriegsgesellschaft zunichte machen. Die reine Anwesenheit des Militärs ist für den zivilgesellschaftlichen Aufbau von immenser Wichtigkeit. Nehmen wir hier nur als Beispiel die Flüchtlingsrückkehrer, für die das subjektive Gefühl der militärischen Anwesenheit essenziell ist. Wir müssen Bosnien und Herzegowina unterstützen. Aber ich sage auch: Diese Unterstützung darf nicht nur geschenkt sein. Deshalb war es richtig, Bosnien und Herzegowina die Aufnahme in den Membership Action Plan der NATO zu verweigern. Auch die Bosnier müssen ihren Teil dazu beitragen und dürfen bei Beitrittgesuchen keine Rabatte bekommen.
Ich kann mir übrigens gut vorstellen, dass unsere militärischen und zivilen Aufbauhelfer in Bosnien und Herzegowina das Gefühl haben, von uns, von der deutschen Öffentlichkeit durch die Afghanistan-Diskussion vergessen zu werden, gerade auch durch den unverantwortlichen Klamauk, den die Opposition hier im Haus in den letzten Tagen veranstaltet hat.
Deshalb hier mein klares Statement: Wir wissen um die Leistungen, die unsere Landsleute dort erbringen. Ich möchte ihnen ganz herzlich dafür danken und wünsche ihnen für die zukünftigen Aufgaben Gottes Segen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche uns allen ein gesegnetes Weihnachtsfest.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf der Drucksache 17/275 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Althea. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 17/180 anzunehmen. Dazu ist eine namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses im Saal anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich hiermit die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir geben das Ergebnis der Abstimmung nach üblichem Verfahren während der nächsten Debattenrunde bekannt.
Wenn Sie bitte wieder, wo immer Sie mögen, aber jedenfalls Platz nehmen, können wir mit den weiteren Abstimmungen fortfahren.
Nachdem sich nun allmählich eine fast weihnachtliche Stille über den Plenarsaal legt, können wir die Abstimmungen fortsetzen mit der erneuten freundlichen Einladung, sie im Sitzen zu absolvieren, weil es höhere gesetzliche Anforderungen jedenfalls für den Abstimmungsvorgang nicht gibt.
Wir kommen zunächst zum Entschließungsantrag der SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/282. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/283. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Antrag hat keine Mehrheit gefunden.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines ? Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
- Drucksache 17/156 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Das ist offenkundig einvernehmlich. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Nachrichten, die wir von der Konferenz in Kopenhagen bekommen, stimmen, dann bestehen Chancen, dass wir doch noch zu einer Vereinbarung kommen und das 2-Grad-Ziel festschreiben. Ich glaube, ich spreche im Namen aller in diesem Hause, wenn ich denjenigen, die dort gerade verhandeln und guten Willens sind, den bestmöglichen Erfolg wünsche.
Es gibt aber schon ein anderes Ergebnis aus Kopenhagen, das leider nicht erfreulich ist, nämlich dass unter der Klimakanzlerin a. D., Frau Dr. Angela Merkel,
Deutschland die Führungsrolle im internationalen Klimaschutz abgegeben hat.
Deutschland, bisher international Vorreiter im Klimaschutz, ist vom Motor zum Bremser geworden, und die Welt hat gemerkt, dass man in Deutschland zwar vielleicht ambitionierte Ziele hat, aber bei der Umsetzung Anspruch und Wirklichkeit deutlich auseinanderklaffen.
Nirgendwo wird das deutlicher als im Energiesektor, der für über 40 Prozent der Emissionen, die aus Kraftwerken - ganz überwiegend aus Kohlekraftwerken - stammen, verantwortlich ist. Dieser Anteil der Emissionen nimmt in den letzten Jahren sowohl absolut als auch relativ immer weiter zu. Das ist erschreckend, wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen.
Wir müssen diese hohen Emissionen senken. Doch die Realpolitik sieht ganz anders aus. Wir müssen nur nach Nordrhein-Westfalen schauen. Parallel zur Konferenz in Kopenhagen schafft die dortige Landesregierung den Klimaschutz in der Landesplanung ab, als wollte sie beweisen, dass Deutschland die Vorreiterrolle abgeben will.
Wer die handelnden Personen in Nordrhein-Westfalen kennt, den überrascht das nicht. Dort spricht man inzwischen, wenn es um Klimaschutz geht, von George W. Rüttgers,
einem großen Protagonisten, der das Landesgesetz eigens ändert - die berühmte Lex Eon -, um ein vom Gericht gestopptes Kohlekraftwerk zu genehmigen.
Schlimmer als das, was in Nordrhein-Westfalen passiert, ist das, was der Bundesumweltminister zu diesem Thema sagt. Hier im Bundestag gibt er den Umweltphilosophen und redet von der ökologischen Erneuerung der Industriegesellschaft. In den Feuilletons lesen wir ähnliche Äußerungen. In der Realität aber begrüßt er - von der Konferenz in Kopenhagen aus - das, was in Nordrhein-Westfalen passiert. Daher befürchte ich Schlimmes für unser Land, was den Klimaschutz in den nächsten Jahren angeht.
Dass es auch ohne neue Kohlekraftwerke geht, haben schon die Meseberger Beschlüsse der Großen Koalition gezeigt. Danach sollen der Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020 bei 30 Prozent, der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung bei 25 Prozent und der Anteil der Stromeinsparung bei 11 Prozent liegen. Das macht insgesamt 66 Prozent. Das heißt, wir müssen nur noch ein Drittel der Energie aus dem vorhandenen Kraftwerkspark beziehen. Dazu brauchen wir kein einziges neues Kohlekraftwerk. Trotzdem sind in Deutschland nach wie vor 25 Kohlekraftwerksprojekte in Planung. Wir brauchen aber kein einziges, wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen.
Das Problem ist, dass die Genehmigungsbehörden zwar die Gestaltung des Kühlturms bestimmen können, dass aber CO2-Emissionen und Klimaschutz in den Genehmigungsverfahren überhaupt keine Rolle spielen. Das muss sich ändern, wenn wir bei unseren Klimaschutzzielen vorankommen wollen.
Diesen Missstand wollen wir ändern. Deshalb haben wir Ihnen unseren Gesetzentwurf zur Beratung vorgelegt. Wir wollen, dass neue Kraftwerke einen Mindestwirkungsgrad von 58 Prozent aufweisen müssen. Dieser wird nur von modernen GuD-Kraftwerken erreicht, die nur ein Drittel dessen emittieren, was ein neues Braunkohlekraftwerk emittiert. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt unseres Gesetzentwurfs ist: Wir wollen anstelle von reinen Kondensationskraftwerken, die nur Strom erzeugen, die hoch effiziente und dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung voranbringen, die Wirkungsgrade von über 90 Prozent haben kann und entsprechend geringe CO2-Emissionen aufweist. Es ist doch Irrsinn, wenn zum Beispiel rund um das Ruhrgebiet, einen der größten Ballungsräume Europas, ein Kranz von Kohlekraftwerken gebaut wird, die 60 Prozent der Energie nutzlos an die Umgebung abgeben, während in den Städten Millionen schlecht isolierter Wohnungen mit aus Russland teuer importiertem Erdgas beheizt werden. Das ist doch Unsinn.
Wir müssen Stromerzeugung und Wärmeproduktion zusammenbringen. Das wäre eine wirkliche Effizienzrevolution in der Energiewirtschaft. Aber dazu finde ich im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP kein Wort, keine Zeile, keine Silbe.
Wir wollen - das ist der dritte zentrale Punkt unseres Gesetzentwurfs -, dass mit angemessenen Übergangsfristen alte, völlig ineffiziente Kraftwerke entweder ertüchtigt werden und einen höheren Wirkungsgrad erreichen oder, wenn der Betreiber das nicht will oder nicht finanzieren möchte, stillgelegt werden. Denn die Entwicklung zeigt: Es werden neue Kohlekraftwerke gebaut, aber alte nicht stillgelegt. So kommen Emissionen obendrauf. Hier zeigt sich der Emissionshandel bisher leider als wirkungslos.
Das zeigt sich zum Beispiel im rheinischen Frimmersdorf bei Grevenbroich. Dort, im Rheinland, nicht in Polen oder Griechenland oder sonst wo, steht das schmutzigste Kraftwerk Europas, betrieben vom RWE-Konzern.
Es scheint sich offensichtlich für diesen Konzern zu lohnen, dieses schmutzige Kraftwerk trotz des Emissionshandels weiter zu betreiben, obwohl er neue Kraftwerke baut. Mit solchen Profiten muss Schluss sein. Es kann nicht sein, dass ein Konzern auf Kosten des Klimas Geld verdient.
