Öffentliche Sitzungen des Rechtsausschusses
Mit der Telekommunikationsüberwachung und der so genannten Vorratsspeicherung beschäftigte sich der Rechtsausschuss in zwei öffentlichen Anhörungen am Mittwoch, dem 19. und am Freitag, dem 21. September 2007.
Auf große Zustimmung stieß die Bundesregierung mit
ihrem Anliegen, die Telekommunikationsüberwachung zu
reformieren, bei einer Anhörung des Rechtsausschusses am
Mittwoch, dem 19. September 2007. In dem vorliegenden Entwurf der
Regierung (
16/5846) soll unter anderem geregelt werden,
dass auch ohne Wissen der Betroffenen die Telekommunikation
überwacht und aufgezeichnet werden kann. Als Voraussetzung
gelte, dass die Behörden den Verdacht haben, dass jemand als
Täter einer schweren Straftat in Fragen komme und die
Erforschung der Tat auf andere Weise nur sehr schwer oder gar nicht
möglich ist. Die Sachverständigen übten aber -
teilweise recht massive - Kritik in einzelnen
Detailfragen.
So war Kriminalhauptkommissar Ernst Wirth vom
Bayerischen Landeskriminalamt in München der Meinung, der
Entwurf enthalte aus polizeipraktischer Sicht zwar zahlreiche
begrüßenswerte Regelungen, sei aber in einigen Punkten
wenig praxistauglich. Er werde, so prognostizierte der
Sachverständige, zu einer zusätzlichen Belastung der
Ermittlungsbehörden durch bürokratische Auflagen
führen. Als Beispiel nannte der Sachverständige unter
anderem, dass zwar bestimmte Fälle des Computerbetrugs sowie
Korruptionsdelikte als Straftaten gelten würden, nicht aber
Vorteilsannahme (wenn ein zu teures Geschenk angenommen wird) und
Vorteilsgewährung (wenn beispielsweise ein Unternehmen einem
Amtsträger als Gegenleistung für seine
Dienstausübung etwas schenkt). Die Argumentation der
Regierung, wonach hierbei kein Anlass für eine
Telekommunikationsüberwachung bestehe, sei aus polizeilicher
Sicht nicht nachvollziehbar.
Wirth, der Richter am Bundesgerichtshof
Jürgen-Peter Graf und der Hannoveraner
Oberstaatsanwalt Ralf Günther übten
gemeinsam Kritik an der ins Auge gefassten Reduzierung der
Überwachungsdauer von drei auf zwei Monate. Dies sei aus Sicht
der polizeilichen Praxis weder geboten noch praktikabel. Diese
Reduzierung könne zu einem erheblichen Mehraufwand für
die Gerichte führen, welcher kaum zu rechtfertigen sei. Ein
Misstrauen gegenüber den Staatsanwaltschaften, das im Entwurf
durchscheine, sei ebenfalls fehl am Platz. Untersuchungen
hätten ergeben, dass die meisten
Telekommunikationsüberwachungen allenfalls bis zu zwei Monate
dauerten.
Roland Helgerth, Generalstaatsanwalt in
Nürnberg, war ebenfalls der Ansicht, den Staatsanwälten
werde nicht das Vertrauen entgegengebracht, mit der
Telekommunikationsüberwachung sachgerecht umzugehen. Das
Misstrauen äußere sich unter anderem in einer vermehrten
Einschaltung des Ermittlungsrichters und in einer Benachrichtigung
der auch nur entfernt Betroffenen. Widerspruch kam von dem
Bielefelder Rechtsprofessor Christoph Gusy: Die
Verlängerung der bisher geltenden Drei-Monats-Frist geschehe
oft "routinemäßig" - statt zu prüfen, warum das
Abhören keine Erkenntnisse zu Tage gefördert
habe.
Der Berliner Rechtswissenschaftler Professor Klaus
Rogall war der Ansicht, dass über die Bedeutung und
den Umfang des Begriffs "Kernbereich privater Lebensgestaltung" -
in dem staatliche Behörden nicht abhören dürfen -
"heillose Verwirrung" herrsche. Der Regierung bescheinigte der
Sachverständige, dass diese das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts angemessen umgesetzt habe.
Nach Auffassung von Benno H. Pöppelmann,
Justiziar des Deutschen Journalisten-Verbandes, schlage die
Regierung mit ihrem Entwurf einen Weg ein, der geeignet sei, dem
durch das Zeugnisverweigerungsrecht bezweckten Schutz der
Informanten und der von staatlichen Eingriffen ungestörten
Redaktionsarbeit nachhaltig zu relativieren. Wenn Informanten zudem
befürchten müssten, dass ihre Informationen
gegenüber Journalisten mitgeschnitten werden könnten,
selbst wenn sie sich in ihrer oder einer anderen Wohnung
aufhielten, wäre die journalistische Arbeit "massiv
gefährdet".
