SPD
Pünktlich zum Parteitag gibt es jede Menge Zündstoff. Mit Becks Wiederwahl ist aber zu rechnen.
Parteitage haben ihre eigene Choreografie. Schon Monate vorher werden in den Parteizentralen die Dramaturgie detailliert festgelegt, Haupt- und Nebendarsteller auserkoren, das Publikum gewählt. Nichts ist den Regisseuren dieser Großereignisse so verhasst wie spontane Auftritte. Zu schnell können sich Delegiertentreffen verselbstständigen - die SPD-Parteitage in Mannheim 1995 und Bochum 2003 lehrten dies. Ähnliches könnte in Hamburg passieren, wenn am 26. Oktober die Sozialdemokraten zusammenkommen. Arbeitslosengeld I, Bundeswehreinsatz in Afghanistan, Bahnreform, Erbschaftsteuer und Wehrpflicht sind nur einige Streitthemen. Außerdem sollen ein neues Grundsatzprogramm beschlossen und der Parteivorstand neu gewählt werden.
Spannender erscheint aber im Moment der innerparteiliche Machtkampf, den sich Parteichef Kurt Beck sowie Arbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering seit Wochen liefern. Nach außen geht es um die Frage, wie lange ältere Erwerbslose Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben. In seiner Agenda-Rede am 16. April 2003 kündigte der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) eine Kürzung auf in der Regel zwölf Monate an. Müntefering, der bis dahin als Fürsprecher der kleinen Leute in der SPD galt, setzte die ungeliebten Reformen gegen den erbitterten Widerstand der Partei mit durch. Pünktlich vor dem Delegiertentreffen hat Beck "das Ende der Zumutungen" ausgerufen und eine "Gerechtigkeitslücke" entdeckt, die es zu füllen gilt. Er will, dass vor allem Ältere länger Arbeitslosengeld I bekommen und die Zahlung auf maximal 24 Monate ausgeweitet wird. Die Delegierten werden ihm aller Voraussicht nach mit großer Mehrheit folgen.
Offiziell hat Beck den Machtkampf für sich entschieden, doch sieht der Pfälzer nicht wie ein Gewinner aus. "Damit kann Beck nicht beim Wähler punkten", urteilt der Meinungsforscher Manfred Güllner. "Das ist ein Pyrrhussieg." Seit Monaten dümpelt die SPD mit rund 25 bis 29 Prozent der Wählergunst im Umfragetief. Im direkten Vergleich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schneidet der SPD-Chef noch schlechter ab: Seine Popularitätswerte liegen bei etwa 15 Prozent.
Schon lange wurde in der SPD die Machtfrage nicht mehr so erbittert gestellt. Viele Genossen erinnern sich noch mit Schaudern an den Mannheimer Parteitag 1995, als Oskar Lafontaine in einer Husarenaktion Mehrheiten organisierte und den profillosen Parteichef Rudolf Scharping aus dem Amt kegelte. Was folgte, waren offen ausgetragene Scharmützel zwischen Lafontaine und dem damaligen Kanzlerkandidaten Schröder. 1999 nach dem Sieg von Rot-Grün holte Lafontaine zum finalen Schlag aus und schmiss das Amt des Finanzministers hin. Viele damalige Weggefährten fürchten, auch über dem Hamburger Congress Center könne ein Hauch von Mannheim wehen.
Doch so weit ist es noch nicht. "Ich bin gerne Vizekanzler. Ich bin gerne Minister", verkündete Müntefering nach einem Krisengipfel in der vergangenen Woche in Mainz, der eigentlich einen Kompromiss herbeiführen sollte. Es gebe weiterhin "unterschiedliche Auffassungen". Aber "Mehrheit ist Mehrheit", fügte der Vizekanzler hinzu und versprach, sich dem Willen der Partei zu beugen. Nach wie vor glaubt Müntefering allerdings, die besseren Argumente zu haben.
Machtkämpfe in Parteien werden von den Menschen mehrheitlich negativ bewertet, meint der Berliner Professor Oskar Niedermayer. "Der Vorschlag von Beck wird als reine Wahltaktik empfunden", so der Politologe. Mittelfristig müsse die SPD am Ball bleiben, wenn sie in der Wählergunst wieder zulegen wolle. Die Menschen müssten nach der Agenda 2010 wieder das Gefühl haben, die SPD setze sich für ihre Probleme ein, rät der Politikwissenschaftler.
Die Rivalität zwischen Beck und Müntefering hat tiefe Wurzeln. Beck hält dem Vizekanzler vor, 2006 seinen rheinland-pfälzischen Wahlkampf torpediert und ohne Not ein Vorziehen der Rente mit 67 gefordert zu haben. Vor einigen Wochen war Beck die ewige Nörgelei an seiner Person und das Infragestellen seiner Führungsqualitäten leid. Auf einer Sitzung im SPD-Vorstand explodierte der Pfälzer und schimpfte auf "Heckenschützen", die "hinter Büschen sitzen und mehr oder weniger Intelligentes erzählen - auf jeden Fall Unverantwortliches". Gemeint war auch das Müntefering-Lager.
Müntefering seinerseits erinnert sich genau an die Gemengelage vor fast zwei Jahren, als er im Parteivorstand seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel als Generalsekretär nicht durchsetzen konnte und daraufhin vom SPD-Vorsitz zurücktrat. Beck war nicht da, weilte im Urlaub und dachte nicht daran, für Müntefering Partei zu ergreifen.
Ein Barometer für die Stimmung in der Partei sind Wahlergebnisse. Es ist das erste Mal, dass sich Beck auf einem regulären Parteitag dem Votum der Delegierten stellt. Im Mai 2006 wurde er auf einem Sonderparteitag mit einem Traumergebnis von 95 Prozent ins Amt gewählt. Nach den Rücktritten von Müntefering und des brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck sehnte sich die SPD nach Stabilität. Becks größter Bonus ist jetzt: Es gibt keinen, der ihm auch nur annähernd den Parteivorsitz streitig machen könnte. Außerdem stehen 2008 mit Niedersachsen, Hessen und Hamburg drei Landtagswahlen an.
Viel Kopfzerbrechen dürfte den Parteistrategen die Diskussion über die in der SPD ungeliebte Bahnreform bereiten. "Es gibt kein Zurück", hatte Fraktionschef Peter Struck die Marschrichtung vorgegeben. Zahlreiche SPD-Landesverbände lehnen indes die Teilprivatisierung des Unternehmens ab. In dem neuen Parteiprogramm, das ebenfalls in Hamburg beschlossen werden soll, sprechen sich die Genossen klar für einen Personenverkehr aus, der öffentliche Aufgabe ist. Um der Parteibasis entgegenzukommen, brachte Beck stimmrechtslose Volksaktien ins Spiel. Doch auch dieses Modell ist heikel und nicht unumstritten.
Mit ihrem neuen Grundsatzprogramm versucht die SPD den Spagat zwischen Traditionalismus und Modernisierung. Die Genossen bekennen sich weiter zum "demokratischen Sozialismus" und verweisen auf ihre Wurzeln als Arbeiterpartei. Verabschiedet hat sich die SPD allerdings von dem Begriff der "neuen Mitte" und setzt stattdessen auf eine "solidarische Mehrheit" und den "vorsorgenden Sozialstaat" als Leitbild für das 21. Jahrhundert.