Zum Schluss möchte ich noch meiner Freude Ausdruck geben, dass die SPD, die ich in Nordrhein-Westfalen immer als vehemente Befürworterin von Kohlekraftwerken erlebt habe, zumindest auf Bundesebene dabei ist, ihre Position zu ändern. Nicht anders kann ich eine dpa-Meldung vom 14. Dezember über den Kollegen Kelber interpretieren, der sich zu Kopenhagen und zur Lex Eon in Nordrhein-Westfalen geäußert hat. Er sagte - ich zitiere -:
Es ist das völlig falsche Signal, denn Deutschland wird mit neuen Kohle-Dreckschleudern international völlig unglaubwürdig.
Herr Kelber - er ist leider nicht hier -: Wo Sie recht haben, haben Sie recht.
Ich freue mich darauf, wenn Sie und vielleicht auch die Kollegen der anderen Seite des Hauses sich bei den weiteren Beratungen über diesen Gesetzentwurf Gedanken machen, damit wir vorankommen und damit wir Milliarden nicht in Kohlekraftwerke investieren, sondern in erneuerbare Energien, in Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz, in Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung und in Maßnahmen zur Energieeinsparung. Das braucht das Klima, und das braucht der Wirtschaftsstandort Deutschland.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Lieber Kollege Krischer, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Es war Ihnen deutlich anzumerken, dass Ihnen die Freude an der parlamentarischen Arbeit von Minute zu Minute zuwuchs.
- Ab der siebten besonders auffällig. -
Deswegen habe ich mich nicht getraut, Ihnen auch nur einen dezenten Hinweis darauf zu geben, was ab sofort gilt, nämlich die Redezeit, die die Fraktion für Sie angemeldet hat.
Ich möchte Ihnen nun das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Fortsetzung der Althea-Mission bekannt geben. Abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 497, mit Nein 66 Kolleginnen und Kollegen. Es gab 8 Enthaltungen. Damit ist die Beschlussempfehlung mit breiter Mehrheit angenommen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Paul für die CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege Paul, Sie haben das Wort.
Dr. Michael Paul (CDU/CSU):
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ?Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes?, so heißt es im Titel des Gesetzentwurfs der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den wir heute beraten. Das klingt harmlos, ist es aber nicht. Genau betrachtet müsste es heißen: ?Gesetz über den Ausstieg aus der Kohlenutzung in Deutschland?; denn genau darum geht es.
Die Grünen wollen praktisch den vollständigen Ausstieg aus der Kohlenutzung in Deutschland - und das innerhalb der nächsten elf Jahre, und zwar sowohl aus der Steinkohle als auch aus der Braunkohle. Dieser Gesetzentwurf bedeutet das Aus für neue Kohlekraftwerke, also auch für neue, hocheffiziente; denn die für solche neuen Kraftwerke im Gesetzentwurf vorgesehenen Mindestwirkungsgrade von 58 Prozent können Kohlekraftwerke zurzeit und auch in den nächsten Jahren technisch nicht erreichen. Es handelt sich also hierbei um ein Neubauverbot, das gefordert wird.
Es sind aber gerade die neuen Kraftwerke, die höchste Effizienz mit geringstem Schadstoffausstoß verbinden. Es kann doch nicht das Ziel einer Gesetzesänderung in diesem Hause sein, die Modernisierung des Kraftwerkparks in Deutschland zu verhindern. Lieber Kollege Krischer, das gilt auch für Nordrhein-Westfalen.
Dass sie das Neubauverbot wollen, haben die Grünen schon einmal deutlicher gesagt; diesmal haben sie diese Absicht jedoch sowohl in der Gesetzesbegründung als auch in ihrem ersten Wortbeitrag heute ziemlich versteckt. Bereits am 13. Mai dieses Jahres hat der Bundestag mit breiter Mehrheit einen Antrag der Grünen abgelehnt, der die Dinge eindeutig beim Namen nannte. Der Titel des Antrags von damals lautete: ?Neue Kohlekraftwerke verhindern - Genehmigungsrecht verschärfen?. Meine Damen und Herren, auch wenn man ?alte Kamellen?, wie man bei uns im Rheinland sagt, immer wieder hervorholt, werden sie dadurch nicht zum Dauerlutscher. Oder anders gesagt: Auch durch Wiederholung wird Unvernünftiges nicht vernünftig.
Wenn wir die weiteren Forderungen des Gesetzentwurfes wörtlich nehmen, hieße das, dass bereits in den nächsten sechs Jahren die bestehenden Kohlekraftwerke so umgerüstet werden müssten, dass sie einen Mindestwirkungsgrad von 38 Prozent bei Steinkohle und 36 Prozent bei Braunkohle erreichen. Ab Ende 2020 sollten es dann noch einmal 2 Prozentpunkte mehr sein. Auch Gaskraftwerke dürften dann nach dem Willen der Grünen einen Wirkungsgrad von 40 Prozent nicht unterschreiten. Diese Umrüstung ist aber in den allermeisten Fällen technisch nicht machbar. Ein sehr großer Teil der deutschen Kohlekraftwerke müsste damit spätestens Ende 2020 vom Netz gehen.
Darüber, dass dieses Gesetz wahrscheinlich verfassungswidrig ist, will ich heute gar nicht sprechen. Ein Hinweis sei aber gestattet: Wer bestehenden Anlagen, die eine unbefristete Betriebsgenehmigung haben, durch erdrosselnde Vorschriften den Garaus machen will, der setzt sich über rechtsstaatliche Prinzipien wie Verhältnismäßigkeit, Vertrauensschutz und Rechtssicherheit hinweg.
Wer für den Neubau von Anlagen so hohe Hürden setzt, dass keiner diese Hürden überwinden kann, der greift unzulässig in das durch das Grundgesetz aus gutem Grund geschützte Recht der freien Berufswahl ein.
Aber schauen wir noch einmal auf die Folgen, die dieses Gesetz in der Praxis hätte:
Erstens. Über 100 000 Arbeitsplätze in Deutschland im Bereich des Braun- und Steinkohlebergbaus und im Kraftwerksbereich würden vernichtet. Das wäre eine unmittelbare Folge dieses Gesetzes.
Zweitens. Die Sicherheit der Versorgung Deutschlands mit Energie würde massiv gefährdet. Wenn es nach den Grünen ginge, dann sollten wir ja aus der Kernenergie aussteigen - je schneller desto besser; so verstehe ich Sie jedenfalls immer. Aus der Kohle sollen wir auch aussteigen. Das zeigt Ihr heutiger Gesetzentwurf. Beides zusammen genommen bedeutet, dass ab dem Jahr 2020 fast die gesamte Grundlast, die heute zu rund 95 Prozent von Braunkohle und Kernenergie getragen wird, nicht mehr gesichert wäre. Das ist für eine Industrienation wie Deutschland verantwortungslos;
denn um die Stabilität des Netzes zu gewährleisten, sind in gleichmäßiger Verteilung Grundlastkraftwerke in Deutschland notwendig. Eine sich ansonsten ergebende erhebliche Schwankung der Stromfrequenz hätte fatale Auswirkungen bis hin zu regelmäßigen Zusammenbrüchen der Stromversorgung. Das können wir nicht ernsthaft riskieren.
Die Alternative wäre der massive Import von Strom. Import von Strom heißt aber nichts anderes, als dass die Emissionen exportiert und ins Ausland verlagert werden. Das kommt also auch nicht infrage, zumal eine zunehmende Abhängigkeit Deutschlands sowohl vom Strom- als auch vom Gasimport unsere Versorgung nicht sicherer, sondern immer unsicherer machen würde. Das können wir nicht ernsthaft wollen.
Drittens. Unser ehrgeiziges Klimaschutzziel - 40 Prozent Minderung der CO2-Emissionen in Deutschland gegenüber 1990 bis zum Jahr 2020 - können wir auch mit der Kohleverstromung erreichen. Das gilt übrigens für die gesamte Europäische Union, wie jüngst in einer Studie des Umweltbundesamtes vom September dieses Jahres gezeigt wurde, also in einer Studie von einer Institution, die sicher unverdächtig ist, eine glühende Kohlebefürworterin zu sein.
Viertens. Mit diesem Gesetz wäre auch ein möglicherweise ökologisch vorteilhafter Einsatz von Kohle in Verbindung mit der CO2-Abscheidung und Speicherung, also dem sogenannten CCS, unmöglich gemacht. Das kann ökologisch nicht vernünftig sein.
