Wendebiografie
Robert Ide über DDR und Mauerfall
Es ist ein Schnappschuss von 1990. Eine Familie sitzt um den Wohnzimmertisch in Berlin-Pankow, Geldscheine in der Hand, die Mienen changieren zwischen Skepsis und Triumph. Der Blitz spiegelt sich in den blanken Kacheln des Ofens, ein letztes Aufflackern der Vergangenheit - der Fotograf kaufte das Licht von seinem letzten DDR-Geld. Und brachte dann den Einzug der D-Mark in seine ostdeutsche Familie zum Leuchten.
Der Fotograf war Robert Ide. Sein Sittenbild mit Fremdwährung steht stellvertretend für alles, was mit der Ost-West-Beziehung vor und nach der Deutschen Einheit assoziiert wird: Sozialismus und Kapitalismus, Grönemeyer-LPs aus dem Intershop, blühende Landschaften, Arbeitslosigkeit. 17 Jahre später schreibt Robert Ide über die "Geteilten Träume": ein Versuch, die Entfremdung zu verstehen, die ihn von der Generation seiner Eltern trennt.
"Verzweiflung ist Hoffnung minus Mut." Diese bedrückende Gleichung macht "Tagesspiegel"-Redakteur Ide auf, wenn er auf seine Jugend zurückblickt. Er macht sich auf die Suche nach der "Erinnerung an ein Leben, von dem der Westen sowieso keine Ahnung hat". Ganz Reporter spürt er seine alte subversive Lehrerin auf, die jetzt als Direktorin resigniert; er redet mit Heinz Florian Oertel, seinem Sportreporterhelden, der in Märtyrerposen gefangen ist; er konfrontiert Jobst Wellensiek, Chef-Liquidierer nach der Wende, der auch Interflug abwickelte und Arbeitgeber von Ides Mutter war.
Beim Mauerfall war Ide gerade 14. Für ihn fiel der historische Umbruch mit dem biologischen zusammen. Genau da liegt das Problem: Die Emanzipation vom Elternhaus ist normal, für Ide ist es immer nur die Loslösung von der DDR-Vergangenheit und der Unflexibilität seiner Eltern. Nostalgie der eigenen Jugend gegenüber kennen auch Westler. Ides Schlüsselbegriffe wie die Kinderbuchfigur Alfons Zitterbacke bringen in ihrer Penetranz ebenso wenig Erkenntnisgewinn wie das "Brauner Bär"-Eis für die "Generation Golf". Ähnliches kennt man aus Jana Hensels "Zonenkinder". Die Jugend gleicht für jeden einem untergegangenen Land - man hat "Fernweh".
Ides Wende-Biografie ist stark, wenn er die Protagonisten von einst aufsucht. Unglücklicherweise verkrallt er sich in die immergleichen Bilder, nach der Hälfte kippt Redundanz in Geschwätzigkeit. "Mut = Hoffnung - Verzweiflung", rechnet Ide vor. Sein Buch hätte definitiv mehr davon vertragen können.
Geteilte Träume. Meine Eltern, die Wende und ich.
Luchterhand Verlag, München 2007; 224 S., 14,95 ¤