KINDERBETREUUNG
Deutschland streitet um das Familienbild der Zukunft. Im Bundestag herrscht darüber weitgehend Einigkeit. Wahlfreiheit muss her!
Die Besucherin hat Recht. Es ist schon komisch. Da läuft in Deutschland eine heiße Debatte um Raben- und Hausmütter, "Gebärmaschinen" und Wahlfreiheit, Kleinkinderbetreuung und Familienbilder, und wenn der Bundestag darüber debattiert, scheint es keinen so Recht zu interessieren.
Während sich "draußen" momentan kaum jemand nicht dazu berufen fühlt, die Situation der Familien zu analysieren, wird "drinnen" im Bundestag zumindest laut Tagesordnung der dem Namen nach sperrige "Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren 2006" ( 16/2250 ) debattiert. Eigentlich geht es aber um Kinder- und Familienpolitik im Allgemeinen.
Dabei bleiben die Fachpolitiker wie so häufig unter sich. Und sie sind sich eigentlich einig. Zumindest grundsätzlich - was man innerhalb von CDU/CSU, SPD und der Koalition bisher nicht unbedingt behaupten kann. Auch deshalb muss sich Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), die derzeit heftig unter Beschuss steht, ärgern, dass sie an diesem Nachmittag des 1. März keine Zeit für die bundestägliche Familiendebatte hatte und sich von Staatssekretär Hermann Kues vertreten ließ.
Eigentlich scheint die mit so viel Emotion geführte Diskussion über das Für und Wider der Tagesbetreuung unter Dreijähriger überflüssig zu sein, wie Ekin Deligöz von den Grünen feststellte. Familien brauchen Wahlfreiheit, betonten die Redner der fünf Fraktionen so gebetsmühlenhaft, dass es schon fast unheimlich war.
"Wir wollen, dass die Eltern selbst entscheiden, wie ihr Kind betreut wird", stellte Johannes Singhammer (CSU) klar und beteuert "Für uns steht die Wahlfreiheit an erster Stelle." Die Unionsparteien sagten klar "Ja" zu mehr Betreuungsmöglichkeiten für unter Dreijährige. Auf die etwas verwunderte Nachfrage von der FDP, ob er sich mit dieser Meinung denn der Zustimmung all seiner Kollegen sicher sein könne, speziell der bayerischen Unionisten, betonte Singhammer: "Wir versammeln uns alle hinter dem Begriff der Wahlfreiheit."
Das scheint in der Union entweder so selbstverständlich, dass die Abgeordneten es nicht für beklatschenswert halten, oder die Christdemokraten waren selbst so überrascht über das klare Bekenntnis ihres Kollegen, dass sie vor Schreck oder gar aus Freude zu klatschen vergaßen. Der zustimmende Applaus der Union bedurfte jedenfalls erst der ungläubigen Aufforderung der Liberalen: "Wo bleibt der Beifall?"
Die Union setze mit ihrem Konzept auf Vielfalt und individuelle Freiheit, sagte Singhammer. Denn ebenso wie Wahlfreiheit bestehen müsse,müsse auf der anderen Seite Respekt vor dem traditionellen Bild von Familie und Mutterrolle herrschen. Auch da sind sich die Fachpolitiker einig.
"Echte Wahlfreiheit zwischen Erziehungsmodellen" ist auch das, was die SPD sich wünscht. Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) hätten die Sozialdemokraten dazu einen wichtigen Grundstein gelegt, lobte Karin Marx (SPD). Der Bericht belege den bisherigen Ausbau der Tagesbetreuung für Kleinkinder. Durch das TAG seien bisher 21.500 neue Krippenplätze geschaffen worden. Aber der SPD gehe es nicht darum, "ein bestimmtes Familienmodell voranzubringen". Auch mit einer CDU-Ministerin trage moderne Familienpolitik die Handschrift der SPD, betonte sie.
Mit im Boot, das Wahlfreiheit heißt, sitzt natürlich auch die FDP. Allerdings werde, kritisierte Ina Lenke, die Familienpolitik bisher nicht dem gesellschaftlichen Wandel gerecht: "Es fehlt an marktwirtschaftlichen Konzepten." Auch das Elterngeld sei kein großer Wurf gewesen. Nach Meinung der Liberalen hatte es "am Gesamtkonzept gefehlt". Obwohl sie den von der SPD jüngst vorgelegten Finanzierungsvorschlag "ausdrücklich" begrüße, warnte Lenke, es dürfe nicht zu einem "Familien sollen Familien finanzieren" kommen.
Da ist sie sich einig mit ihrer Kollegin Diana Golze von der Linksfraktion. "Es darf nicht so sein, dass Schulkinder durch eine Kürzung des Kindergelds den Krippenplatz ihrer Geschwister finanzieren", stellt die klar. Das Elterngeld sei lange nicht für alle Eltern ein Gewinn, sondern vielmehr ein Oberklasse-Föderprogramm.
Zur Finanzierung des von den Linken geforderten "konsequenten Ausbaus der Kindertagespflege" schlägt Golze die Kappung des Ehegattensplittings und die Einführung einer Börsenumsatzsteuer vor.
Die Ernsthaftigkeit der Pläne der Koalition, moderne Familienmodelle zu ermöglichen, bezweifelt Ekin Deligöz von den Grünen: "Wer für echte Wahlfreiheit steht, darf keine Ideologiedebatten führen." Das von der Union favorisierte Familiensplitting sei der falsche Weg; denn auch in diesem Modell würden nur Besserverdiener profitieren.
Den wichtigsten Verbündeten im Kampf um mehr Wahlfreiheit haben die Abgeordneten jedenfalls schon auf ihrer Seite und müssen ihn nicht erst überzeugen: das Volk - jedenfalls die klare Mehrheit dessen. Im neuesten ARD-Deutschlandtrend fordern 52 Prozent der Befragten die Einrichtung von mehr Betreuungseinrichtungen. Nur jeweils 18 Prozent halten mehr steuerliche Vergünstigungen und höheres Kindergeld für die beste Förderungsmöglichkeit von Familien.