Fünftens. Ein deutscher Sonderweg raus aus der Kohle wäre international gesehen nicht mehr als ein ?Tröpfchen? auf den heißen Stein. Schließlich ist die Kohle der Energieträger, der global gesehen am längsten verfügbar sein wird. Darum ist eine intelligente Nutzung der Kohle erforderlich.
Sechstens. Der Strom würde deutlich teurer, wenn es so kommt, wie Sie wollen, meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen.
Wenn das Angebot verknappt wird, weil die Kohlekraftwerke vom Netz gehen, dann ist die Verteuerung eine notwendige Folge. Sie aber schweigen in Ihrem Gesetzentwurf wohlweislich zu den Auswirkungen auf die Preise, die private und gewerbliche Kunden künftig zahlen müssen. Dieses Schweigen spricht doch Bände.
Siebtens. Das Gesetz wäre in der Praxis schwer zu vollziehen. Einen Wirkungsgrad festzustellen, ist technisch deutlich anspruchsvoller, als beispielsweise einen Emissionswert zu messen. Notwendig sind aufwendige Messverfahren über längere Zeitreihen. Mehr Aufwand und höhere Kosten, auch das wäre eine Folge dieses Gesetzes.
Meine Damen und Herren, um die angestrebten CO2-Einsparungen zu erreichen, brauchen wir den ordnungsrechtlichen Ansatz der Grünen nicht. Wir haben bereits ein ökologisch wie ökonomisch wirkungsvolles Instrument: den Emissionshandel. Mit diesem marktwirtschaftlichen Instrument werden ja die ökologischen externen Kosten zumindest teilweise verursachergerecht internalisiert. Eine Beschränkung der Emissionen wird dabei durch das wirksamste ökonomische Instrument gewährleistet, das es gibt, nämlich durch die Wirtschaftlichkeit. Denn je höher die Effizienz und je niedriger der Emissionsausstoß, desto geringere Kosten entstehen für die am Emissionshandel teilnehmenden Unternehmen.
Der Emissionshandel gibt einen sinnvollen Anreiz zum Einsatz von Spitzentechnologie. Er schafft eine Balance zwischen Versorgungssicherheit einerseits und Klimaschutz andererseits, da die Emissionsrechte stetig verringert werden.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zu der von den Grünen geforderten Streichung des § 5 Abs. 1 Satz 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Dort werden Anlagen von der Pflicht ausgenommen, Energie effizient zu verwenden, wenn sie am Emissionshandel teilnehmen. Über die Frage der Notwendigkeit dieser Vorschrift können wir uns gerne unterhalten. Aber es ist doch mehr als bemerkenswert, dass diese Vorschrift gerade auf Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD im Jahre 2004 in das Bundes-Immissionsschutzgesetz hineingebracht wurde. Ausgerechnet diese Grünen verlangen jetzt die Streichung der von ihnen selbst mit verursachten Vorschrift. Sehr bemerkenswert!
Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Da der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen die Versorgungssicherheit gefährdet und weder ökologisch noch ökonomisch vorteilhaft ist und weil wir mit dem Emissionshandel einen effizienten Lenkungsmechanismus haben, wird die CDU/CSU-Fraktion dieses Vorhaben ablehnen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Auch Ihnen, Herr Kollege Paul, herzliche Gratulation zur ersten Rede im Deutschen Bundestag und weiterhin viel Erfolg bei der parlamentarischen Arbeit.
Ute Vogt ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
Ute Vogt (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Krischer, ein Teil der Freude über die SPD ist sicherlich berechtigt; denn in der Tat stimmen wir mit der Zielsetzung überein, dass wir die Effizienz von Kohlekraftwerken steigern müssen. Wir können durchaus darüber reden, dass der Mindestwirkungsgrad auch bei einer Genehmigung für den Neubau ein geeignetes Instrument sein kann.
Allerdings bedeutet die Vorgabe von 58 Prozent Wirkungsgrad - das hat auch der Kollege Paul schon dargestellt - faktisch ein Verbot des Neubaus von Kohlekraftwerken. Auch wenn wir darin übereinstimmen, dass wir langfristig nicht darum herumkommen, fossile Energieträger durch erneuerbare Energien zu ersetzen, so gibt es doch auch Argumente, warum wir im Moment auf den Neubau nicht vollständig verzichten sollten.
Wir brauchen dringend einen Ersatz für Altanlagen; wir brauchen eine Erneuerung des Kohlekraftwerkparks. Die Kohlekraftwerke der 50er- und 60er-Jahre müssen vom Netz. An dieser Stelle muss es Ersatzinvestitionen geben. Diese wären nicht möglich, wenn man mit der Vorgabe eines elektrischen Mindestwirkungsgrades in Höhe von 58 Prozent den Neubau von Kohlekraftwerken komplett verhindern würde. Die alten Dreckschleudern - diese Kraftwerke hat der Kollege Kelber gemeint - müssen vom Netz. Für diese muss Ersatz geschaffen werden.
Wir müssen auch ernsthaft darüber diskutieren, ob wir mit einem Quasiverbot für Neubauten unser gemeinsames Ziel einer Dezentralisierung der Energieversorgung nicht ein wenig aus den Augen verlieren würden. Denn ein Verzicht auf jeglichen Neubau würde bedeuten, dass wir die Monopolstellung, die heute die großen Energieversorger haben, festigen. Wir würden damit den kleineren kommunalen Erzeugern wie beispielsweise den Stadtwerken überhaupt keine Chance geben, den Anschluss zu finden.
Wir sollten diesen Antrag zum Anlass nehmen, die notwendigen Debatten zu führen. Wir sind dabei, wenn es darum geht, das Genehmigungsrecht anzupassen. Priorität muss das Ersetzen von alten Kohlekraftwerken durch diejenigen Kraftwerke haben, die auf eine effiziente Energieerzeugung durch Kraft-Wärme-Kopplung setzen. Das ist bei einem Kohlekraftwerk der neuen Generation durchaus möglich.
Wir würden gerne den Weg beschreiten, eine untere Abschneidegrenze für alte Kraftwerke einzuführen. Dies halten wir ebenso für sinnvoll wie einen Mindestwirkungsgrad für neue Kraftwerke. Allerdings müssen wir über die Höhe der Wirkungsgrade und über die Frage, wie hoch die Untergrenze sein soll, noch trefflich diskutieren. Mit Sicherheit werden wir über einige Punkte streiten. Die Zielrichtung ist klar. Zur Klärung der Frage, ob Ihre vorgeschlagenen Maßnahmen die richtigen sind, um das Ziel zu erreichen, bedarf es noch einer ausführlichen Debatte.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Michael Kauch erhält nun das Wort für die FDP-Fraktion.
Michael Kauch (FDP):
Meine Damen und Herren! Wir Liberale wollen langfristig heraus aus den fossilen Kraftwerken und hin zu einer Versorgung mit erneuerbaren Energien. Aber so, wie die Grünen das hier vorschlagen, so läuft das eben nicht.
Der Gesetzentwurf zeigt deutlich: Die Grünen haben die Wirkung des Emissionshandels überhaupt nicht verstanden. Sie tun so, als hätten wir überhaupt keine europäische Gesetzgebung. Der Emissionshandel begrenzt nämlich gerade die Obergrenze der CO2-Emissionen. Unter diesem Deckel können Sie mit Ordnungsrecht machen, was Sie wollen: Sie werden keine einzige Tonne CO2 einsparen; denn jede Tonne CO2, die ein abgeschaltetes Kohlekraftwerk nicht emittiert, wird von anderen Nachfragern bei dann sinkenden Zertifikatepreisen sozusagen aufgekauft.
Sie haben ökonomisch überhaupt nicht verstanden, wie das hier umweltpolitisch läuft. Sie machen es aus dem Bauch heraus und haben ein gutes Gefühl. Sie sagen, die bösen Konzerne müssten die Kohlekraftwerke abschalten. Aber so werden Sie die Umwelt nicht retten. Das ist reine Symbolpolitik.
Nur für die Zeit nach 2020, also für die Zeit, für die wir noch keine EU-rechtliche Regelung haben, ist es überhaupt von Bedeutung, was hier vorgeschlagen wird. Die Frage der Energieeffizienz wird es uns ermöglichen, ab 2020 ein geringeres Cap EU-weit festzulegen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Kauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?
Michael Kauch (FDP):
Sehr gerne.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte sehr.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Kauch, es ist erfreulich, festzustellen, dass die FDP offensichtlich eine ganz neue Energiepolitik auf den Weg bringen will. Statt einen Energiemix aus Atom, Kohle, Erdöl, Erdgas und erneuerbaren Energien anzustreben, sei das langfristige Ziel der Freien Demokraten, wie Sie gerade betont haben, zu 100 Prozent erneuerbare Energien einzuführen. Das ist erfreulich. Aber es widerspricht Ihren eigenen Aussagen. Sie haben im Sinne der sogenannten Carbon-Leakage-Theorie behauptet, dass dann, wenn wir beim Neubau von Kohlekraftwerken nicht vorangingen, an anderer Stelle Emissionen stattfinden würden. Damit übersehen Sie, dass der Ausbau erneuerbarer Energien auch in anderen Ländern bereits in einer solchen Geschwindigkeit erfolgt, dass dort schon konventionelle Kraftwerke ersetzt werden. Aufgrund der Geschwindigkeit des Ausbaus der erneuerbaren Energien ist diese Theorie nicht mehr haltbar. Wir können das in China oder auch anderswo erkennen.
Deswegen frage ich Sie, ob die Carbon-Leakage-Theorie wirklich haltbar ist. Diese Theorie ist nämlich nur deswegen in die Welt gesetzt worden, um den Anschein zu erwecken, erneuerbare Energien könnten nicht schnell genug wachsen. Sie tun es aber. Sie können damit auch in anderen Ländern ohne den Neubau von Kohlekraftwerken und Weiterem eine Vermeidung von Emissionen in großem Stil bewirken.
Michael Kauch (FDP):
Lieber Kollege Fell, wir sind uns einig, dass die erneuerbaren Energien mehr können, als man ihnen in der Vergangenheit zugetraut hat. Eines ist aber klar: Solange wir bei den Speichertechnologien nicht so vorankommen, dass wir auch aus Quellen mit einem schwankenden Energieangebot eine durchgängig stetige Versorgung erreichen können, so lange wird es in der Übergangsphase weiterhin nötig sein, mit Brückentechnologien zu arbeiten. Eine Brückentechnologie kann die Kernkraft und vor allem auch die Kohletechnologie sein. Wir unterscheiden uns, glaube ich, in der Einschätzung dessen, wie schnell man bei den erneuerbaren Energien die Speicherbarkeit und eine vollständige Netzintegration tatsächlich hinbekommt.
Meine Damen und Herren, entscheidend für die Frage, ob Kohlekraftwerke klimaverträglich sind, ist, wie hoch die Begrenzung durch den Deckel ist, den der Emissionshandel setzt. Sie können nicht sagen, der Emissionshandel habe bisher nicht gewirkt; das haben Sie ja gesagt. Er hat deshalb nicht gewirkt, weil Ihr damaliger Umweltminister, Herr Trittin, in der ersten Handelsphase die Obergrenzen so hoch gesetzt hat, dass er, wenn ich es richtig im Kopf habe, 4 Millionen Tonnen CO2 eingespart hat.
So können Sie natürlich auch keine Einspareffekte erzielen.
Ab 2013 wird es eine klare Absenkung des Deckels geben. Dies ist eine klare Klimaschutzmaßnahme mit einem Anreiz für eine neue Energieversorgungsstruktur.
Im Übrigen, der vorliegende Gesetzentwurf ist scheinheilig.
Angeblich sollen Kohlekraftwerke effizienter gemacht werden. Aber eigentlich ist das ein Gesetz zur Verhinderung von Kohlekraftwerken und - schlimmer noch - ein Gesetz zur Förderung von Gaskraftwerken. Genau das wollen die Grünen, ohne dass sie es hier sagen.
Die Grenzwerte sind mit einem Wirkungsgrad von 58 Prozent so hoch, dass selbst moderne Kohlekraftwerke dies nicht leisten können. Man findet eine entlarvende Formulierung in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes. Dort steht nämlich:
Moderne Gaskraftwerke können diesen elektrischen Wirkungsgrad erreichen. Soweit daraus folgt, dass der Neubau von Kohlekraftwerken nicht möglich ist, ist dies zum Schutz der Umwelt ... notwendig.
Das heißt doch in Wahrheit, Sie wissen, dass es einen Restbedarf an Strom gibt. Auch bei einem forcierten Ausbau erneuerbarer Energien ist in den nächsten Jahrzehnten eine grundlastfähige Versorgung sicherzustellen. Sie entscheiden sich mit diesem Gesetzentwurf klar gegen die Kohle und für Gas. Das kann man vielleicht aus der monokausalen Sicht, dass es um Klimaschutz geht, begründen. Aber im Rahmen der Energiepolitik gilt auch, das Ziel der Versorgungssicherheit zu sichern. In Wahrheit ist das, was Sie hier machen und nicht öffentlich sagen, eine Strategie pro Gas, eine Strategie für mehr Abhängigkeit von Russland und von Turkmenistan
sowie für mehr Abhängigkeit von durchleitenden Ländern wie der Ukraine. Da freut sich vor allen Dingen einer, nämlich Herr Putin, dessen Lobbyist Sie hier im Deutschen Bundestag sind.
Das verwundert aber überhaupt nicht; denn Ihr ehemaliger Außenminister, Herr Joschka Fischer, ist jetzt Gaslobbyist, Lobbyist für die Nabucco-Pipeline und die Wirtschaftsinteressen des Kaukasus.
Mit dieser Strategie machen Sie Deutschland abhängig und erpressbar; Sie gefährden die außenpolitische Unabhängigkeit unseres Landes.
Weil Russland das Gas exportiert, anstatt es selbst zu nutzen, werden dort die dreckigsten Kohlekraftwerke weiterbetrieben, im Übrigen auch Kernkraftwerke, die Sie hier abschalten wollen.
Sie machen hier also eine Milchmädchenrechnung auf. Es ist ein Nullsummenspiel für den Klimaschutz und eine Katastrophe für die Versorgungssicherheit unseres Landes.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke.
Dorothée Menzner (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Blindheit der bundesdeutschen Genehmigungsgesetze in Bezug auf Klima- und Ressourcenschutz ist schon enorm. Werden bei einem geplanten Kohlekraftwerk die Grenzwerte des Bundes-Immissionsschutzgesetzes eingehalten, so hat der Betreiber in der Regel Anspruch auf Genehmigung, selbst wenn die Bürger, die Politik und die Behörden das eigentlich gar nicht wollen. Bündnis 90/Die Grünen mussten das in Hamburg-Moorburg leidvoll erfahren. Wenn der außerparlamentarische Widerstand in Berlin-Lichtenberg nicht ausgereicht hätte, um das Vattenfall-Projekt der Errichtung eines Steinkohlekraftwerks zu kippen, wäre es uns von der Linken nicht anders ergangen.
Es gibt also quasi einen Zwang, solche Dreckschleudern zu genehmigen, wenn planungsrechtliche Auflagen erfüllt sind. Dieser Zwang besteht, weil für CO2 keine Grenzwerte gesetzt sind. Das ist der Fall in einem Land, in dem man, wenn man in einem reinen Wohngebiet einen Kindergarten errichten will, aufwendigste Gutachten beibringen muss, um nachzuweisen, dass die Emission, in diesem Fall die Lärmemission, nicht zu hoch ist. Was aber bei einem solchen Kraftwerk aus dem Schornstein kommt und wie effizient der Rohstoff eingesetzt wird, hat überhaupt keine Auswirkung auf die Genehmigungsfähigkeit. Das ist der Fall, weil CO2 bisher nicht als Schadstoff eingestuft ist, anders als zum Beispiel Schwefeldioxid, Stickoxide oder Schwermetalle.
Jetzt könnte man einwenden - das Argument kam eben -, die Kraftwerke unterlägen doch dem Emissionshandel, der einen Grenzwert setze. Das ist aber ein ziemlich zahnloses Argument; ich werde das gleich weiter ausführen. In Anbetracht der Debatten, die wir im Moment führen, der Konferenz in Kopenhagen und der gesamtgesellschaftlichen Debatten halte ich die Ausnahmen für CO2 für ziemlich unfassbar.
Es stellt sich schon die Frage, wieso es überhaupt Ausnahmen für CO2 gibt. Wir alle wissen um die Schädlichkeit von CO2. Schäden treten aber nicht unbedingt am Ort des Entstehens auf, sondern an irgendeinem Ort, unter Umständen weit entfernt, wo die Folgen der Klimaerwärmung - Dürre, Tod und Zerstörung - zu spüren sind. Kann es sein, dass wir uns diese Ausnahme im Bundes-Immissionsschutzgesetz noch leisten, weil die Folgen nicht bei uns vor der Haustür zu spüren sind?
