Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Als einen ersten Schritt in die richtige Richtung
bewerten Experten die zum 1. Juli 2008 geplante Verdopplung der
Renten für Contergangeschädigte. Gleichwohl sei dies
nicht ausreichend, um zu einer angemessenen Entschädigung der
Opfer zu gelangen, hieß es übereinstimmend bei einer
öffentlichen Anhörung des Familienausschusses am
Mittwochnachmittag. Grundlage des Hearings war ein Antrag der
Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD (
16/8754), sowie ein Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen (
16/8748).
Die Aufzeichnung der Anhörung steht als Video-on-Demand bereit (siehe rechts).
Mit der Verdopplung der Entschädigungszahlung
werde keine Kostendeckung individueller medizinischer Versorgungen
erreicht, sagte Klaus Becker von der Hamburger
Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen. Ebenso
wenig würden dadurch Rentenlücken bei Frühverrentung
gedeckt. Altersarmut sei bei vielen Conterganopfern daher
vorprogrammiert, so Becker. Seiner Ansicht nach müsse die
Contergan-Herstellerfirma Grünenthal aufgrund ihrer
"faktischen und moralischen Schuld" stärker in die
Entschädigungslösung eingebunden werden. Die
angekündigte Einmalzahlung von 50 Millionen Euro in die
Conterganstiftung sei nicht ausreichend.
Udo Herterich vom
Interessenverband Contergangeschädigter Nordrhein-Westfalen
verwies auf die deutlich höheren Entschädigungsleistungen
in anderen Ländern. So würden in Großbritannien
Renten von bis zu 3.400 Euro gezahlt. In dieser
Größenordnung bewegten sich auch die Forderungen der
deutschen Betroffenenverbände, sagte Herterich. Auf die
erheblichen gesundheitlichen Spätfolgen wies der
Orthopäde Jürgen Graf hin. Wer ohne Arme
geboren sei und sämtliche Tätigkeiten mit den
Füßen erledigen müsse, überlaste
zwangsläufig seine Hüftgelenke, wie auch die
Wirbelsäule. Die Folgen stellten sich vielfach zwischen dem
40. und dem 50. Lebensjahr ein und führten zu dauerhaften
Schmerzen.
Auch der Altersforscher Professor Andreas
Kruse von der Universität Heidelberg stellte klar,
dass die chronischen Schmerzen bei Contergangeschädigten im
höheren Lebensalter eine typische Folge schwerster Arthrosen
seien. Dies habe weniger mit dem Alter zu tun, als mit den
Einschränkungen, die diese Menschen von Anfang an gehabt
hätten. Kruse forderte, die soziale Teilhabe der Opfer zu
gewährleisten. Die Gesellschaft müsse Rahmenbedingungen
für ein menschenwürdiges Leben schaffen.
Gernot Stracke vom Hilfswerk
für Contergangeschädigte Hamburg dankte dem Westdeutschen
Rundfunk für die Ausstrahlung des Spielfilms "Eine einzige
Tablette" im vergangenen Herbst, mit dem der Conterganskandal und
damit auch das Leid der Opfer in den Blickpunkt des
öffentlichen Interesses gerückt worden seien. "Auch diese
Anhörung hätte es ohne diesen Film nicht gegeben", so
Stracke. Die Verdopplung der Entschädigungszahlungen sei
selbstverständlich zu begrüßen, sagte Stracke. Sie
zeige jedoch auch, dass die Entschädigungen jahrelang nicht
ausreichend gewesen seien.
Uwe Adamczyk, Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland e. V. (ABiD)
Klaus Becker, Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen e. V. (LAG)
Prof. Dr. Georg Cremer, Deutscher Caritasverband e. V.
Priv.-Doz. Dr. Jürgen Graf, Facharzt für Orthopädie, physikalische und rehabilitative Medizin, Sportmedizin
Udo Herterich, Interessenverband Contergangeschädigter Nordrhein-Westfalen e. V. und Internationale Contergan Thalidomid Allianz
Dr. Hedda Hoffmann-Steudner, Bundesverband Deutscher Stiftungen e. V.
Margit Hudelmaier, Bundesverband Contergangeschädigter e. V.
Prof. Dr. Andreas Kruse, Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg
Regina Schmidt-Zadel, Conterganstiftung für behinderte Menschen
Gernot Stracke, HICOHA – Hilfswerk für Contergangeschädigte Hamburg e. V.
R. Alan Summerside, The Thalidomide Trust