Bundestag beriet über vier Gesetzentwürfe
In einer fast vierstündigen Grundsatzdebatte befasste sich der Bundestag am Donnerstag, dem 14. Februar 2008, mit der Zukunft der Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen in Deutschland. Ingesamt liegen dem Bundestag vier fraktionsübergreifende Gruppenanträge zur Änderung des Stammzellgesetzes vor ( 16/7981, 16/7982, 16/7983, 16/7984, 16/7985).
Die Abgeordneten fordern entweder die völlige Streichung des Stichtages, die Beibehaltung der bisherigen Stichtagsregelung oder ein völliges Verbot der Forschung mit embryonalen Stammzellen. Mehr als 30 Redner aus den fünf im Bundestag vertretenen Fraktionen machten ihre unterschiedlichen Positionen für und gegen eine Lockerung der Stammzellforschung deutlich. Das Gesetz soll bereits im März verabschiedet werden.
Insgesamt 184 Abgeordnete aus SPD und CDU/CSU unterstützen den Antrag von René Röspel (SPD), Ilse Aigner (CDU/CSU) und Jörg Tauss (SPD) ( 16/7981). Sie schlagen eine einmalige Verschiebung des Stichtags auf den 1. Mai 2007 vor. Der Schutzmechanismus des Stammzellgesetzes bleibe gewährleistet, es werde jedoch an neueste wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst. Außerdem bleibe gewährleistet, dass von Deutschland aus nicht die Gewinnung embryonaler Stammzellen oder die Erzeugung von Embryonen zu diesem Zweck veranlasst wird.
Im Plenum bekräftigte René Röspel von der SPD-Fraktion seine Forderung. Der „Mittelweg zwischen dem Schutz des Lebens und der Forschungsfreiheit“, der mit dem Gesetz von 2002 gefunden worden war, bliebe erhalten, sagte er. Zudem seien nach Angaben der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) mittlerweile weltweit etwa 500 Stammzelllinien beschrieben und anders, besser, etablierter und stabiler in Kultur gehalten, als noch vor sechs Jahren. Dies "würde für viele Jahre guter Forschung reichen".
Auch Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) sprach sich dafür aus, den Stichtag für den Import von Stammzellen auf 2007 zu verlängern. Dieser Weg ermögliche deutschen Forschern einen „eng definierten Korridor“ für ihre Arbeit. Auch sei er ethisch verantwortbar und kein „Dammbruch“ für eine grenzenlose Forschung.
Ein von Ulrike Flach (FDP), Katherina Reiche (CDU/CSU) und Rolf Stöckel (SPD) vorgelegter Antrag ( 16/7982) plädiert darüber hinaus für eine gänzliche Abschaffung des Stichtages und damit für eine weitgehende Liberalisierung der Stammzellforschung. Damit entfiele auch die Strafbarkeit der Forscher im Zusammenhang mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Den Entwurf haben 91 Abgeordnete aller Fraktionen, mit Ausnahme von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, unterschrieben.
Ulrike Flach (FDP) betonte, deutsche Forscher dürften wegen hoher gesetzlicher Hürden „nicht länger ins Ausland getrieben oder kriminalisiert“ werden. Katherina Reiche (CDU/CSU) sagte, die geltende Regelung stelle eine "Forschungsbremse" dar: "Diese Forschungsbremse müssen wir lösen."
Ein weiterer interfraktioneller Antrag wurde von den Abgeordneten Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Julia Klöckner (CDU/CSU) und Herta Däubler-Gmelin (SPD) eingebracht ( 16/7984) und wird von 64 weiteren Abgeordneten unterstützt. Der Entwurf befürwortet die Straffreiheit von Forschern, die an ausländischen Forschungsvorhaben teilnehmen und zielt darauf ab, in dieser Frage bestehende Unsicherheiten im Stammzellgesetz zu beseitigen. Strafbar solle die Verwendung von Stammzellen nur sein, wenn diese sich im Inland befinden. Der Stichtag soll nach Auffassung der Abgeordneten beibehalten werden.
Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) betonte in der Debatte, Grundlagenforschung sei auch mit den vorhandenen Stammzelllinien möglich. Eine einmalige Verschiebung des Stichtags hingegen käme einer „Rutschbahn“ hin zu einer weiteren Öffnung gleich.
Herta Däubler-Gmelin (SPD) meinte, es gäbe inzwischen weniger Argumente für die embryonale Stammzellforschung, während die ethische Grauzone bestehen bleibe. Die Möglichkeiten lägen heute in der Forschung an adulten Stammzellen und nicht in der Nutzung menschlicher Embryonen.
Der von den CDU/CSU-Abgeordneten Hubert Hüppe, Marie-Luise Dött, Maria Eichhorn initiierte und von weiteren 49 Abgeordneten unterstützte interfraktionelle Antrag ( 16/7983) fordert wegen schwerwiegender ethischer Bedenken ein vollständiges Verbot der Forschung mit embryonalen Stammzellen. Dieses solle auch für Zelllinien, die vor dem Stichtag am 1. Januar 2002 gewonnen wurden, gelten. Die Antragsteller führen an, dass inzwischen alternativ auch auf ethisch unbedenkliche Art menschliche pluripotente Stammzellen erzeugt werden können. Sie finden sich etwa im Nabelschnurblut oder im Fruchtwasser.
Hubert Hüppe (CDU/CSU) meinte dazu im Bundestag: "Die Forschung an menschlichen Embryonen und die Schaffung von embryonalen Stammzellen setzen voraus, dass menschliche Embryonen getötet werden." Es sei völlig unbestreitbar, dass es sich hierbei um individuelles menschliches Leben handelt. Es gebe jedoch keine Argumente dafür, menschliches Leben für Forschungszwecke zu töten.
Das bisher geltende Stammzellgesetz war 2002 verabschiedet worden und setzt seither den rechtlichen Rahmen für die umstrittene Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen. Es legt zum Beispiel fest, dass die Stammzellforschung ausschließlich hochrangigen Forschungszielen wie der Grundlagenforschung oder der Erweiterung medizinischer Kenntnisse zur Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren dienen muss. Es bestimmt außerdem, dass in Deutschland nur an Stammzellen geforscht werden darf, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden und aus dem Ausland stammen.
Wissenschaftler und Mediziner verbinden mit der Forschung an embryonalen Stammzellen die Hoffnung, unheilbare Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson in Zukunft heilen zu können sowie eine Reparatur von Organ- und Gewebeschäden zu ermöglichen. Die derzeitige Stichtagsregelung kritisieren sie mit dem Argument, die zur Verfügung stehenden Zellen seien zu alt und führten zu fehlerhaften Versuchen.
Demgegenüber argumentieren die Gegner der Stammzellforschung, sie verstoße gegen das im Grundgesetz verankerte Recht auf Leben und die Menschenwürde.