Vorletzte Woche hat die nationale Umweltbehörde der Vereinigten Staaten von Amerika CO2 als gesundheitsschädlich eingestuft. Die Chefin der dortigen Umweltbehörde hält dies für einen Schritt, den Treibhauseffekt nachhaltig und pragmatisch zu bekämpfen. Ich finde, sie hat recht. Damit wird in den USA etwas möglich, das bei uns bisher nicht möglich ist: Die Höhe des CO2-Ausstoßes einer Anlage sowie ihre Effizienz können die Grundlage der Entscheidung in einem Genehmigungsverfahren, zum Beispiel bei der Genehmigung eines Kraftwerkes, bilden. Der Gesetzentwurf der Grünen fordert etwas Vergleichbares. Wir unterstützen das.
Wir haben eben die Einwände von Herrn Dr. Paul und von Herrn Kauch gehört: Wir hätten doch den Emissionshandel; damit sei doch alles wunderbar geregelt. Aber wenn das tatsächlich so wäre, dann müsste der Gesetzentwurf gar nicht sein.
Der Emissionshandel funktioniert nicht. Das will ich an einigen Beispielen deutlich machen. Eben wurde schon darauf hingewiesen, dass es Emissionsgutschriften gibt, die gegen Projekte in der Dritten Welt aufgerechnet werden. Wir wissen alle, dass ungefähr ein Drittel dieser Aufrechnungen nicht funktioniert und dass eine Menge gemauschelt wird. Die Einsparung ist also nicht real.
Weil die Emissionsrechte noch bis 2012 verschenkt werden, schaffen wir keinen Anreiz für die Energieunternehmen, sparsam zu sein. Die Zertifikate wurden reichlich ausgegeben, und man hat derzeit noch keinen Lenkungseffekt. Man kann nur hoffen, dass das eines Tages anders ist.
Wir werden in der laufenden Handelsperiode 2008 bis 2012 ungefähr 400 Millionen Tonnen CO2 übrig haben. Sie sind in die nächste Handelsperiode übertragbar. Von daher werden wir auch in näherer Zukunft, in der nächsten Handelsperiode, keinen Lenkungseffekt haben.
Wir alle wissen, dass die Zeit davonläuft. Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Jedes neu genehmigte Kraftwerk hat eine voraussichtliche Laufzeit von 40 bis 50 Jahren. Die Entscheidung, die wir heute fällen, bedeutet also einen höheren Ausstoß, auch in Zukunft.
Deswegen: Einigen wir uns auf Mindestwirkungsgrade, gerade beim Neubau fossiler Kraftwerke. Nur so können wir die Klimasünden verringern.
Eröffnen wir Räume für einen zukunftsfähigen Strommix aus erneuerbaren Energien und auch Gaskraftwerken, die deutlich schneller regelbar sind und besser zu erneuerbaren Energien passen. Die ganze Diskussion über die Grundlast ist fehl am Platz.
Wir brauchen eine juristische Handhabe, um den Bau von extrem klimaschädlichen und ineffizienten Kraftwerken verhindern zu können. Diesen Ansatz verfolgt der Gesetzentwurf der Grünen. Diesen Ansatz unterstützt Die Linke.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! In der Tat ist es so, dass man im Umweltrecht ambitionierte Standards setzen muss. Insofern ist es legitim, über die Frage nachzudenken, welche Wirkungsgrade Kohlekraftwerke in Zukunft haben können und müssen. Dabei spielt die Erreichbarkeit die entscheidende Rolle. Dazu haben der Kollege Paul und der Kollege Kauch das Notwendige gesagt: Ihnen geht es in der Tat um den deutschen Komplettausstieg aus der Nutzung der Kohle.
Wenn man sich das vornimmt, dann darf man aber keinen Schaufenstergesetzentwurf vorlegen.
Was Sie zu den Bestandsanlagen schreiben, ist ziemlich entlarvend; denn Sie scheinen nicht davon auszugehen, dass Ihr Vorschlag zum Tragen kommt. Es geht zuerst um die ernsthafte Frage, wie die Übergangsfristen gestaltet werden müssten.
Es ist spannend, dass zwei verschiedene Termine in Ihrem Gesetzentwurf stehen. Offenbar hat sich der Verfasser des Gesetzentwurfs plötzlich besonnen. In der Begründung sprechen Sie von der ersten Stufe zum 1. Januar 2012, und im Gesetzestext schreiben Sie dann plötzlich 31. Dezember 2015. Jemandem ist es offenbar aufgefallen, dass man das so kurzfristig nicht machen kann.
Es ist dem Verfasser auch aufgefallen, dass es ein verfassungsrechtliches Problem gäbe. Das hat er geschickt umschifft, und zwar in der Weise, dass er über Art. 14 GG - Schutz des Eigentums - im Zusammenhang mit Neuanlagen philosophiert, der aber gar nicht einschlägig ist. Bei Bestandsanlagen aber lässt er ihn faktisch weg. Sie wissen genau, dass man das so kalt, wie Sie das machen wollen, wenn es denn so käme, nicht machen kann. Deshalb sage ich noch einmal: Das ist ein Schaufenstergesetzentwurf.
- Reden Sie nicht dazwischen.
Das ist wie immer bei Ihren Ausstiegsforderungen. Solange Sie in der Opposition sind, fordern Sie den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie. Aber wenn man in der Regierung ist, dann ist dies plötzlich unverantwortbar, und die Laufzeiten werden um 20 Jahre und mehr verlängert. Bei diesem Thema machen Sie es genauso. Sie waren sieben Jahre in der Regierung.
Wo bitte war da Ihre Forderung nach einem Ausstieg aus der Kohlekraft? Die gab es nicht. Aber kaum dass Sie in der Opposition sind, sagen Sie, dass wir die Kohle überhaupt nicht brauchen und 100 Prozent erneuerbare Energien realistisch sind. Meine Damen und Herren, ein bisschen Realitätsbezug braucht man schon!
- Bestreiten Sie doch bitte nicht das, was Sie selber in Ihrem Gesetzentwurf formuliert haben.
Immerhin sind Sie, wie man Ihnen schon vorhin anhand des Textes deutlich gemacht hat, bei den Neuanlagen sehr ehrlich. Laut Ihrem Gesetzentwurf gibt es, wenn das mit dem Wirkungsgrad von 58 Prozent nicht funktioniert, keine Neuanlagen. Das weist natürlich den Weg zum Gas. Ich gehe noch einen Schritt weiter als Herr Kollege Kauch vorhin: Das wird infolge der Entwicklung auf den Gasmärkten nicht nur dazu führen, dass woanders alte Kohlekraftwerke am Netz bleiben, sondern dass es eine Gegenbewegung gibt. Die Tatsache, dass Gas bei uns in Deutschland- in Verbindung mit dem Emissionshandel auch in Europa - teurer wird, wird dazu führen, dass Lieferantenländer wie zum Beispiel Russland Kohlekraftwerke bauen werden.
Ich frage mich, ob man eine gesicherte Energieversorgung in Deutschland wirklich aufs Spiel setzen muss, um am Ende nur die Emissionen von A nach B zu verschieben.
Im Übrigen findet sich in dem Gesetzentwurf der Grünen kein Wort zu CCS. Sie wissen genau, dass man nicht beides kann, nämlich auf der einen Seite die Wirkungsgrade erhöhen und CO2-Abscheidung und -Speicherung betreiben.
- Nein, ich lasse an dieser Stelle keine Zwischenfragen zu. - Sie wissen genau, dass man nicht beides kann: Wirkungsgrade steigern und CCS betreiben. Von einem zukunftsweisenden Gesetzentwurf hätte ich erwartet, dass zu diesem Thema darin Stellung genommen wird.
Ganz vorne in Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie wieder etwas über die Theorie, die mich immer ganz besonders ärgert, dass nämlich eine teilweise Aufrechterhaltung der konventionellen Energieversorgung die Entwicklung der erneuerbaren Energien behindert. Das ist objektiv falsch. Es gibt einen Einspeisevorrang, der im EEG formuliert ist. Die neue Regierung wird an diesem Einspeisevorrang nicht rütteln. Deshalb ist Ihre Behauptung, dass das eine das andere behindert, widerlegt.
Wir stehen dazu, dass wir unseren Beitrag dazu leisten werden, die erneuerbaren Energien nach Kräften auszubauen und zu fördern. Wir als Union wollen einen dynamischen Energiemix, bei dem der Anteil der erneuerbaren Energien mit Blick auf Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Klimaschutz aufwächst und der Anteil der konventionellen Energieversorgung in gleichem Maße abnimmt. Das halte ich für ganz entscheidend. Es geht darum, sicherzustellen, dass wir keine Energielücke bekommen und dass der Weg in eine dezentrale Energieversorgung, den auch wir wollen, so verläuft, dass die Wirtschaft in diesem Land keinen Schaden nimmt.
