Öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses
Im September vergangenen Jahres legte die Bundesregierung dem Bundestag einen Gesetzentwurf zur Reform des familiengerichtlichen Verfahrens vor ( 16/6308). Zu diesem Thema fanden im Rechtsausschuss am Montag, dem 11. Februar 2008, und am Mittwoch, dem 13. Februar 2008, zwei öffentliche Anhörungen statt. Die geladenen Sachverständigen signalisierten dem Vorhaben ihre grundsätzliche Zustimmung.
Im ersten Teil der Anhörung begrüßte Klaus Schnitzler, Fachanwalt für Familienrecht aus Euskirchen, uneingeschränkt die "längst überfällige" Einführung des großen Familiengerichts. Es soll nach den Vorstellungen der Regierung zum Beispiel zuständig sein für Verfahren zur Pflegschaft für Minderjährige, der Adoption oder zum Schutz vor Gewalt, für die bislang das Vormundschaftsgericht oder das Zivilgericht zuständig ist. Der Bonner Notar Timm Starke pflichtete ihm bei. Dem Regierungsentwurf liege ein "schlüssiges Konzept" zugrunde. Besonders hervorzuheben sei das Ziel einer außergerichtlichen Streitbeilegung im familiengerichtlichen Verfahren.
Auch Jörg Grotkopp, Richter am Amtsgericht Ratzeburg, meinte: "Wir begrüßen die Gesetzesinitiative sehr." Gleichwohl meinte der geladene Experte, der Versuch, das Verfahren zu verschlanken, gelinge nicht immer. Massive Kritik übte Professor Bernhard Knittel, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München, an der vorgesehenen Neuregelung des Instanzenzuges im Gesetzentwurf. Dieser nenne kein einziges überzeugendes Argument für die "Zerschlagung eines bewährten und bürgernahen Rechtszuges" (Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht) in den klassischen Materien der so genannten freiwilligen Gerichtsbarkeit. Es werde somit zu einer "drastischen Verminderung des Rechtsschutzes" kommen, auch auf Gebieten, auf denen der Grundrechtsschutz eine Rolle spiele wie Betreuung, Unterbringung und anderen Freiheitsentziehungen. Deswegen werde der Schutz der Betroffenen in Betreuungs- und Unterbringungssachen durch die vorgeschlagene Regelung "praktisch halbiert". Die Sachverständigen Schnitzler und Ulrike Donat, Rechtsanwältin für Familienrecht aus Hamburg, stimmten dem zu.
Anders argumentierte Professor Florian Jacoby von der Juristischen Fakultät der Universität Bielefeld: Die "Straffung des Instanzenzuges" sehe er als "nicht so negativ" an. Auch Professor Volkert Vorwerk, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, meinte, es sei "zu diskutieren", ob in allen Bereichen, die künftig dem Familiengericht zugewiesen werden sollen, derselbe Instanzenzug zu fordern sei oder ob die als bürgernah bezeichneten Oberlandesgerichte auch künftig die Aufgabe hätten, die Entscheidungen der Landgerichte zu überprüfen. Grundsätzlich zu begrüßen sei aber, so Vorwerk, dass künftig der Bundesgerichtshof auch im Bereich des Familienrechts die Aufgabe habe, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären und die Einheit der Rechtsprechung zu sichern.
Angelika Nake vom Deutschen Juristinnenbund aus Berlin lobte den Entwurf insofern, als nunmehr alle Gewaltschutzsachen vor dem Familiengericht verhandelt werden sollen. Das werde "ausdrücklich unterstützt". Es sei aber eine Regelung anzufügen, nach der Gewaltschutzverfahren "vorrangig und beschleunigt" eingeleitet werden sollen.
Auch am Mittwoch, im zweiten Teil der Anhörung, haben fast alle anwesenden Sachverständigen den Entwurf der Bundesregierung ( 16/6308) als gelungen bezeichnet. Der Sachverständige Frank Klinkhammer, Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, machte deutlich, die vorgesehene Erweiterung der Kompetenzen der Familiengerichte ermögliche eine umfassendere Behandlung sachlich zusammenhängender Probleme und Streitfragen. Das könne zu mehr Bürgerfreundlichkeit der Justiz führen.
Teilweise warnten die Experten aber auch, dass die Anforderungen an die Familiengerichte steigen würden. Mehr Personal und mehr Fortbildung müssten bereitgestellt werden, sonst würde die Reform scheitern.
Ludwig Bergschneider, Rechtsanwalt aus München, begrüßte unter anderem die geplante Vorschrift zur Beschleunigung in Kindschaftssachen (einen Monat nach Eingang der Antragsschrift). Diese Auffassung teilte Susanne Nothhafft vom Deutschen Jugendinstitut aus München jedoch nicht. Verfahrensbeschleunigung sei kein Selbstzweck, betonte sie. Das Beschleunigungsgebot solle dem Kindeswohl dienen und werde durch dieses zugleich begrenzt. Es müsse daher im Einzelfall überprüft werden, ob dieser "beschleunigte" Verfahrensweg und die Stärkung des Elements der Einvernehmlichkeit in jedem Stadium des Verfahrens tatsächlich "eine optimale Umsetzung des Kindeswohls" ermöglichen.
Röse Häußermann, Präsidentin des Landgerichts Tübingen, bescheinigte dem Entwurf, er bündle die Verfahrensvorschriften in den Bereichen der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Familienrechts "sachgerecht und transparent". Mit dem vorgesehenen nahezu kompletten Rückzug des Staates auf die unmittelbare Wahrnehmung seines Wächteramts im Hinblick auf Pflege und Erziehung der Kinder war die Sachverständige jedoch nicht zufrieden. Sie nannte die vorgesehene Regelung "besorgniserregend, rechtssystematisch eher widersprüchlich und verfassungsrechtlich nicht unbedenklich". Der vorliegende Entwurf führe zu einer verstärkten Gefährdung von Frauen, die sich aus einer Gewaltbeziehung befreit hätten. Insbesondere Kinder seien davon mit betroffen, kritisierte auch Professor Sibylla Flügge von der Fachhochschule Frankfurt am Main. Der Gesetzentwurf stehe damit im Gegensatz zu den Aktionsplänen gegen Gewalt gegen Frauen der Bundesregierung und verstoße gegen das einvernehmliche Ziel, Kinder besser vor Gewalt in der Familie zu schützen.
Teil II, Mittwoch: