KAmbodscha
Ein autobiografischer Bericht über das Terrorsystem der Roten Khmer
Als sie nach zermürbender Irrfahrt am "Deich der Witwen"ankam, war Denise Affonco sofort klar, dass alles Hoffen und Beten vergebens war: Ihr Mann war tot, ebenso wie Männer aus der Verwandtschaft, brutal ermordet von den Roten Khmer, die zwischen 1975 und 1979 eine Schreckensherrschaft in Kambodscha errichtet hatten. Die minutiös geschilderte Leidensgeschichte des kambodschanischen Volkes erscheint auf dem deutschen Büchermarkt parallel zum Beginn des ersten Prozesses gegen einen führenden Vertreter der Roten Khmer vor dem internationalen Völkermord-Tribunal in Phnom Penh. Der Leiter des Foltergefängnisses Tuol Sleng, Duch, steht wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und wegen Mordes vor seinen Richtern.
Die Führer der Roten Khmer, von denen sich vier weitere vor dem Tribunal verant-worten müssen, nannten sich "revolutio-näre Organisation" und schafften das Geld ab, die religiösen Bräuche, den freien Markt, das städtische Leben und die Erziehung der Kinder. Das südostasiatische Land machte die schnellste und radikalste marxistisch-leninistische Revolution durch, die die Weltgeschichte je erlebt hat. Während dieses gewalttätige und utopistische Regime Kambodscha förmlich zerriss, gingen fast zwei Millionen Menschen an Unterernährung, fürchterlichen Strapazen und Krankheiten zugrunde oder wurden hingerichtet.
Denise Affonco, Tochter eines Franzosen und einer Vietnamesin, hat dieses wahn-sinnige Experiment einer Gesellschaft ohne Bildung und ohne familiäre Bande überlebt. Ihrem Zeugnis kommt eine ganz besondere Bedeutung zu, ist sie doch eine der wenigen, die die Auswüchse des Schreckenregiments detailliert schildert.
Seine historische Bedeutung gewinnt das Buch auch durch die aufschlussreiche Beschreibung der Zeit nach den Roten Khmer, als der Albtraum vorbei war und die Vietnamesen das Land vom Joch der Kommunisten befreiten. Die Sieger forderten die Autorin auf, als Zeugin in dem ersten Prozess 1979 aufzutreten, in dem Pol Pot und seine Schergen in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurden. Es sollte noch einmal 30 Jahre dauern, bis ein internationales Tribunal zustande kam. Erst als Denise Affonco sich anhören musste, wie der Völkermord von Intellektuellen geleugnet wurde, entschloss sie sich, ihren langsamen Abstieg in die Hölle schwarz auf weiß zu dokumentieren. Das grauenvollste Kapitel in der Geschichte Kambodschas sollte nicht der Vergessenheit anheim fallen. Es macht den Wert dieses Buches aus, dass ein persönliches Schicksal die Tragödie eines ganzen Volkes eindringlich reflektiert. Die beispiellose Verrohung der so genannten Revolutionäre wird an jedem ihrer Verbrechen veranschaulicht.
Niemand konnte sich damals vorstellen, dass die Roten Khmer ihre eigenen Brüder, die sie für verdorbene, von den Imperialisten korrumpierte Städter hielten, systematisch ausrotten würden. Ein neues, arbeitstüchtiges Volk sollte entstehen, eingezwängt in landwirtschaftliche Zwangskollektive. Dennis Affonco durchlitt alle Stationen der Indoktrinierung, der Vertreibung und systematischen Ausbeutung ihrer Arbeitskraft - auf Traktoren, in Waggons und Ochsenkarren in immer entlegenere Gegenden gekarrt, ständig den Tod durch Malaria, die Ruhr oder Erschöpfung vor Augen.
Ein Minimum an zugeteilter Nahrung lässt die dem Verhungern nahen Menschen in ihrer Verzweiflung sogar Kadaver, Küchenschaben und Skorpione essen. Diejenigen, die nicht erschlagen wurden, waren zu einem langsamen, doch sicheren Tod verdammt. So wie Affoncos Tochter Jeannie, die im Alter von acht Jahren verhungert, nachdem sie das Martyrium anderthalb Jahre ertragen hat.
Als die Vietnamesen dem Spuk ein Ende machten, mussten die Kambodschaner er-leben, dass die Weltgemeinschaft die Roten Khmer noch jahrelang hofierte und sie als offizielle Vertreter ihres Volkes in den Vereinten Nationen anerkannte.
Der Deich der Witwen. Eine Frau in der Hölle der Roten Khmer.
Verlag C.H. Beck, München 2009; 207 S., 18,90 ¤