Denn beim Klimaschutz können wir nicht ausschließlich in Deutschland etwas bewegen. Es wird darauf ankommen, dass wir den Schwellenländern und anderen Ländern zeigen, dass man beides kann: das Klima schonen und wirtschaftlich vorankommen. Mit dem, was Sie vorschlagen, nämlich schlagartig und schockartig in die Wirtschaft einzugreifen, werden wir das nicht hinbekommen. Der Weg, den die Union in der Energiepolitik einschlägt, ist der realistischere und deshalb auch der bessere.
Vielen herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Steiner.
Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich hätte verschiedene Anmerkungen zu machen zu fachlichen Unrichtigkeiten, die hier geäußert worden sind, zum Beispiel vom Kollegen Kauch. Aber ich kann es mir nicht verkneifen, die Ausführungen des Kollegen Nüßlein in Bezug auf CCS und CO2-Speicherung zu korrigieren.
Zur ersten Unrichtigkeit. Wenn Sie über Wirkungsgrade und Klimaschutz reden, sollten Sie immer bedenken, dass CCS den Wirkungsgrad der Kohlekraftwerke erheblich senkt und deswegen eigentlich sogar ein größeres Problem ist, weil mehr Energie erzeugt werden muss, um Strom abgeben zu können.
Zur zweiten Unrichtigkeit. Aus Gesprächen mit Vertretern der Betreiber, der Energieversorger oder der Forschungsinstitute wissen Sie doch alle, dass diese sagen: Vor 2020 bekommen wir das überhaupt nicht hin. Sie bauen die neuen Kohlekraftwerke aber jetzt. 2010 bzw. 2012 sollen sie ans Netz gehen, und zwar ohne CCS, weil das gar nicht umsetzbar ist, von den Problemen der Speicherung ganz abgesehen.
Deswegen ist es Augenwischerei, wenn man mit CCS argumentiert. Das ist nur ein Feigenblatt, das helfen soll, die Errichtung neuer Kohlekraftwerke durchzusetzen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zur Erwiderung Herr Kollege Nüßlein.
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Liebe Kollegin, ich sage das ungern, insbesondere in einer Sitzung kurz vor Weihnachten: Sie haben mir bei diesem Thema entweder nicht zugehört, oder Sie konnten mir nicht folgen.
Ich habe gesagt, dass durch CCS die Wirkungsgrade sinken. Wenn Sie einen Gesetzentwurf zu den elektrischen Wirkungsgraden beim Thema Kohle vorlegen, ist es natürlich notwendig, dass man auf dieses Thema eingeht. Dann muss man auch formulieren, was man machen würde, wenn CCS relevant würde. Wir alle wissen nicht, ob diese Technologie aufgrund ökonomischer oder technischer Fragen überhaupt einmal zum Tragen kommt. Was die Machbarkeit angeht, bin ich absolut ehrlich. Aber man muss so etwas natürlich berücksichtigen, und man kann nicht sagen, was Sie machen: Bei dieser Gelegenheit kann man eine neue Technologie verhindern, nämlich CCS; das ist dann auch gleich vom Tisch. Das wäre Tabula rasa auf ganzer Linie. Das ist nicht das, was wir wollen. Wir wollen sehr wohl die Option haben, Kohle klimaschonend zu nutzen.
Warum wollen wir das? Auch das kann ich Ihnen sagen: Schlicht und einfach, weil Kohle in anderen Ländern weiterhin benutzt wird. Ich sehe uns in der Pflicht, die Technologien dafür zu liefern. Herr Kollege Fell, in Indien oder China wird man sich nicht nach den deutschen Grünen richten, überhaupt nicht. Ich sehe uns in der Pflicht, dass wir die entsprechenden Technologien schaffen und entwickeln. Das wollen wir tun. Deswegen ist eine technologiefreundliche, eine technologieoffene Energiepolitik das, was Sie von der neuen Regierung erwarten können.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dirk Becker für die SPD-Fraktion.
Dirk Becker (SPD):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Krischer, Ihr Auftritt war in der Tat sehr dynamisch. Ich denke, der von Ihnen genannte Grund für Ihren Gesetzentwurf ist ein richtiger und wichtiger: die Effizienzsteigerung in der konventionellen Energiewirtschaft. Heute beziehen Sie sich auf den Bereich des Stroms. Ich will das auf andere Bereiche ausdehnen: auf den Wärmebereich, auf die Frage, wie wir künftig mit Öl umgehen, aber auch auf die effizientere Verwertung der Biomasse; auch darüber müssen wir in Zukunft diskutieren. Ich glaube, dass die Frage der Effizienzpotenziale die Debatte der nächsten Jahre bestimmen wird. Das ist eine wichtige Aufgabe. Wir liegen hinter dem zurück, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben.
Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf konzentrieren Sie sich auf den Bereich der Stromversorgung. Ich sage: Ja, es ist so, dass die Kohleverstromung - das gilt insbesondere für Braunkohle - sehr CO2-intensiv ist. Von daher ist die Frage, wie lange und wie wir Kohleverstromung betreiben, nicht nur von der Ressourcenverfügbarkeit abhängig, sondern auch von der Verantwortung für das Klima. Da sind wir eng beieinander.
Wir haben ja, weil wir da beieinander und weil wir gemeinsam gegen die Kernenergie sind, unter Rot-Grün beschlossen, eine energiepolitische Wende, eine ökologische Energiewende mit dem EEG einzuleiten. Das ist aus dem Parlament, aus diesen Fraktionen gekommen. Anders als Sie - auch in Zeiten der Großen Koalition - befürchtet haben, ist dieses EEG nicht nur geschützt, sondern sogar weiterentwickelt worden. So stehen wir heute vor einer Prognose des Bundesverbandes Erneuerbare Energie, der sagt: Wir können 47 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien bis 2020 schaffen. Ich sage an dieser Stelle: Wir sind froh und stolz darauf, dass wir das mit unserer Politik möglich gemacht haben.
Aber so sehr wir uns über diese positiven Aspekte freuen, bleibt die Frage nach dem Rest. Daran entfacht sich immer wieder der politische Streit. Wir bleiben dabei: Kernenergie ist nicht unsere Lösung zur Deckung dieses Rests. Wir halten Kernenergie nach wie vor für eine Risikotechnologie und schließen sie damit aus. Wenn man das aber so wie Sie macht, bleiben nur Kohle und Gas. Die Frage ist zu stellen, wie wir den restlichen Strombedarf so effizient und so verträglich wie möglich und entsprechend der Versorgungssicherheit zur Verfügung stellen können.
Dies darf nicht passieren - da bin ich bei Ihnen -, indem alte ineffiziente Anlagen einfach weiterlaufen. Wir müssen alte Anlagen entweder modernisieren, wenn es möglich ist, oder gegebenenfalls durch neue effiziente Anlagen ersetzen. Zu dieser Aussage stehen wir; dazu haben wir auch in der Vergangenheit Stellung bezogen. Frau Vogt hat es gesagt: Ja, wir bekennen uns gerade mit Blick auf Altanlagen zum Ordnungsrecht. Wir halten das Ordnungsrecht für ein Instrument in Ergänzung zum Zertifikatehandel.
Wir gehen aber ein Stück weiter. Wir halten es durchaus für möglich, dass man für diese Erneuerung des Kraftwerkeparks unter gewissen Bedingungen eine finanzielle Förderung zur Verfügung stellt. Sie haben ja das Thema Kraft-Wärme-Kopplung angesprochen. Wenn wir hohe Effizienzgrade erreichen wollen, wenn wir einen Vorrang der Kraft-Wärme-Kopplung sicherstellen wollen und wenn wir insbesondere für dezentrale Strukturen neue Kraftwerkstechnologien zur Verfügung stellen wollen, müssen wir schauen, wie wir das fördern können. Wir haben über das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz in der Großen Koalition einen ersten Anreiz gesetzt. Wir haben durch die Förderung des Neubaus und des Leitungszubaus erste Impulse gesetzt, die diesen Ausbau voranbringen sollen. An dieser Stelle haben Sie, genau wie Frau Löhrmann in Nordrhein-Westfalen, gesagt, dass Sie den massiven Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung wollen. Der Gesetzentwurf, den Sie hier vorlegen, verhindert diesen Ausbau.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Becker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer?
Dirk Becker (SPD):
Bitte.
