vertrag von lissabon
Der Stand der Dinge
Das Tempo ist derzeit raus aus der europäischen Integration: Erst im Oktober sollen die Iren ein zweites Mal über den Lissabon-Vertrag abstimmen, erklärte der irische Europaminister zu Jahresbeginn. Er sei aber zuversichtlich, dass angesichts der Wirtschaftskrise der Vertrag kein zweites Mal abgelehnt werde. Welche Zusagen die irische Regierung vor dieser Abstimmung verlangen wird, ist noch unklar. Auf alle Fälle soll in Zusatzprotokollen zum Vertrag deutlich gemacht werden, dass sowohl die Verteidigungspolitik als auch religiös-moralische Fragen wie das Abtreibungsrecht weiterhin in nationaler Zuständigkeit bleiben.
Im Juni 2008 hatten die Iren den Lissabon-Vertrag mehrheitlich abgelehnt und damit den gesamten Zeitplan der EU durcheinander gebracht. Denn nun muss die Europawahl im Juni 2009 nach den Regeln des derzeit geltenden Nizza-Vertrags abgehalten werden. Tritt später der Lissabon-Vertrag doch noch in Kraft, können aus den Ländern, denen dann mehr Abgeordnete zustehen, Nachrücker ins Parlament einziehen. Die EU-Kommission soll kommissarisch im Amt bleiben, bis eine neue Kommission nach den Regeln von Lissabon vom EU-Parlament gewählt werden kann.
Ob das alles so klappt, hängt nicht nur vom Wohlwollen der irischen Wähler ab. In Tschechien stimmt am 17. Februar das Parlament nach mehrfachem Aufschub über den Lissabon-Vertrag ab. Dort und im tschechischen Senat wird eine Drei-Fünftel-Mehrheit gebraucht. Im Dezember hatte das oberste Gericht den Reformvertrag für vereinbar mit der tschechischen Verfassung erklärt. Doch Ministerpräsident Topolanek verfügt im Parlament über keine Mehrheit und ist auf die Zustimmung parteiloser Abgeordneter angewiesen. Er muss außerdem fürchten, dass der europakritische Staatspräsident Vaclav Klaus den Vertrag nicht unterzeichnet.
Das tut derzeit sein polnischer Amtskollege Lech Kaczynski. Das polnische Parlament hat den Lissabon-Vertrag längst gebilligt, doch Kaczynski will erst unterschreiben, wenn die Iren der Reform zugestimmt haben. So versteckt sich einer hinter dem anderen, und es ist keineswegs sicher, dass im Spätherbst alle Hindernisse aus dem Weg geräumt sind. Ob spätestens Neujahr 2010 eine neue Kommission eingesetzt wird, notfalls nach den Regeln des Nizzavertrags , darüber schweigen sich Juristen und Politiker aus.