Der Alltag der Kinder und Jugendlichen wird wesentlich geprägt durch elektronische Medien. Neben den herkömmlichen technischen Geräten wie dem Fernsehen oder dem Radio gehören das Internet, das Handy oder Spielekonsolen zum jugendlichen Alltag. 92 Prozent aller Jugendlichen verfügen mittlerweile über ein eigenes Handy.
Die virtuelle Welt kann neurobiologische und psychologische Auswirkungen bei den Kindern und Jugendlichen verursachen. Die daraus erwachsenen Gefahren sind keineswegs zu unterschätzen. Eine neue Welle der Diskussion wurde zuletzt durch die Funde von gewalthaltigen und pornographischen Inhalten auf den Handys von Jugendlichen ausgelöst. Sogenannte Happy-Slapping-Filme oder Snuff-Videos treten immer häufiger auf. Diese Videos mit brutalen, teilweise illegalen Inhalten auf den Handys von Kindern verunsichern zunehmend Eltern, Kinder und Pädagogen. Maßnahmen, wie ein Handyverbot an Schulen, reichen aber bei weitem nicht aus, um diesem Problem effektiv begegnen zu können.
Aufgrund dieser Tatsachen hat sich die Kinderkommission des Deutschen Bundestages mit dem Thema „Kinder und Medien“ auseinandergesetzt. In den Mittelpunkt wurden dabei die Auswirkungen einer missbräuchlichen Handynutzung sowie eines erhöhten Medienkonsums gestellt. Ebenfalls thematisiert wurde die Frage, wie man am besten die Problemfamilien erreichen kann. Nach Expertenanhörung hat die Kinderkommission zahlreiche Forderungen zu diesen Bereichen formuliert, die im Folgenden aufgezählt werden.
Der Ausgangspunkt für die Kinderkommission waren folgende
Erkenntnisse von eingeladenen Experten:
der einfachste und wirksamste Weg ist die Reduktion des
Medienkonsums;
trotz der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen wie dem
Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder oder dem
Jugendschutz-Gesetz des Bundes bestehen enorme Defizite, um Kinder
und Jugendliche vor den negativen Folgen der Medien wie Fernseher,
Internet oder Handys effektiv schützen zu
können;
in Deutschland gibt es kein anerkanntes Jugendschutzprogramm
für das Internet, das einen sicheren Schutz der Kinder und
Jugendlichen gewährleistet;
Computerspiele oder jugendgefährdendes Material wie
Gewaltvideos sind für die Jugendlichen einfach aus dem Netz zu
besorgen, insbesondere auch aus dem Ausland;
die technischen Vorkehrungen der Handys, die den Erhalt dieser
brutalen Videos unterbinden könnten, sind häufig
unzureichend;
männliche Jugendliche spielen eher die brutalen
Computerspiele, was sich dann unter Umständen in einem
aggressiveren Verhalten bemerkbar machen kann;
die Nutzungsintensität und -häufigkeit der jungen
Mediennutzer korreliert mit deren Wissen und schulischen
Leistungen, das heißt, je mehr man fernsieht, desto
schlechter können die Schulnoten ausfallen;
psychologische Auswirkungen wie z. B. Schlafstörungen
können bei denjenigen Jugendlichen auftreten, die mit
Snuff-Videos oder Happy-Slapping-Filmen unmittelbar konfrontiert
werden;
weitere negative Auswirkungen sind z. B. gesundheitliche
Folgeschäden wie Essstörungen oder ein Hang zur
Selbstüberschätzung;
weitere wichtige Potentiale der Kinder und Jugendlichen gehen
zudem verloren bzw. werden nur ungenügend gefördert,
Möglichkeiten zur Entwicklung des persönlichen
Vorstellungsvermögens werden
eingeschränkt;
Eltern, Erzieher und Pädagogen können häufig die
Handys der Kinder und Jugendlichen nicht auf jugendgefährdende
Inhalte überprüfen, da ihnen hierzu oftmals ein
Überblick über die technischen Vorkehrungen der Handys
fehlt;
ein großes Gefahrenpotential geht vom Internet aus –
neben einer möglichen Abhängigkeit (Online-Sucht), ist
dieses Medium am wenigsten kontrollierbar, denn zukünftig
können Kinder und Jugendliche vermutlich immer und
überall online sein, auch außerhalb des Elternbereichs,
was deren Kontrollmöglichkeiten deutlich
einschränkt;
in Problemfamilien entwickelt sich der Fernseher als Ersatz
für gemeinsame Freizeitaktivitäten oder
Gesprächsrunden im Familienkreis, oftmals dient er lediglich
dazu, das Familienleben „aufrechtzuerhalten“;
neben einer schwach ausgeprägten Medienkompetenz,
verfügen die Eltern dieser Familien über ein
unzureichendes Problembewusstsein sowie über keine
Risikoabschätzung über die Folgen der falschen
Mediennutzung, was die Startchancen ihrer Kinder z. B. aufgrund
schlechter schulischer Leistungen stark einschränken
kann;
bestehende pädagogische Angebote und Maßnahmen werden
häufig von den Problemfamilien als Eingriff in ihre
Privatsphäre verstanden und daher abgelehnt;
umstrittene Sendungen wie z. B. die „Super Nanny“ werden von den Problemfamilien häufig gesehen.