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege, Sie haben eben richtigerweise gesagt, das Erneuerbare-Energien-Gesetz habe eine Dynamik ausgelöst, die von uns allen nicht erwartet worden sei. Sie haben sogar die Zahl 47 Prozent in 2020 genannt. Das ist ja weit mehr, als die Große Koalition verabredet hat. Wenn ich 25 Prozent Kraft-Wärme-Kopplung obendrauf rechne und 11 Prozent Einsparung, dann bin ich bei einer Größenordnung von 75 Prozent. Dieser Strombedarf kann durch erneuerbaren Energien, Kraft-Wärme-Kopplung und Einsparung gedeckt werden. Bitte erklären Sie mir - wir haben ja auch noch Kraftwerke, die in jedem Fall weiterlaufen werden, Gaskraftwerke und Kohlekraftwerke, die niemand stilllegen will und die 2020 noch laufen werden -, warum auch nur ein einziges neues Kohlekraftwerk notwendig sein sollte.
Dirk Becker (SPD):
Herr Krischer, ich habe Ihnen gerade die Zahlen genannt. Wir haben heute einen Bestand - ich nenne Kraft-Wärme-Kopplung, weil ich da auch gleich ansetzen werde - von knapp 12 bzw. 13 Prozent. Wir werden nach heutigem Stand nicht mehr bekommen, durch Ihren Gesetzentwurf erst recht nicht. Darauf werde ich jetzt eingehen. Hätten Sie einen Moment gewartet, wäre die Frage möglicherweise schon beantwortet gewesen.
Sie haben diesen Gesetzentwurf mit dem Verweis auf Effizienz eingebracht. Ich will Ihnen ein klassisches Beispiel vorrechnen. Nach diesem Gesetzentwurf ist es möglich, ein schlichtes Gaskraftwerk zu errichten, das einen Wirkungsgrad von 58 Prozent hat. Dieses Kraftwerk produziert Strom, keine Wärme; die Wärme geht in die Umwelt und bleibt ungenutzt. Demgegenüber hat eine Anlage mit Kraft-Wärme-Kopplung - ich nehme das Beispiel Kohle - je nach Größe 63, 64, vielleicht sogar einen Wirkungsgrad von 65 Prozent.
Das heißt, diese Anlage hat eine höhere Effizienz. Die Wärme gelangt nicht in die Umwelt, sondern dient zum Beheizen von Wohnungen oder fließt in industrielle Prozesse. Sie wird also sinnvoll genutzt, und der Effizienzgrad ist höher. Eine solche Anlage schließen Sie aber aus.
Was hat das mit Effizienzsteigerung zu tun?
Es ist einfach so, dass Sie einen Grundsatzbeschluss fassen wollen. Ihren Anspruch, die Effizienz im Blick zu haben, verlieren Sie in Ihrem Gesetzentwurf aber leider aus den Augen.
Ich möchte auf eine weitere Fragestellung zu sprechen kommen. Ich glaube, dass das, was Sie in Ihrem Antrag zum Thema Emissionshandel schreiben, problematisch ist. Zurzeit finden die Klimaverhandlungen in Kopenhagen statt. Ich dachte immer, uns eint das Ziel, dass wir einen globalen Emissionshandel wollen. Bisher zumindest war das so. In Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie allerdings, dass der Emissionshandel als Lenkungsinstrument versagt hat. Ich frage mich ernsthaft: Ist es gut, diese Botschaft nach Kopenhagen zu senden?
- Im Gesetzentwurf der Grünen. - Ich muss Ihnen sagen: Ich halte diese Aussage für gefährlich und verkürzt.
Ich will zwei Aspekte voneinander trennen:
Erstens. Herr Kauch hat zu Recht darauf hingewiesen, dass mit Blick auf die Neubauten im Kraftwerksbereich sehr wohl eine Lenkungswirkung des Emissionshandels zu erkennen ist. Es ist nicht richtig, wenn Kraftwerksbetreiber heute sagen: Wir haben die Planung eingestellt, weil es uns an politischer Unterstützung fehlt. - Es ist in der Tat so, dass manche Anlagen wirtschaftlich nicht mehr darstellbar sind. Das ist ein Effekt des Emissionshandels. Somit beginnt er zu wirken.
Das Zweite - hier haben Sie recht - ist, dass eine solche Wirkung mit Blick auf Altanlagen nicht festzustellen ist. Darum habe ich eingangs gesagt: Der Emissionshandel ist um ordnungsrechtliche Maßnahmen zu ergänzen.
Als letzten Punkt habe ich eine Bitte, was den Emissionshandel grundsätzlich angeht. Das, was Sie wollen, verstehe ich. Vieles von dem, was Sie wollen, kann ich auch nachvollziehen. Wir sollten aber, bitte schön, ehrlich sein, wenn wir den Menschen den Emissionshandel erklären; Herr Kauch hat darauf bereits hingewiesen. Es wird immer wieder so getan, als ginge der Bau neuer Kraftwerke automatisch mit neuen, mit zusätzlichen Emissionen einher.
So ist es nicht. Es gibt die PEPP, und es gibt ein Budget. Sie hingegen erwecken ständig einen anderen Eindruck, weil dies Ihrer politischen Ausrichtung entgegenkommt.
- Sie brauchen gar nicht darum herumzureden.
Ich erkläre Ihnen ganz einfach, worum es geht: Stellen Sie sich vor, in den Tank eines Autos passen 50 Liter. Es ist egal, wie viele Familienmitglieder mit diesem Auto fahren, ob eine Person oder 30 Personen. Wenn die 50 Liter verbraucht sind, ist die Reise zu Ende.
So funktioniert der Emissionshandel. Das ist ganz einfach zu erklären.
Hören Sie auf, den Menschen zu sagen, dass sich der CO2-Ausstoß durch den Bau zusätzlicher Kraftwerke insgesamt erhöht. Das ist falsch. Wenn Sie dies bestreiten, haben Sie wirklich nicht verstanden, wie der Emissionshandel funktioniert.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Judith Skudelny für die FDP-Fraktion.
Judith Skudelny (FDP):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Erste, was mich an diesem Gesetzentwurf ärgert, ist, dass Sie das komplexe Thema der ökologischen Energiepolitik mit einfachen Schwarz-Weiß-Mitteln wie der Steigerung der Effizienzgrade von Kohlekraftwerken behandeln.
Manche Kollegen in diesem Hause haben noch nicht verstanden,
dass es in Ihrem Gesetzentwurf nicht um die Steigerung der Effizienz geht, sondern - in der letzten Wahlperiode haben Sie sogar einen Antrag mit diesem Titel eingebracht - um die Verhinderung moderner Kohlekraftwerke.
Wenn moderne Kohlekraftwerke verhindert werden, dann bedeutet dies mittelfristig nicht, dass Umweltpolitik und Klimapolitik besser werden. Es bedeutet nur, dass wir in Deutschland zunächst einmal eine Versorgungslücke haben werden.
Die Deutsche Energie-Agentur - sie ist nicht verdächtig, überzogene Vorstellungen vom zukünftigen Stromverbrauch zu haben - hat festgestellt, dass wir bis zum Jahr 2020 15 neue Großkraftwerke brauchen, um den bundesweiten Bedarf decken zu können. Wie wollen wir das schaffen, wenn wir keine neuen, modernen Kohlekraftwerke bauen? Ganz einfach: Wir werden zunächst einmal alte Anlagen weiterbetreiben müssen. Das Kraftwerk in Grevenbroich, das als Beispiel genannt worden ist, wird auch mit einem geringeren Effizienzgrad weiterbetrieben werden. Das ist kein Beitrag zum Klimaschutz.
Wir werden auch andere konventionelle Energien, aus deren Nutzung wir alle aussteigen wollen, weiter nutzen müssen. Es geht nicht anders; denn wir haben eine Versorgungslücke. Wer diese Lücke nicht schließen will, muss in letzter Konsequenz akzeptieren, dass wir uns vom Ausland abhängig machen. Die ?lupenreinen Demokraten? haben sich aber schon in der Vergangenheit, was den Rohstoffhandel betrifft, nicht unbedingt als solche erwiesen. Gerade von ihnen möchte ich Deutschland nicht abhängig machen.
Was bedeutet dieser Gesetzentwurf für den Forschungs- und Technologiestandort Deutschland? Wir haben vorhin vom CCS-Verfahren gehört. CCS heißt, dass das CO2 am Ort des Entstehens abgeschieden wird und nicht in die Atmosphäre gelangt. Das ist aber verbunden mit 5 bis 10 Prozent weniger Effizienz.
- Eben, wir haben diese Technologie noch nicht; deswegen müssen wir forschen und herausfinden, ob sie eine Alternative ist.
Wenn die Genehmigungsverfahren jedoch ausschließlich oder hauptsächlich von der Effizienz des Kraftwerks abhängig gemacht werden, wird in diesem Bereich in Deutschland keine Forschung und Entwicklung stattfinden. Dabei betonen gerade Sie immer, wie wichtig Forschung und Entwicklung sei. Wer unseren Forschungsstandort erhalten will, darf Ihren Gesetzentwurf nicht unterstützen.
