Hanne Darboven erinnert mit der "12 Monate, Europa-Arbeit" im Lobby- und Pressesaal der CDU/CSU-Fraktion im dritten Obergeschoss an ein für Europas Zukunft entscheidendes Jahr: das "Europajahr" 1997. 384 Einzelblätter hat sie hierfür mit rhythmischer Reihung von Zahlen geschaffen. Jedem Tag des Jahres 1997 ist ein solches Blatt gewidmet.
Darboven hat nach einem Schema jeweils das Datum des Tages als
Zahlenkombination notiert. Dieses Schema hat sie auf allen
Blättern beibehalten. Aus der Entfernung, wenn die einzelnen
Zahlen nicht mehr lesbar sind, ergibt sich so ein zwar
handschriftlich-individuelles, aber doch weitgehend
gleichmäßig rhythmisiertes Erscheinungsbild der einzeln
gerahmten Blätter. Ein weiteres rhythmisierendes
Ordnungsschema schuf sie dadurch, dass sie die Blätter in
zwölf Blöcken monatsweise zusammengefasst hat, sodass
zwölf hochrechteckige Bildfelder entstanden sind. Hanne
Darboven hat jeden Block um die Blätter ergänzt, die
erforderlich sind, um die gleiche Zahl von 32 Blättern je
Monat zu erreichen. Bei diesen ergänzenden Blättern
handelt es sich um Fotocollagen mit dem Europa- Signum, wie es auf
Autoschildern aufgedruckt ist.
Hanne Darboven philosophiert gleichsam in ihrer Arbeit über
das bildlich nur schwer zu veranschaulichende Phänomen der
Zeit. Durch den meditativen und disziplinierten Akt des
täglichen Schreibens hat sich die Künstlerin für
sich selbst diese Zeiterfahrung angeeignet. Diese Erfahrung wird im
Kunstwerk nunmehr auch für den Betrachter als geradezu
musikalisch notiertes Zeitraster anschaulich. Das Jahr 1997, das
Europäische Jahr gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, ist
zugleich das Jahr, in dem die Außenminister der 15
Mitgliedstaaten der Europäischen Union am 2. Oktober den
Vertrag von Amsterdam unterzeichnet haben. Hanne Darbovens Arbeit
schlägt daher als Reflexion über das Wesen der Zeit als
philosophischen und historischen Begriff gerade in diesen
Räumen, in denen über den Tag hinausweisende politische
Konzepte der Presse vorgestellt werden, eine Brücke von der
Kunst zur Politik.
geboren 1941 in München, lebt und arbeitet in Hamburg.
Text: Andreas Kaernbach
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages