Berlin: (hib/HAU) Als "ersten Schritt in
die richtige Richtung" bezeichnen Sachverständige die von den
Koalitionsfraktionen geplanten Änderungen beim Kinderzuschlag.
Das wurde bei einer öffentlichen Anhörung des
Familienausschusses am Montagmittag deutlich. Ein von der Koalition
vorgelegter Gesetzentwurf (
16/8867) sieht unter anderem vor, die
Mindesteinkommensgrenzen abzusenken und damit den Kreis der
Berechtigten auszuweiten. Ein ebenfalls diskutierter Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (
16/8883) fordert die vollständige
Abschaffung der Mindest- und Höchsteinkommensgrenzen. Der
Kinderzuschlag, so erläuterte Michael Böhmer vom
Zukunftsforschungsunternehmen Prognos AG, habe die Zielsetzung
gehabt, Familien mit einem geringen Erwerbseinkommen aus dem Bezug
von Arbeitslosengeld II (ALG II) herauszuholen und damit sowohl
eine "Stigmatisierung" zu vermeiden als auch Kinderarmut zu
verhindern. Derzeit würden jedoch nur 13 Prozent aller
gestellten Anträge bewilligt. Mit den vorgeschlagenen
Änderungen, so Böhmer, schaffe man mehr Transparenz und
erreiche eine Ausweitung des Bezieherkreises. Auch die
"Abschmelzung" der Transferentzugsrate, sei richtig und führe
dazu, dass sich aus einem zusätzlichen Arbeitseinkommen auch
ein zusätzliches Haushaltsnettoeinkommen ergäbe. Trotz
dieser positiven Aspekte dürfe der Entwurf nur als erster
Schritt zu einer Optimierung betrachtet werden. Auch die
Verteilungsforscherin Irene Becker sieht weiteren Handlungsbedarf.
Aus ihrer Sicht müsse es ein Wahlrecht zwischen dem Empfang
von ALG II und den Kinderzuschlag geben, wie auch im Antrag der
Grünen gefordert. Gemeinsam mit der Abschaffung der
Mindesteinkommensgrenzen könne so gegen "verdeckte Armut"
angegangen werden. Barbara König vom Zukunftsforum Familie
sprach sich ebenfalls für eine Wahlfreiheit und die
Abschaffung der Einkommensgrenzen aus. Zudem müsse der
Zuschlag auf 150 Euro monatlich pro Kind angehoben werden. Auf die
besondere Gefahr der Kinderarmut bei Alleinerziehenden verwies
Peggi Liebisch, vom Verband für alleinerziehende Mütter
und Väter. Sie kritisierte grundsätzlich, dass
Erwerbstätigkeit teils nicht für die Existenzsicherung
von Familien ausreiche. Der Kinderzuschlag werde daher nur als
"Interimslösung" akzeptiert und müsse Kinder in
Einelternfamilien zu überproportionalen Anteilen erreichen.
Das sei mit dem Gesetzentwurf nicht gewährleistet. Der
Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßte den
Ansatz im Gesetzentwurf, forderte jedoch ebenso wie die Grünen
in ihrem Antrag ein "Gesamtkonzept". Skeptisch wurde die Forderung
nach einem Wahlrecht zwischen ALG II und dem Kinderzuschlag
bewertet. Der Verzicht auf ALG II bedeute auch den Verzicht auf
Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen der Eltern. Auf
eine "Gerechtigkeitslücke" infolge der starren
Mindesteinkommensgrenzen verwies Professor Reinhold Schnabel von
der Universität Essen. Diese werde mit dem Gesetzentwurf
teilweise "entschärft". Eine ideale Weiterentwicklung des
Kinderzuschlages, so Schnabel, müsse gleichzeitig an den
Einkommensgrenzen und dem Transferentzug absetzen. Eine fiskalisch
tragfähige Austarierung des Transferentzuges könne
"hunderttausende" Familien aus der ALG II-Bedürftigkeit
herausholen, ohne die Arbeitsanreize zu senken. Aus Sicht von
Schnabel sei dadurch eine spürbare Absenkung der Armut bei
Mehrkindfamilien möglich. Die habe jedoch einen "fiskalischen
Preis", der über 200 Millionen Euro deutlich hinausgehe.
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Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
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(ab 01.04.2008 )
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