Die Politik der Grünen in diesem Bereich ist aus meiner Sicht eine sehr dogmatische Politik: Kohlekraftwerke sind böse.
Was passiert, wenn man an einer Schwarz-Weiß-Denke festhält, kann man in Tübingen sehen: In Tübingen ist - auch mithilfe von Grünen-Mitgliedern dieses Hauses - ein Gaskraftwerk mit einem hohen Effizienzgrad verhindert worden. Der grüne Tübinger Oberbürgermeister wurde dazu gezwungen, um die Versorgung zu decken, in ein Kohlekraftwerk zu investieren.
Etwas zu verhindern, einfach nur um recht zu behalten, das ist nicht die Politik, die wir verfolgen wollen.
Wir Liberale als grüne, das heißt ökonomisch und ökologisch denkende Menschen können diesen Gesetzentwurf deswegen nicht mittragen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Skudelny, das war Ihre erste Rede hier im Haus. Wir gratulieren Ihnen sehr herzlich und wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre Arbeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Jens Koeppen für die CDU/CSU-Fraktion.
Jens Koeppen (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letztem Redner der Debatte bleibt mir nur noch, zusammenzufassen und das Fazit zu ziehen. Wir haben alle schon festgestellt: Mit ihrem Gesetzentwurf mit den Mindestwirkungsgraden geht es den Grünen darum, mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung zu beginnen. Dieser Antrag ist ein Gesetzentwurf anti Kohle und pro Gas.
Das ist vielleicht aus der Sicht der Grünen ein hehres Ziel. Sie haben dabei aber wie immer einige Sachen aus den Augen verloren. Als Techniker sage ich Ihnen: Sie haben die Physik aus den Augen verloren; denn das, was Sie wollen, ist nicht machbar. Sie haben aber, wie wir heute feststellen konnten, nicht nur die Machbarkeit aus den Augen verloren, sondern auch die globalen Realitäten, die man beachten muss. Wenn es heißt, dass in China jeden zweiten Tag ein neues Kohlekraftwerk ans Netz geht, dann frage ich mich: Was hat das mit Klimaschutz zu tun?
Wenn Sie etwas verändern wollen, wenn Sie etwas verbessern wollen, wenn Sie etwas erreichen wollen, dann müssen Sie die Realitäten akzeptieren. Sie müssen sich von Ihrer Ideologie befreien. Sie müssen an Ihrer Vision konstruktiv arbeiten.
Visionen sind ja gut. Aber Tagträumereien, Herr Krischer, bringen uns nicht weiter.
Das Ziel, höhere Wirkungsgrade zu erreichen, tragen wir mit. Durch den Neubau von Kohlekraftwerken können wir alte Anlagen abschalten. Damit haben wir in Deutschland - das ist schon jetzt Realität - den Wirkungsgrad im Durchschnitt auf insgesamt 40 Prozent angehoben. Das ist in Ordnung. Diesen Weg wollen wir weitergehen. Aber Sie müssen die Realitäten im Auge behalten.
Ihr Ziel ist in Wirklichkeit nicht die Erhöhung des Wirkungsgrades und dadurch eine Verringerung der CO2-Emissionen, sondern Sie wollen vorhandene Anlagen bis zum Jahre 2015 abschalten.
Sie wollen verhindern, dass neue Anlagen gebaut werden. Frau Menzner, das ist übrigens wie in der DDR. Da der Bau von Neuanlagen verhindert wurde, blieben Anlagen mit einem Wirkungsgrad von circa 27 oder 28 Prozent in Betrieb. Diese haben dann wirklich die Luft verpestet. Das wollen wir nicht. Wir wollen neue Anlagen und dadurch nach und nach einen höheren Wirkungsgrad erreichen.
Sie müssen klar sagen, ob Sie sich von der CCS-Technologie komplett verabschieden wollen. Damit werden Sie aber die Forschung in Deutschland verhindern. Sie werden damit auch die Vorreiterrolle und letztendlich den Export solcher Anlagen unterbinden.
Kommen wir jetzt zu den Wirkungsgraden. Sie fordern einen Wirkungsgrad von 58 Prozent für Neuanlagen. Das ist für Kohle kaum erreichbar. Das ist Materialwirtschaft. Jede Erhöhung des Wirkungsgrades um zwei Punkte setzt eine Forschungszeit von ungefähr zehn bis 15 Jahren voraus. Also schaffen Sie es innerhalb dieser kurzen Zeit gar nicht, von 40, 43 oder maximal 45 Prozent auf 58 Prozent Wirkungsgrad zu kommen. Das ist nicht möglich.
Bei der Kohle ist dieser Wirkungsgrad nicht erreichbar, aber beim Gas kann das erreicht werden. Bei Gasanlagen sind schon jetzt 58 Prozent Wirkungsgrad Stand der Technik. Dieses Ziel ist gar nicht mehr ambitioniert. Ihr Gesetzentwurf ist für mich eine Aufforderung, verstärkt auf Gas zu setzen. Wie kommen wir dazu, russisches Gas zu fördern? Wenn Sie aus der Kernenergie aussteigen und Kohlekraftwerke verbieten wollen, dann brauchen Sie 445 Terawattstunden Strom aus Erdgas.
- Das brauchen Sie. Das ist die Hälfte des Gesamtverbrauchs in Deutschland.
Was bedeutet das?
Das bedeutet, Herr Krischer: Abhängigkeit von russischem Gas. Das bedeutet: Versorgungssicherheit wird verschlechtert. Das bedeutet: Es freut sich Russland, und vielleicht freuen sich auch Fischer und Schröder, aber nicht die deutsche Industrie und der deutsche Steuerzahler. Deswegen können wir das nicht machen.
Dann haben wir auch festgestellt - das hat Herr Kauch wunderbar herausgearbeitet -: Russland wird natürlich alles verfügbare Gas schön teuer an Europa verkaufen und im Inland Kohleverstromung betreiben. Diese Kohlekraftwerken haben, wenn sie gut sind, im Schnitt einen Wirkungsgrad von 34 Prozent. Jetzt erklären Sie mir bitte, was das mit Klima- und Umweltschutz zu tun hat. Überhaupt nichts!
Wir lassen keine Deindustrialisierung zu. Klimaschutz wirkt nur global. Mindestwirkungsgrade wirken nur global. Auch die CCS-Technologie wirkt nur global. Gleiches gilt für den Emissionshandel. Deswegen muss das alles gesamtheitlich betrachtet werden.
Was können wir tun? Wir wollen natürlich eine Antwort geben. Erstens - da lohnt sich ein Blick in unseren hervorragenden Koalitionsvertrag -:
?ideologiefreie, technologieoffene und marktorientierte Energiepolitik?,
und zwar für Strom, Wärme und Mobilität. Das müssen Sie alles im Auge behalten. Dann wird das auch was mit dem Klimaschutz.
Zweitens. Wir wollen die erneuerbaren Energien konsequent ausbauen - das ist gar keine Frage, auch das steht im Koalitionsvertrag - mit dem Ziel, dass die erneuerbaren Energien den Hauptanteil an der Energieversorgung übernehmen. Aber dazu brauchen wir einen Energiemix, der kontinuierlich, lieber Herr Fell, und nicht mit der Holzhammermethode die konventionellen Energien langsam ablösen kann. Die Betonung liegt auf ?kann?. Dass wir das wollen, ist klar. Aber das muss auch machbar sein.
Drittens. Wir müssen das Energiesystem umbauen, und zwar mit Sinn, Verstand und Beharrlichkeit. Deswegen werden wir ein Energiekonzept im nächsten Jahr vorlegen, aus dem hervorgeht, wie die Energie bezahlbar, zuverlässig und sauber ist.
Wir werden mit diesem Koalitionsvertrag die Vorreiterrolle in Deutschland übernehmen. Wir brauchen ambitionierte Ziele. Dazu sagen wir Ja. Aber zu Verboten - das sage ich bei fast jeder Rede, wenn es um Ihre Vorlagen geht - und zu Unmöglichem sagen wir Nein. Mit Totschlagargumenten und mit der Holzhammermethode werden Sie kläglich scheitern. Das ist nicht unser Weg.
Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/156 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung aufgeführt finden. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 13. Sitzung - wird am
Montag, den 20. Dezember 2009,
auf der Website des Bundestages unter ?Dokumente & Recherche?, ?Protokolle?, ?Endgültige Plenarprotokolle? veröffentlicht.]