Berlin: (hib/MPI) Die von der Bundesregierung geplante Einrichtung von Pflegestützpunkten ist nicht nur in der Koalition, sondern auch unter Experten umstritten. In der zweiten von vier Anhörungen zur geplanten Pflegereform wies der Leiter des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherung an der Universität Bonn, Professor Gregor Thüsing, am Montag auf verfassungsrechtliche Probleme hin. Es bestehe die "Gefahr der Mischverwaltung", wie sie vor wenigen Wochen vom Bundesverfassungsgericht bereits im Fall der Arbeitsgemeinschaften zur Umsetzung der Hartz-Reformen beanstandet worden sei, sagte Thüsing. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Herbert Reichelt, betonte zwar, dass ein "individueller Rechtsanspruch auf Pflegeberatung dringend geboten" sei. Es sei aber "mehr als fraglich", ob dazu der "Aufbau völlig neuer Strukturen" sinnvoll sei. Auch sei der von der Regierung genannte Starttermin, der 1. Januar 2009, "eher unrealistisch".
Im Gesetzentwurf der Bundesregierung ( 16/7439) ist der Aufbau von rund 4.000 Pflegestützpunkten für jeweils rund 20.000 Einwohner vorgesehen. In diesen sollen sich Bürger individuell über Pflegeleistungen und -einrichtungen etc. informieren können. Während die SPD-Fraktion die Einrichtung von Pflegestützpunkten befürwortet, lehnt die Unions-Fraktion sie ab.
Die Leiterin des Sozialdezernats des Deutschen Städtetages, Verena Göppert, hob in der Anhörung hervor, die Beratung aus einer Hand sei richtig. Allerdings müssten die Verantwortlichkeiten klar geregelt sein. Die Kommunen stünden bereit, die Koordinierungsfunktion zu übernehmen. Für den AWO Bundesverband führte Mona Frommelt aus, dass es etwa in Nürnberg hervorragende Erfahrungen mit vernetzten Beratungsangeboten gebe. Diesen fehle aber noch die Durchsetzungskraft, für die der Gesetzentwurf sorge. Der Einzelsachverständige Dr. Peter Weskamp wies darauf hin, dass mit den Pflegestützpunkten erstmals eine nachhaltige und qualitative Beratung ermöglicht werde. Auch die Aktion Psychisch Kranke unterstützte den Entwurf. Gerade für Menschen, die selbst nicht gut in der Lage seien, ihre Pflege selbst zu organisieren, sei eine leistungsübergreifende Anlaufstelle mit regionalem Bezug wichtig.
Dagegen monierte Gerd Kukla vom IKK Bundesverband, die ins Auge genommene Anschubfinanzierung für die Pflegestützpunkte reiche nicht aus. Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Cornelia Goesmann, sagte, die Stützpunkte würden ausschließlich der Organisation und Verwaltung von Leistungen dienen. Der eigentlichen Versorgung könnten so beträchtliche Mittel entzogen werden. Dadurch drohten den Pflegekassen finanzielle Engpässe, so Goesmann. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege warnte, die vielfach schon jetzt vorhandenen Beratungsstellen seien nicht ausreichend in die Pläne einbezogen. Doppelstrukturen müssten vermieden werden.
Als "sehr positiv" wertete die Deutsche Alzheimergesellschaft (DAlzG) die erstmalige Berücksichtigung von Demenzerkrankungen. Laut dem Entwurf erhalten Demenzkranke, psychisch Kranke und geistig behinderte Menschen künftig eine Zusatzleistung von bis zu 2.400 Euro jährlich, auch wenn für sie lediglich ein Betreuungs- und kein erheblicher Pflegebedarf nachgewiesen wird. Die DAlzG-Geschäftsführerin Sabine Jansen machte sich wie Goesmann dafür stark, von einer abgestuften Auszahlung abzusehen.
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