Finanzkrise
Dem Land droht die Staatspleite und es streitet vor den Parlamentswahlen über den Beitritt zur EU
Die Isländer und die EU, das war lange ein Verhältnis wie zwischen Galliern und Römern in den Asterix-Comics. Der Inselstaat im Nordatlantik sah sich bis vor kurzem gemeinsam mit Norwegen als letzte Bastion eines unabhängigen westeuropäischen Nationalstaates. Nun ist das Land wirtschaftlich am Boden, und die EU könnte sich als Retter in der Not erweisen. Eine politische Mehrheit für den Beitritt ist aber alles andere als sicher. Die Unternehmen - mit Ausnahme der Fischerei - sind für den Beitritt, und neuerdings auch die Gewerkschaften. Doch politisch gab es bislang keine Mehrheit. Nun ist klar, dass eine stabile Währung Voraussetzung für den Wiederaufbau der Wirtschaft ist. "Mit dem Euro gilt die EU vielen als sicherer Hafen. In der derzeitigen Krise wäre es daher logisch, wenn die EU bei der politischen Elite und der Bevölkerung so viel Rückhalt hätte wie nie zuvor. So ist es aber nicht. Es rächt sich nun, dass eine unvoreingenommene öffentliche Debatte über das Für und Wider einer EU-Mitgliedschaft lange versäumt wurde", sagt Audunn Arnórsson.
Der Politikwissenschaftler und Auslandschef bei der Zeitung "Frettabladid" hat gerade ein Buch über den möglichen EU-Beitritt seiner Heimat geschrieben. Wenn das Werk erscheint, haben die Politiker trotz der anhaltenden EU-Skepsis ein Hindernis auf dem Weg zur EU womöglich beseitigt. Mit der Sozialdemokratin Jóhanna Sigurdardóttir ist seit Anfang Februar eine EU-Befürworterin Regierungschefin. Sie hat durchgesetzt, dass noch vor den Wahlen am 25. April eine Verfassungsänderung auf den Weg gebracht wird. "Für uns wäre es jetzt das Beste, EU und Euro beizutreten", sagt sie. Die Ministerpräsidentin führt eine Minderheitsregierung aus ihrer sozialdemokratischen Samfylking und den EU-skeptischen Links-Grünen (Vinstri-grænir) mit Duldung durch die Zentrumspartei (Framsóknarflokkur). Bisher verbietet es die isländische Verfassung, Souveränitätsrechte in dem Umfang abzutreten, wie es ein EU-Beitritt bedeuten würde. Durch die Verfassungsänderung soll dies beseitigt werden - der formale Weg zum Beitrittsgesuch wäre frei. Allerdings müssen Verfassungsänderungen auf Island stets von Parlamentsmehrheiten in zwei aufeinanderfolgenden Wahlperioden beschlossen werden. Nach den Neuwahlen muss sich also wieder eine Mehrheit für den Vorschlag finden.
Ob ein Beitritt zum Staatenbunde dann wirklich angegangen wird, hängt vom Ausgang der Wahlen ab und davon, wie die Parteien in der EU-Frage Stellung beziehen. Eine Mehrheit für die Bestätigung der Verfassungsänderung dürfte erheblich leichter zu bekommen sein als eine Mehrheit für die EU. "Die Sozialdemokraten hoffen, dass sie größte Partei werden und das Mandat bekommen, eine Regierung zu bilden, die klaren Kurs auf EU und Euro nimmt. Wenn aber die Links-Grünen mehr Stimmen bekommen, sieht die Sache ganz anders aus", so Arnórsson. Die Links-Grünen werden vorerst an ihrem prinzipiellen Nein zur EU festhalten. Um an der Macht zu bleiben, sind sie aber zu Kompromissen bereit. Wenn die Sozialdemokraten andere Pro-EU-Mehrheiten bilden könnten, vergrößert das die Chancen, die Links-Grünen in dieser Frage unter Druck zu setzen. Bisher ist erst eine weitere Partei auf Pro-EU-Kurs eingeschwenkt. Lange Jahre waren die Sozialdemokraten allein auf weiter Flur; im Januar hat sich die in dieser Frage zerstrittene Zentrumspartei zu einem offiziellen Ja zum Staatenbund durchgerungen. Doch die Partei wird nach den Wahlen nicht genug Sitze haben, um mit den Sozialdemokraten alleine zu regieren und gemeinsam mit diesen den Beitritt anzusteuern. Allerdings könnte das Wahlergebnis ergeben, dass - wie in der derzeitigen Minderheitsregierung auch - Sozialdemokraten und Links-Grüne allein zu klein und wieder auf die Zentrumspartei angewiesen sind. Dann steigt die Chance für den EU-Beitritt.
Derzeit sieht es so aus, als würde die konservative Unabhängigkeitspartei (Sjálfstæisflokkur ist auch die Partei des Zentralbankdirektors und ehemaligen Politikers Davíd Oddsson, der bis 2004 Regierungschef war. Unter seiner Ägide wurden die Banken privatisiert und später die Geldpolitik gemacht. Als die Finanzinstitute privatisiert wurden, gingen die Anteile nicht an ausländische Banken, sondern an isländische Unternehmer mit guten Beziehungen zur Politik. "Diese Leute waren auch noch in anderen Branchen aktiv und benutzten dann ihre eigenen Banken, um die Expansion ihrer Unternehmen zu finanzieren. Die Risikokontrolle funktionierte nicht mehr, weil die Banken nicht unabhängig waren. Hinzu kam, dass Island als kleines Land eine schwache Finanzaufsicht hatte und keine Erfahrung bei der Kontrolle von Banken", sagt Gylfi Zoega, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Island. In der Öffentlichkeit wird der Unabhängigkeitspartei deshalb die Hauptverantwortung für die derzeitige isländische Krise gegeben. Der dritte Platz dürfte bei den Wahlen Ende April dennoch drin sein. Die Partei wird im März auf einem Sonderparteitag einen neuen Vorsitzenden wählen und wohl auch über die EU-Linie entscheiden. Als mutmaßlicher Verursacher der Krise gilt die Unabhängigkeitspartei nicht als Wunschpartner der Sozialdemokraten. Doch wenn die Partei sich für die EU ausspricht, könnten die Sozialdemokraten den Links-Grünen damit drohen, wieder mit der Unabhängigkeitspartei zusammen zu gehen, wenn die Links-Grünen nicht auf EU-Kurs einschwenken wollen. Immerhin hatte sich die Unabhängigkeitspartei, während sie noch an der Macht war, in der Frage schon zaghaft geöffnet. Eines steht für die Sozialdemokraten fest: Den Weg zum Beitritt müssen die Politiker ebnen, doch ein Gesuch wird es nur geben, wenn die Bevölkerung in einem Referendum dafür votiert. Die EU-Antipathie ist eine Mischung aus der Angst, die umfangreichen Fischressourcen teilen zu müssen, und tief verwurzeltem Nationalstolz. Nachdem die Insel Jahrhunderte zu Norwegen und dann zu Dänemark gehörte, soll die Unabhängigkeit nach 65 Jahren nicht schon wieder vorbei sein.
In Umfragen haben sich die Isländer kürzlich mehrheitlich für einen Beitritt zur EU ausgesprochen. Das mögen aber nur temporäre Stimmungen gewesen sein. "Für die Zukunft des Landes gibt es zwei Optionen: Teil der EU und der Euro-Zusammenarbeit zu werden und starke Institutionen wie die Finanzaufsicht zu bekommen oder eine isolierte Insel zu bleiben. Als Land mit nur rund 300.000 Einwohnern sind unsere Zukunftsaussichten besser, wenn wir Teil einer größeren Gruppe werden. Die Beitrittsperspektive 2011 ist realistisch, wenn bald ein Gesuch gestellt wird. Das ist aber noch nicht abzusehen", sagt Zoega. Stattdessen denken die Links-Grünen über eine Währungsunion mit Norwegen nach. "Das ist eine Möglichkeit, die wir uns anschauen sollten", so Finanzminister Steingrímur J. Sigfússon, der zugleich Parteichef der Links-Grünen ist.
Lange ist die Atlantikinsel außerhalb Nordeuropas allenfalls als sehr teures Urlaubsziel wahrgenommen worden. Kurz bevor alles kollabierte, entdeckten ausländische Sparer Island als Hochzinsparadies. Dass zigtausende von Privatpersonen, Unternehmen und Institutionen in Europa ihr Geld bei isländischen Finanzinstituten anlegten bedeutet jetzt, nach dem Kollaps, dass die Isländer immense Auslandsschulden haben. Schließlich sah der Staat sich gezwungen, für die Einlagen ausländischer Investoren gerade zu stehen. Rund 20.000 Euro dürfte die pro Kopf Staatsverschuldung deshalb derzeit betragen. Dazu kommt die private Verschuldung. Viele Isländer haben Kredite in Auslandswährung aufgenommen, als sie sich eine Immobilie kauften. Seither ist die Krone drastisch abgestürzt und der Kredit in Kronen gerechnet entsprechend gestiegen. Oft reicht das Einkommen nicht aus, um neben den Lebenshaltungskosten auch noch Zins und Tilgung zu bedienen.
Da hilft nur Auswandern, denken sich viele. In die nordischen Nachbarstaaten überzusiedeln, ist am einfachsten, weil es entsprechende Abkommen gibt. Schon werben Arbeitsagenturen aus Norwegen in isländischen Medien, und in norwegischen Zeitungen werden die übergesiedelten Isländer als "Die neuen Polen" bezeichnet. Angesichts steigender Arbeitslosigkeit auch in den Nachbarländern ist das nur eine Option für wenige.
Wer mit Isländern spricht, merkt schnell, dass sie sich so leicht nicht in die Knie zwingen lassen. Es sei nur Geld, das da verloren ginge, so der Tenor. "Die Entwicklung hat auch ihr Gutes. Endlich machen die Leute sich wieder Gedanken, reden darüber, was sie wollen. Als sie alle Geld hatten, wurden keine prinzipiellen Fragen gestellt", sagt Klemens Thrastarson aus Reykjavík. Ökonom Zoega weist darauf hin, dass Island schon zuvor mit mehr Krisen zu kämpfen hatte als die europäischen Nachbarländer. "Einen stark schwankenden Wechselkurs und enorm hohe Inflation hat es oft gegeben, zuletzt in den 1980ern. Weil sich viele noch daran erinnern können, sehen sie die derzeitige Situation gelassen. Allerdings gab es damals Vollbeschäftigung, davon entfernen wir uns gerade", so Zoega. Er hat trotz der weltweiten Krise Hoffnungen für sein Land: "Islands Vorteil ist, dass die Wirtschaft flexibel ist, zudem sind die Leute fast ausnahmslos gut ausgebildet. Schon im Jahr 2010 könnte es die ersten Anzeichen von einem Aufschwung geben. Hilfreich wäre dabei, wenn der mögliche EU-Beitritt Anreize schaffen würde."