Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Als "ersten Schritt in die richtige Richtung" bezeichnen Sachverständige die von den Koalitionsfraktionen geplanten Änderungen beim Kinderzuschlag. Das wurde bei einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses am Montag, dem 2. Juni 2008, deutlich. Ein von der Koalition vorgelegter Gesetzentwurf ( 16/8867) sieht unter anderem vor, die Mindesteinkommensgrenzen abzusenken und damit den Kreis der Berechtigten auszuweiten.
Ein ebenfalls diskutierter Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ( 16/8883) fordert die vollständige Abschaffung der Mindest- und Höchsteinkommensgrenzen. Der Kinderzuschlag, so erläuterte Michael Böhmer vom Zukunftsforschungsunternehmen Prognos AG, habe die Zielsetzung gehabt, Familien mit einem geringen Erwerbseinkommen aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II (ALG II) herauszuholen und damit sowohl eine "Stigmatisierung" zu vermeiden als auch Kinderarmut zu verhindern. Derzeit würden jedoch nur 13 Prozent aller gestellten Anträge bewilligt. Mit den vorgeschlagenen Änderungen, so Böhmer, schaffe man mehr Transparenz und erreiche eine Ausweitung des Bezieherkreises. Auch die "Abschmelzung" der Transferentzugsrate, sei richtig und führe dazu, dass sich aus einem zusätzlichen Arbeitseinkommen auch ein zusätzliches Haushaltsnettoeinkommen ergäbe. Trotz dieser positiven Aspekte dürfe der Entwurf nur als erster Schritt zu einer Optimierung betrachtet werden.
Auch die Verteilungsforscherin Irene Becker sieht weiteren Handlungsbedarf. Aus ihrer Sicht müsse es ein Wahlrecht zwischen dem Empfang von ALG II und den Kinderzuschlag geben, wie auch im Antrag der Grünen gefordert. Gemeinsam mit der Abschaffung der Mindesteinkommensgrenzen könne so gegen "verdeckte Armut" angegangen werden. Barbara König vom Zukunftsforum Familie sprach sich ebenfalls für eine Wahlfreiheit und die Abschaffung der Einkommensgrenzen aus. Zudem müsse der Zuschlag auf 150 Euro monatlich pro Kind angehoben werden.
Auf die besondere Gefahr der Kinderarmut bei Alleinerziehenden verwies Peggi Liebisch, vom Verband für alleinerziehende Mütter und Väter. Sie kritisierte grundsätzlich, dass Erwerbstätigkeit teils nicht für die Existenzsicherung von Familien ausreiche. Der Kinderzuschlag werde daher nur als "Interimslösung" akzeptiert und müsse Kinder in Einelternfamilien zu überproportionalen Anteilen erreichen. Das sei mit dem Gesetzentwurf nicht gewährleistet. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßte den Ansatz im Gesetzentwurf, forderte jedoch ebenso wie die Grünen in ihrem Antrag ein "Gesamtkonzept". Skeptisch wurde die Forderung nach einem Wahlrecht zwischen ALG II und dem Kinderzuschlag bewertet. Der Verzicht auf ALG II bedeute auch den Verzicht auf Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen der Eltern.
Auf eine "Gerechtigkeitslücke" infolge der starren Mindesteinkommensgrenzen verwies Professor Reinhold Schnabel von der Universität Essen. Diese werde mit dem Gesetzentwurf teilweise "entschärft". Eine ideale Weiterentwicklung des Kinderzuschlages, so Schnabel, müsse gleichzeitig an den Einkommensgrenzen und dem Transferentzug absetzen. Eine fiskalisch tragfähige Austarierung des Transferentzuges könne "hunderttausende" Familien aus der ALG II-Bedürftigkeit herausholen, ohne die Arbeitsanreize zu senken. Aus Sicht von Schnabel sei dadurch eine spürbare Absenkung der Armut bei Mehrkindfamilien möglich. Die habe jedoch einen "fiskalischen Preis", der über 200 Millionen Euro deutlich hinausgehe.