Fredrik Roggan von der "Humanistischen Union"
warf der Regierung vor, ihr Gesetzentwurf weise ein einseitiges
rechtspolitisches Verständnis auf. Er behaupte "pauschal",
dass alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen unverzichtbar
seien. Er untersuche vorrangig, ob die vorgeschlagenen
Beschränkungen in Sinne einer effektiven Strafverfolgung
vertretbar seien. Auf die Frage, ob denn die jeweilige
Ermittlungsmaßnahme wirklich unverzichtbar sei, werde an
keiner Stelle eingegangen.
Die Berliner Rechtsanwältin Margarethe von Galen meinte, der Gesetzentwurf der Regierung löse das Versprechen, das Recht staatlicher Behörden auf verdeckte Telefonüberwachung zu harmonisieren, im Detail nicht ein. Dem Entwurf der Grünen ( 16/3827) sei deshalb der Vorzug zu geben.
Überwiegend negativ fielen die Stellungnahmen der vom Rechtsausschuss eingeladenen Sachverständigen zu einer Anhörung zur Vorratsdatenspeicherung am Freitag, dem 21. September 2007, aus. Grundlage waren ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung ( 16/5846) und eine umzusetzende Richtlinie der EU. Nach dem Entwurf sind Telekommunikationsdienste ab 2008 verpflichtet, die Daten ihrer Kunden sechs Monate lang zu speichern.
Gespeichert wird, wer mit wem per Telefon, Handy oder E-Mail in
Verbindung gestanden hat. So werden beispielsweise die Rufnummer
sowie Beginn und Ende der Verbindung, geordnet nach Datum und
Uhrzeit, bei Handy-Telefonaten und SMS auch der Standort des
Benutzers festgehalten.
Jürgen Grützner,
Geschäftsführer des Verbandes der Anbieter vom
Telekommunikations- und Mehrwertdiensten e.V. aus Köln, war
der Meinung, der mit der Vorratsdatenspeicherung einhergehende
"Paradigmenwechsel im Datenschutz" hebe das bisher geltende Verbot
anlass- und verdachtsunabhängiger Datenspeicherung auf. Die
Nutzer von Telekommunikationsdiensten würden folglich unter
"Generalverdacht" gestellt.
Christoph Fiedler, der unter anderem für
ARD, ZDF und den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger Stellung
nahm, war der Auffassung, die Umsetzung der Richtlinie zur
Vorratsdatenspeicherung würde in der vorliegenden Fassung die
Pressefreiheit "in einem ihrer sensibelsten Punkte mit ungeahnter
Intensität beschädigen". Zum ersten Mal erhielten
staatliche Stellen Zugriff auf alle elektronischen Kontakte von und
mit allen Journalisten. Die Abschreckungswirkung für
potenzielle Informanten sei offensichtlich.
Der Berliner Universitätsprofessor Christian
Kirchner meinte ebenfalls, es sei streitig, ob der Umfang
der Vorratsdatenspeicherungspflicht verfassungsrechtlichen Vorgaben
entspricht. Dies gelte vor allem für die Formulierung "zur
Verfolgung von Straftaten". Es werde nicht nach der Schwere und
Erheblichkeit der betreffenden Straftaten unterschieden.
Rainer Liedtke, Datenschutz- und
Sicherheitsbeauftragter von E-plus-Mobilfunk GmbH kritisierte unter
anderem, dass das Gesetz schon 2008 in Kraft treten soll. Diese
Regelung sei insoweit inakzeptabel, als nunmehr - anders als im
Referentenentwurf vorgesehen - auch noch E-Mail und Internetdienste
integriert werden müssten. Der Regierungsentwurf enthalte
daneben "völlig unrealistische" Aussagen zur Kostenbelastung
der Unternehmen.
Patrick Breyer vom "Arbeitskreis
Vorratsdatenspeicherung" lehnte das Vorhaben einer
Vorratsdatenspeicherung entschieden ab. Der Sachverständige
appellierte an die Politik, sich von dem Vorhaben der umfassenden
und verdachtsunabhängigen Speicherung von Daten zu
distanzieren.
Thilo Weichert, Landesbeauftragter für den
Datenschutz aus Kiel, war gleicher Meinung. Das Vorhaben, die
Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und Netze
öffentlicher elektronischer Kommunikationsdienste pauschal und
ohne jeden Ahnhaltspunkt für eine konkrete Straftat der
betroffenen Person zu speichern, sei
unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig, so
Weichert.
Ernst Wirth vom Bayerischen Landeskriminalamt
begrüßte hingegen die Speicherung von
Telekommunikationsdaten. Sie sei eine aus polizeipraktischer Sicht
"weit überwiegend begrüßenswerte Regelung". Sie
entspreche somit langjährigen Forderungen der polizeilichen
Ermittlungsarbeit und sei als "sehr gelungen" zu
betrachten.
Und auch Jürgen-Peter Graf, Richter am Bundesgerichtshof, war der Meinung, der Eingriff in das im Grundgesetz festgelegte Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei hinnehmbar. Die Herausgabe von Daten dürfe nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung geschehen. Das sei im Entwurf festgelegt.