Vor diesem Hintergrund und den aktuellen Entwicklungen ergeben sich für die Kinderkommission Forderungen, die sich an unterschiedliche Bereiche und Adressaten richten:
Bereich der Gesetzgebung und institutioneller Einrichtungen:
während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007
sollten Regelungen und Maßnahmen zum Schutz vor
rechtswidrigen und sonstigen jugendgefährdenden Inhalten in
den Netzen durch Vereinbarungen über internationale
Mindeststandards und Aktionsprogramme initiiert werden;
die rechtlichen Grundlagen im Bereich des Jugendmedienschutzes
sind hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Aktualität vom
Gesetzgeber zu überprüfen und ggf. zu
novellieren;
der Dialog mit den Bundesländern ist zu intensivieren, um
folgende Eckpunkte zu beraten:
- über ein Verbot von sog. Killerspielen muss nachgedacht
werden
- die Altersgrenzen für die Freigabe von Filmen und Spielen
sowie die Alterskennzeichnung von Computerspielen muss
überprüft werden;
die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften sollte sowohl technisch als auch personell adäquat
ausgestattet werden, um konsequent und umfassend auf neue
Herausforderungen im Bereich der neuen Medien reagieren zu
können;
Kinder und Jugendliche benötigen eine vernünftige
Tagesstruktur, daher sollten z. B. Ganztagsschulen nachhaltig
gefördert werden;
auf die Gefahren und Konsequenzen einer Spielsucht oder eines
missbräuchlichen Handy-Umgangs ist durch den Gesetzgeber und
die Spielindustrie mittels einer Aufklärungskampagne, die bis
in die Kindergärten und Schulen reichen sollte, gezielt
aufmerksam zu machen;
über eine höhere Besteuerung von Computerspielen mit gewalthaltigem Charakter ist nachzudenken;
Bereich der Betreuung und Beratung:
Beratungs- und Betreuungsangebote, die sich an Eltern richten,
sollten auf ihre Effektivität überprüft und ggf.
erweitert werden;
sozialpädagogische und therapeutische Beratungs- und
Betreuungsmaßnahmen sollten gefördert werden, um
Familien in ihren Bestrebungen, sich Medienkompetenz anzueignen, zu
unterstützen;
Eltern-Coaching, gerade von Müttern aus Problemfamilien,
kann hier eine sinnvolle Alternative bieten;
um die Effektivität dieser Maßnahmen zu erhöhen,
sollte die Vernetzung von Elternhaus, Schulen,
Kinderbetreuungseinrichtungen, Bildungs- und Beratungseinrichtungen
sowie der Austausch von Medienschaffenden, Medienpädagogik und
Medienwissenschaft intensiviert werden;
Beratungs- und Betreuungsangebote sollten möglichst
wohnortnah und im sozialen Umfeld (z. B. in Arztpraxen oder
Bäckereien) der betroffenen Familien zur Verfügung
gestellt werden;
die Vermittlung von Medienkompetenz sollte möglichst
früh beginnen, so könnten z. B. in Schulen
Medienarbeitsgruppen eingesetzt werden, in denen Kinder ganz
praktisch den Umgang mit den Geräten lernen
können;
die Kontaktaufnahme bzw. die aufgenommene Betreuung der
Problemfamilien muss behutsam und gezielt stattfinden, um eine
ablehnende Haltung dieser Familien gegenüber den Betreuern und
Pädagogen zu verhindern;
individuelle pädagogische Beratungsangebote (z. B.
Telefon-Hotlines) oder Internetangebote sind zu
begrüßen, denn sie können einen wirksamen Beitrag
leisten, die Eltern in den Problemfamilien besser
anzusprechen;
Informationsmaterialien sind zielgruppenorientiert anzubieten,
beispielsweise an die Eltern in Form von DVD´s in Kliniken,
Postern oder „Junior-Tüten“;
grundsätzlich sollten die Angebote niederschwellig, mehrsprachig und elterngerecht ausgerichtet sein;
Bereich der Anbieter und Hersteller von Medien:
der Zugriff auf jugendgefährdende Internetseiten muss von
den Anbietern durch die Implementierung entsprechender technischer
Standards stärker verhindert werden, wie sie schon zum Teil
von Suchmaschinen berücksichtigt werden, deren Anbieter eine
entsprechende Vereinbarung mit der Bundesprüfstelle
haben;
die Gerätehersteller von Handys und mobilen Endgeräten
sollten diese in einer kindersicheren Grundkonfiguration
ausliefern, bei der riskante, beeinträchtigende und
jugendgefährdende Angebote jeweils erst von befugten Personen
freizuschalten sind;
die Einrichtung einer „Elternhotline“ durch die
Mobilfunkanbieter kann dies unterstützen;
die Mobilfunkanbieter sollten ihre Marketingstrategie
dahingehend ändern, dass Aspekte wie Jugendschutz oder
Sicherheit vor allem in das Blickfeld der Eltern gelangen, um sie
so schon vorab für diese Probleme sensibilisieren zu
können;
die Bereitstellung der Informationsmaterialien sollte durch Medienschaffende gefördert werden.